Meirav hat sich ihren Traum erfüllt. Mit 40 Jahren wurde die Israelin zum ersten Mal Mutter. Ohne Mann. Dabei hatte sie lange gedacht, dass ein Leben »auch ohne Kinder toll sein kann«. Doch mit 37 habe ihre biologische Uhr zu ticken begonnen. »Und hörte einfach nicht mehr auf.« Als die Computerprogrammiererin zwei Jahre später noch immer keinen Partner hatte, mit dem sich ihr Kinderwunsch auf natürliche Weise hätte erfüllen können, entschied sie sich für die Alternative Samenbank. Wie Meirav machen es immer mehr Frauen in Israel. In den letzten Jahren hat sich ihre Zahl mehr als verdoppelt.
Die Zahlen, die das zentrale Statistikbüro des Landes in der vergangenen Woche herausgab, zeigen, dass sich die Anzahl der Frauen, die Kinder bekommen, ohne jemals verheiratet gewesen zu sein, in der letzten Dekade um 60 Prozent erhöht hat. Etwa 5050 alleinstehende jüdische Frauen brachten 2011 in Israel Kinder zur Welt. Im Vergleich dazu waren es im Jahr 2000 erst 2600.
Gefühle »Völlig verständlich« findet das Irit Rosenblum. Die Vorsitzende der Organisation »New Family« in Tel Aviv sieht in diesen Zahlen einen klaren Trend. Und zwar nicht nur in Israel, sondern weltweit. »Frauen können sich heute entscheiden, ihre Familien ohne einen Partner zu gründen«, erklärt sie. »Sie sind besser ausgebildet, haben lukrativere Jobs und sind unabhängiger als noch vor einigen Jahren.«
»Es ist eine positive Bewegung in Richtung Selbstbestimmung und Individualismus«, sagt die Familienanwältin. Wobei das nicht unbedingt bedeute, dass Frauen ihre Gefühle oder Bedürfnisse in Sachen Partnerschaft und Familie geändert haben. »Sie sind nur heute eher in der Lage, zu entscheiden, dass sie die Mutterschaft nicht aufgeben wollen, auch wenn sie keinen Partner finden oder haben wollen.«
Karriere Meirav wollte eigentlich eine klassische Familie. Doch wie sie erzählt, habe sie sich jahrelang auf ihre Karriere konzentriert und Mutterschaft hintangestellt. Erst, als es fast »zu spät« war, keimte der Wunsch nach einem Kind auf. Eigentlich ist dieser Werdegang in Israel unüblich. Die meisten Frauen bekommen Kinder trotz Karriere und kehren schon wenige Monate nach der Geburt wieder voll in ihren Beruf zurück. Kein leichter Spagat, doch Israel ist nach wie vor ein Land, in dem familiäre Werte großgeschrieben werden.
Das weiß auch die Gründerin von New Family. Denn selbst wenn ihr Land in Familienangelegenheiten konservativ sei und von der Religion dominiert werde – wie etwa bei Heirat und Scheidung –, reagiere die Gesellschaft durchaus positiv auf die Entscheidung der alleinstehenden Mütter. »Weil die Frauen Kinder in die Welt setzen und dem Grundsatz ›Seid fruchtbar und mehret euch‹ damit alle Ehre machen.«
Chaim Javetz, Leiter der Abteilung für künstliche Befruchtung an der Tel Aviver Frauenklinik, ist überzeugt: »Die Prozedur für alleinstehende Frauen hat im Laufe der Jahre mehr soziale Akzeptanz gewonnen. Die Leute sprechen offen über diese Dinge. Es ist heute nicht mehr merkwürdig.«
Freiheit Meirav bestätigt diese gesellschaftliche Akzeptanz. Dennoch hat die Programmiererin entschieden, den Umstand, dass ihr Kind keinen Vater hat, nicht »an die große Glocke zu hängen«. So möchte sie auch ihren vollen Namen nicht preisgeben. »Ich will, dass mein Kind die Freiheit hat, zu entscheiden, was es mit dieser Information später anfangen wird. So wie auch ich mir die Freiheit genommen habe, eigenständig über meine Familie zu entscheiden.«
Meirav ist dankbar, dass sie in der Lage war, alleine »Ja« zu einem Kind zu sagen. Dennoch sei diese Situation in der Welt noch nicht normal, ist Rosenblum sicher. Die globale Entwicklung in Sachen Familienangelegenheiten hinke extrem hinterher. »Eine Familie gilt fast überall noch immer als Eigentum des Mannes. Die Kinder erhalten automatisch den Nachnamen des Vaters, nicht der Mutter.« Dabei sollte in ihren Augen Familie ein Menschenrecht sein – egal, wer es in Anspruch nehmen möchte. Dafür kämpft Rosenblum mit ihrer Organisation bereits seit vielen Jahren.
Fortschritt Obwohl man Veränderungen weltweit spüren könne, etwa anhand der hohen Scheidungsrate im Iran oder der großen Anzahl an Paaren in Südamerika, die nicht heiraten wollen, sei die Familienrevolution kein Prozess eines Jahrzehnts, sondern von zwei Jahrhunderten. »Doch es geht stetig voran«, so die Aktivistin.
Meirav hat ihr Leben völlig umkrempeln müssen, was nicht einfach gewesen sei. Sie wohnt im Zentrum des Landes, ihre Eltern und ihre Schwester fast drei Autostunden entfernt im Norden. Sie wusste von vornherein, dass sie von ihnen keine große Hilfe erwarten könne. »Ich war vom Tag der Geburt meines Sohnes an auf mich gestellt.«
Dennoch hat Meirav es nicht bereut. »Wirklich nicht eine Minute.« Während sie Schokoladenkekse in den Ofen schiebt, hüpft das Ergebnis ihres Besuches bei der Samenbank fröhlich lachend auf einem Bein in die Küche und schmiegt sich an seine Mama. »Ima, guck mal, das habe ich im Kindergarten gelernt«, ruft der kleine Junge stolz und grinst über das ganze Gesicht.
Er hat strahlend braune Knopfaugen, dicke Pausbacken und wäre am liebsten Lokführer. Seine Mutter hat ihren Sohn Schai genannt. »Das ist Hebräisch für Geschenk«, sagt sie und streichelt ihm liebevoll über den Kopf. »Weil er das beste Geschenk ist, das ich je bekommen habe.«