Es war ein Termin so ganz nach seinem Geschmack. Im Kibbuz Dorot, nahe der von Raketen geplagten Kleinstadt Sderot, stand er selbst im hohen Alter von 91 Jahren im Fußballtor, in der einen Hand das Mikrofon, in der anderen einen Lederball. Die Operation »Protective Edge« lag erst wenige Tage zurück, aber Schimon Peres, seit Sommer 2014 nicht mehr Israels Staatsoberhaupt, hatte rund 80 jüdische und arabische Kids aus den Ortschaften nahe des Gazastreifens sowie aus der Region Yatta im südlichen Westjordanland zum gemeinsamen Kicken eingeladen. »Ihr seid die Generation der Zukunft«, feuerte er die Jugendlichen an. »Zeigt, wie ihr miteinander und nicht gegeneinander spielen könnt.«
Diese Aufforderung, gemeinsam zu handeln und sich so näherzukommen, war Zeit seines Lebens seine politische Maxime, auch in diesen Tagen unmittelbar nach dem Krieg in Gaza. Peres prägte deshalb vor über 20 Jahren eigens das Schlagwort vom »Neuen Nahen Osten«, in dem Frieden herrscht und wo der grenzüberschreitende Austausch von Waren und Wissen der Region eine Ära des Wohlstands beschert.
Vision Nun hatte Schimon Peres seine Vision zu einer Zeit formuliert, als gerade das Gaza-Jericho-Abkommen unterzeichnet wurde und der Friedensprozess von Oslo viel Anlass zu Hoffnung gab. Eine Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern schien in greifbare Nähe gerückt. Als Außenminister hatte er selbst großen Anteil an diesen Entwicklungen, weshalb man ihm 1994 zusammen mit Yitzhak Rabin und Jassir Arafat 1994 denn auch den Friedensnobelpreis verlieh.
Schon damals galt Peres als Elder Statesman, und die Zeremonie war zweifellos die Krönung einer jahrzehntelangen politischen Karriere, die untrennbar mit der Geschichte des jüdischen Staates verknüpft ist. Es dürfte wohl kaum ein wichtiges Amt geben, das Peres seit 1948 nicht bekleidet hatte. Und gerade in den frühen Tagen seiner Existenz war er es, der die Überlebensfähigkeit Israels sichern sollte. Zwar nicht persönlich auf dem Schlachtfeld, dafür aber als gewiefter Organisator und strategisch denkender Politiker. Dabei verlief seine Karriere alles andere als geradlinig, Rückschläge gehörten offensichtlich einfach mit dazu.
Im heute weißrussischen Wiszniew 1923 geboren, wanderte Schimon Peres mit seiner Familie 1934 nach Palästina aus. Bereits als Jugendlicher schloss er sich der von der Arbeiterpartei Mapai und der von ihr dominierten Kibbuz-Bewegung an, auch wenn Feldarbeit und Wacheschieben wohl nicht wirklich sein Ding waren. Immerhin lernte er dabei die Frau seines Lebens kennen: »Ein barfüßiges junges Mädchen, mit langen braunen Zöpfen und schönen, griechisch anmutenden Gesichtszügen«, schwärmte er noch Jahrzehnte später. »Ich war völlig hingerissen.« Es war Sonia, seine zukünftige Ehefrau. Ganz Kibbuznik, der er damals war, las er ihr bei Mondschein Passagen aus Karl Marx’ Das Kapital vor – Romantik pur! Dennoch heiratete ihn Sonia und sie blieben bis zu ihrem Tode im Jahr 2011 ein Paar.
Armee Die politischen Gremien der Kibbuz-Bewegung sollten auch so etwas wie das Sprungbrett für seine spätere Laufbahn werden. Frühzeitig erkannte David Ben Gurion das Organisationstalent des jungen Mannes und machte ihn zu seinem Adlatus. Der Staatsgründer betraute Peres mit logistischen Aufgaben für die damals sich im Aufbau befindliche israelische Armee. Zuerst als stellvertretender Generaldirektor, dann als Leiter des Verteidigungsministeriums verfügte er bald über die besten Verbindungen zu Politikern in aller Welt und galt zudem als äußerst erfindungsreich, wenn es darum ging, Waffen für die Zahal zu beschaffen.
Darüber hinaus hatte er maßgeblich Anteil am Zustandekommen der ersten strategischer Allianzen mit ausländischen Mächten. Den Anfang machte damals Frankreich. Die von ihm mitbegründete »French Connection« bildete so etwas wie das Rückgrat der israelischen Rüstungs- und Atompolitik der frühen Jahre, deren Ziele Peres als graue Eminenz im Hintergrund sorgsam absteckte.
Die Tage von Oslo sollten mit dazu beitragen, dass er sich als Teil des Gespanns Peres-Rabin weltweit das Image eines idealistischen »Architekten der Versöhnung« aufbauen konnte. Dabei lag hinter beiden Politikern eine jahrzehntelange Vendetta, die es in sich hatte und Peres den Ruf einhandelte, nicht nur ein charmanter Visionär zu sein. So war er maßgeblich an der umstrittenen Auflösung der militärischen Eliteeinheit Palmach beteiligt, Rabin als einer ihrer Kommandeure zeigte sich wenig begeistert. Peres favorisierte die Allianz mit Frankreich, Rabin dagegen wollte ein Bündnis mit den Vereinigten Staaten, auch stritten sich beide bis aufs Messer um den Vorsitz in der Arbeiterpartei. »Rabin ist ein vernünftiger Mann, aber bisweilen neigt er zu übertriebenem Misstrauen«, stichelte Peres noch 1995 in seinen Memoiren. Wenn es aber um die Sicherheit des Staates Israel ging, vergaßen sie ihre Rivalitäten sofort.
Niederlagen Dennoch schien auf Peres’ Karriere manchmal ein Fluch zu lasten, zahlreiche Niederlagen pflasterten seinen Weg. Sogar wenn alle Wetten zu seinen Gunsten ausfielen, blieb er doch der »ewige Zweite«. Und obwohl dreimal für eine kurze Zeit an der Spitze der Regierung, hatten ihn die Israelis nie wirklich gewählt. Vielleicht misstrauten sie ihm, weil er anders als die meisten Verantwortlichen in den höchsten politischen Ämtern Israels nie richtig Soldat war. Es mangelte deshalb am Stallgeruch des Militärs, und Peres galt nur als Technokrat. Selbst das Amt des Präsidenten sollte er nur im zweiten Anlauf ausüben dürfen, nachdem er sich im Jahr 2000 gegen Mosche Katzav nicht durchzusetzen vermochte.
Trotzdem schaffte es der charmant auftretende Schimon Peres, in der Welt lange Zeit das Gesicht des jüdischen Staates zu sein, »Mr. Israel« höchstpersönlich. Am frühen Mittwochmorgen ist er nun im Alter von 93 Jahren in Tel Aviv gestorben. Auch wenn er nicht zu Lebzeiten miterleben durfte, dass Frieden in der Region möglich wurde und der neue Nahe Osten ein noch blutigerer Schauplatz als jemals zuvor ist, so werden seine Visionen von einer besseren Welt wohl Bestand haben.