Für Renana Gome Yaakov wurde die Realität zum Alptraum. Und der Alptraum ist ihre Realität geworden. Die israelische Mutter von drei Kindern träumt ihn immer wieder. Ihre beiden Söhne Yagil und Or, zwölf und 16 Jahre alt, wurden von Terroristen der Hamas verschleppt – während sie am Telefon dabei zuhören musste.
Yagil und Or sind am Morgen des 7. Oktobers allein im Haus in ihrem Kibbutz Nir Oz, der sich in der Nähe des Gazastreifens im Süden Israels befindet. Sie liegen noch in ihren Betten, als die Raketensirenen losschrillen. Schlaftrunken laufen sie in den Schutzraum ihres Hauses. Doch auf einmal sind es nicht mehr »nur« die Geschosse, die aus Gaza kamen, sie hören immer mehr Schüsse und laute arabische Stimmen.
Die Brüder rufen ihre Mutter an und teilen ihr flüsternd mit, dass sie Todesangst haben. Auch die Mutter hört, wie Männer Arabisch sprechen. Der ältere der beiden, Or, versucht krampfhaft, die Türklinke festzuhalten, damit niemand in den Raum eindringen kann. Doch die Terroristen überwältigen ihn. Schwerbewaffnet stehen sie vor den beiden Kindern.
Animierter Kurzfilm von Yoni Goodman
Die schrecklichen Sekunden des Schwarzen Schabbats werden in dem animierten Kurzfilm des »Waltz with Bashir«-Animators Yoni Goodman erzählt. Er basiert auf den Träumen der Mutter der Jungen. Die letzten Worte, die Renana Gome Yaakov hört, sind die ihres jüngsten Kindes: »Nehmt mich nicht mit«, ruft es. »Ich bin zu jung.« Dann ist die Leitung tot. Doch etwas später klingelt das Mobiltelefon von Yagil wieder. Am anderen Ende der Verbindung sind die Entführer von der Hamas, die der Mutter mitteilen, dass sie ihre Söhne mitgenommen haben.
Der Kurzfilm zeigt weder Gewaltszenen noch Blut und ist doch ganz und gar erschütternd. »Ich habe ihn Hunderte Male gesehen, doch ich kann meine Tränen noch immer nicht zurückhalten«, sagt Gome Yaakov, als sie ihre Augen mit einem Taschentuch trocknet. Die beiden Jungen gehören zu den 79 Menschen, die aus dem Kibbuz Nir Oz entführt wurden.
Insgesamt sind schätzungsweise 40 Mädchen und Jungen allen Alters gekidnappt worden, auch das erst zehn Monate alte Baby Kfir Bibas. Die dreijährige Avigail Mor-Idan wurde von den Terroristen verschleppt, nachdem sie ihre Eltern ermordet hatten. Es werden noch um die 240 Menschen in der Gewalt der Hamas vermutet. Die Zahlen schwanken, weil die Geiseln offenbar von verschiedenen Gruppierungen in Gaza festgehalten werden und es bislang weder von der Hamas noch vom Internationalen Roten Kreuz offizielle Zahlen gibt. Mehr als 1200 Menschen wurden bei dem Massaker, das die Hamas-Terroristen in Israel anrichteten, ermordet - darunter auch Kinder.
»Ich hoffe, dass sie mit anderen Kindern zusammen sind.«
Renana Gome Yaakov
Die Mutter von Yagil und Or wartet in einem Hotel in der Stadt Eilat am Roten Meer auf ihre Söhne, fast 300 Kilometer von ihrem Heimatkibbutz entfernt. Denn der wurde von den Terroristen fast völlig zerstört. »Ich hoffe, dass sie zusammen sind, dass sie einander stark machen und dass sie mit anderen Kindern zusammen sind.«. Sie selbst war mit ihrer Tochter in einem anderen Kibbuz, als die Attacke geschah. Auch sie wurden angegriffen, überlebten aber.
Am 20. November ist der Internationale Kindertag der Vereinten Nationen, der an die UN-Vollversammlung erinnert, die 1989 die Kinderrechtskonvention verabschiedete. Er wird in über 145 Staaten begangen, um auf die Rechte und Bedürfnisse von Kindern aufmerksam zu machen. Ziel des Tages ist, Themen wie Kinderschutz in das öffentliche Bewusstsein zu bringen. Das wollen auch die israelischen Eltern, indem sie am Abend des 20. November bei einer Kundgebung in Tel Aviv die gesamte Welt auffordern, sich für die Freilassung ihrer Kinder einzusetzen.
Tag ist wie die Unterstreichung des andauernden Traumas
Für die Angehörigen der Geiseln ist der Internationale Kindertag wie eine Unterstreichung ihres andauernden Traumas. »Man kann nicht mehr schlafen, nicht mehr essen«, sagt Gome Yaakov. »Man kann nicht duschen, ohne sich ständig zu fragen, ob sie duschen dürfen.«
Jacob spricht über die Liebe zu ihren vermissten Kindern und erzählt, dass ihr Sohn Or sie »bei der Arbeit alle zwei Minuten« angerufen habe und ihr damit manchmal ein wenig auf die Nerven gegangen sei. »Ich habe seine Stimme nun über einen Monat nicht gehört, kein einziges Lebenszeichen erhalten, und wünsche mir so sehr, dass er mich wieder anruft.«
»Ich wünsche mir so sehr, dass er mich wieder anruft.«
Ihren jüngeren Sohn hat sie nach Wochen der grausamen Ungewissheit in einem Video der Hamas gesehen. Sie will dazu nicht viel sagen, denn sie weigere sich, »der Propaganda einer Terrororganisation nachzugeben«. Nur so viel: »Ja, es war Yagil. Und ja, ich war so erleichtert, zu sehen, dass er am Leben ist«. Sie habe auch erfahren, dass Or lebt, fügte aber nichts weiter hinzu.
Auf die Frage, was sie der Hamas sagen würde, wenn sie könnte, sagte sie: »Auch sie haben Mütter… Ich hoffe, ihnen wird klar, dass sie Kinder als Geiseln halten, und sie wie Kinder behandeln müssen. Ich flehe sie an, sie freizulassen. Kinder dürfen nicht als Verhandlungsmasse missbraucht werden.«
Dann fügt sie hinzu: »Stellen Sie sich vor, Ihr Kind…«, und ihre Stimme bricht. »Ihr Kind wäre einfach aus Ihrem Leben verschwunden und würde gefangen gehalten, ohne die Sonne oder den Himmel zu sehen. Stellen Sie sich das vor.«