Der Himmel ist wieder blau. Doch die Auswirkungen des schlimmsten Wintersturmes in fünf Jahrzehnten sind in manchen Landesteilen noch immer zu spüren. Das extreme Wetter hat zum einen gezeigt, wie unvorbereitet das Land auf derartige Verhältnisse ist, und zum anderen, wie hervorragend spontane Hilfe funktioniert.
Schneefälle, wie sie die Menschen hierzulande fast noch nie erlebt haben, verursachten massenhafte Stromausfälle von Nord bis Süd, Zigtausende mussten bei Minustemperaturen tagelang ohne Strom ausharren. Jerusalem und andere Städte waren das gesamte vergangene Wochenende von der Außenwelt abgeschnitten. In der Goldenen Stadt blieben bis zu 70 Zentimeter Schnee liegen – so viel weiße Pracht gab es hier seit 1920 nicht mehr.
Am Schabbat wurde in Jerusalem sogar das Fahrverbot für den öffentlichen Verkehr aufgehoben, um die Menschen in Zügen aus der eingeschneiten Stadt zu transportieren. Sämtliche Zufahrtstraßen waren bereits am Freitag gesperrt worden, nachdem Dutzende von Fahrzeugen im Schnee stecken geblieben waren und die Armee anrücken musste, um sie zu befreien.
aufwärmen Sarah Hadari lebt in der Stadt und fror. »Ich war über zwei Tage lang komplett ohne Strom«, erzählt sie. »Das hieß: keine Heizung, kein warmes Wasser, kein Kochen, kein Licht und vieles andere mehr. Es war der absolute Horror. Ich habe praktisch die gesamte Zeit unter mehreren Decken im Bett gelegen und gebibbert. Rausgehen und durch den Schnee tollen kam für mich wirklich nicht infrage – es gab ja keinen angenehmen Ort, an dem man sich anschließend hätte aufwärmen können.«
Auch Tausende von jüdischen Siedlern im Westjordanland hatten ihre teils provisorischen Häuser am Samstag verlassen müssen, nachdem nichts mehr ging. Einige von ihnen wurden mit akuter Unterkühlung ins Krankenhaus gebracht.
Auch die Stadt Safed in Obergaliläa war hart getroffen. Noch nie dagewesene Schneemassen legten den gesamten Ort lahm. Auf dem Berg Hermon blieb ebenfalls ein Meter Schnee liegen, es wird damit gerechnet, dass bald der Skibetrieb beginnt.
Obwohl sich das Unwetter bereits mit dem Schabbat-Ausgang verzogen hatte, schränkten die nicht getauten Schneemassen noch am Wochenbeginn das Leben der Israelis ein. Auf den Schnellstraßen in Richtung Jerusalem stauten sich die Pkw und Lkw stundenlang. Mitten auf der Straße 443 brachte eine Mutter am Montagabend in ihrem steckengebliebenen Auto ein Baby zur Welt. Aron Pomp, Mitglied des Rettungsdienstes ZAKA, der ebenfalls im Stau stand, hatte die Hilferufe des werdenden Vaters gehört und war sofort zur Stelle. Die beiden überredeten einen Kombifahrer, Platz in seinem Auto zu machen, und innerhalb von Minuten war das gesunde Mädchen geboren – Nummer 14 für die Familie. »Es war ein sehr bewegender Moment, als ich das Baby in die Arme der glücklichen Mutter legte«, berichtete Pomp anschließend im Fernsehen.
Verkehr Doch nicht nur verstopfte Straßen machen den Menschen zu schaffen. Schulen und verschiedene andere öffentliche Einrichtungen blieben den dritten Tag in Folge geschlossen. Auch der Bus- und Bahnverkehr funktioniert in einigen Gemeinden noch immer so gut wie gar nicht. In Safed, dem Gusch-Etzion-Block und Dörfern im Norden fuhr am Dienstag kein einziger Bus. In Jerusalem sind die Fahrten mittlerweile sporadisch wieder aufgenommen worden.
Im Zentrum des Landes schneite es zwar nicht, doch extreme Wolkenbrüche mit Regengüssen und Hagelschauern sorgten für nasse Häuser und feuchte Füße. In manchen Teilen Tel Avivs, wie in dem südlichen Viertel Neve Zedek beispielsweise, gab es ebenfalls bis zu 30 Stunden keine Elektrizität. Auch ein anderes Winterphänomen, das Israelis so gut wie nicht kennen, trat ein: vereiste Straßen. Bodenfrost hatte in der Nacht zum Samstag sogar große Teile der Stadtautobahn Ayalon mit einer dünnen Eisschicht überzogen.
Mittlerweile ist die Stromversorgung im Land fast wieder hergestellt. Eine Sprecherin erklärte im Radio, dass bis auf einige vereinzelte Häuser alle wieder über Elektrizität verfügen. »Wir haben 72 Stunden ohne Pause gearbeitet, um das hinzubekommen – und jetzt ist es geschafft.«
Wegen der eisigen Temperaturen, die bis zu sieben Grad unter dem gewöhnlichen Durchschnitt liegen, verbrauchen die Menschen viel mehr Strom als gewöhnlich. Alle versuchen, ihre Wohnungen und Häuser mit Klimaanlagen und Radiatoren zu heizen. Am Sonntag war der Höhepunkt mit 11.400 verbrauchten Megawattstunden erreicht. Nun könnte die Stromversorgung aus diesem Grund wieder instabil werden, warnt das staatliche Elektrizitätswerk.
Bilanz Jetzt, wo der Sturm vorübergezogen ist, wird Bilanz gezogen. Es geht auch um Geld. Dieser Tage werden die Kosten berechnet – und schon gibt es Streit: Die Bürgermeister der betroffenen Gemeinden schätzen die Ausgaben wegen der Unwetterschäden auf etwa 60 Millionen Euro und wollen, dass die Regierung den Sturm als Naturkatastrophe einstuft. Das Finanzministerium indes weigert sich vehement, denn das würde »Klagen gegen die Regierung wegen Sturmschäden Tür und Tor öffnen«. Beamte im Ministerium erklärten, dass die Schätzungen der lokalen Behörden »überzogen« seien, da die widrigen Wetterverhältnisse die Städte schließlich zum größten Teil am Wochenende lahmgelegt hätten, und die Schäden für Geschäfte daher wesentlich geringer seien.
Dass nicht mehr Menschen zu Schaden gekommen sind, dafür ist in erster Linie die Hilfsbereitschaft der Menschen verantwortlich. Unbürokratisch kümmerten sich Privatleute um alte oder kranke Nachbarn, versorgten Familien mit kleinen Kindern mit warmen Decken, Suppe und Tee. Präsident Schimon Peres dankte den Helfern am Sonntag persönlich im zum warmen Schutzort umfunktionierten Kongresszentrum Jerusalems. Mosche Hof etwa fuhr tagelang mit seinem Jeep durch die Straßen der Hauptstadt und zog andere Fahrzeuge damit aus dem Schnee. »Ist doch selbstverständlich, dass man anpackt, wenn andere es nicht allein schaffen«, sagte der Rentner. »Das ist ein Grundsatz im Judentum.«