Wenn es um digitale Trends geht, sind die Israelis meist sofort dabei. Und so wandern auch sie dieser Tage durch die Straßen von Jerusalem, Tel Aviv, Haifa, in Kibbuzim und Dörfern, den Blick fest auf ihre Mobiltelefone gerichtet. Sie suchen die possierlichen virtuellen Monster in der Applikation von Nintendo. Wegen des starren Blicks auf die Bildschirme werden sie im Volksmund »Pokémon-Zombim« genannt, die »Pokémon-Untoten«. In Israel und den palästinensischen Gebieten hat das Monsterspiel-Fieber die Bevölkerung erfasst.
Und das, obwohl die App im Nahen Osten eigentlich noch gar nicht offiziell herausgegeben wurde. Doch die technikbegeisterten Israelis fanden prompt Wege, das zu umgehen. Amir Niv ist Computerspezialist und weiß: »Das ist ein Leichtes. Mittlerweile ist überall im Internet nachzuschlagen, wie man auch bei uns problemlos spielen kann.« Niv findet das in Ordnung. »Die ganze Welt ist verrückt danach. Also ist es doch logisch, dass wir sofort und nicht erst in ein paar Wochen oder Monaten mitspielen wollen.«
Und das tun sie jetzt en masse von Nord bis Süd. Mittlerweile gibt es mehrere Facebook-Gruppen mit Tausenden von Mitgliedern, in denen Spieler ihren »Fang« mit den erlangten Punkten präsentieren: »Pinsir – erledigt, Hitmonchan – erledigt, Omanyte – entkommen.« Auch Eier, für die der Spieler umherlaufen muss, damit eine Kreatur die Schale knackt, werden gern gepostet. »Ratet mal, was herauskam?«, fragt Eldad Aflalo.
Präsident Sogar Staatspräsident Reuven Rivlin begibt sich persönlich mit auf die digitale Jagd. In seiner Jerusalemer Residenz – in dem Raum, in dem er normalerweise Staatsgäste aus aller Welt empfängt – versuchte er, mitten auf dem Orientteppich ein katzenähnliches Wesen dingfest zu machen. Ein Foto davon postete er auf seiner Facebook-Seite und schrieb darunter: »Rufe doch bitte jemand die Sicherheit!« Rivlin erhielt dafür mehr als 33.000 Likes. Das Büro der Heimatfront (Pikud Haoref) forderte die Israelis auf, Pikachu und Co. in ihren Sicherheitsräumen zu suchen und Bilder davon in die sozialen Netzwerke zu stellen.
Doch nicht nur die Bürger in Zivil jagen mit. Auch die Männer und Frauen in Uniform spielen frenetisch und belegen ihre Erfolge sofort online. Mitglieder der Marine stellten ein Bild auf die Seite »IDF Tweets«, auf der ein knallbuntes Getier über einem Schiff oder einer Anlage zu sehen ist und davor ein Soldat, der im Inbegriff ist, es abzuwerfen. »Es gibt welche, die nur wir kriegen können«, schrieben die enthusiastischen Spieler dazu. Andere Soldaten zeigten sich in Videos bei turbulenten Manövern in der Wüste oder verulkten digital ihre Rangabzeichen an der Uniform in »Monsterjäger Nummer eins«.
Sicherheit Da die Anwender dem Betreiber allerdings Zugang zu ihrem Aufenthaltsort und ihrer Kamera gewähren müssen, zog die Armee nun in ihren Militärbasen der Nintendo-App fürs Handy den Stecker. »Dieses Spiel ist eine Quelle, um Informationen zu sammeln«, steht in der Warnung der Abteilung für Informationssicherheit, die am vergangenen Freitag an alle Soldaten ging. Daher darf es in keiner Armeebasis mehr gespielt werden. Die Armee sorgt sich, dass Soldaten im Spielfieber unvorsichtig mit Informationen zu sensiblen Standorten oder militärischen Aktionen sein, diese ins Internet stellen und damit potenziellen Feinden in die Hände spielen könnten.
Doch Pokémon in Nahost ist auch politisch. Palästinensische Spieler nutzten die Applikation, um den Fokus auf den Konflikt zu lenken. Einige machten Bilder, wie sie in Ruinen von Häusern im Gazastreifen Monster fangen. Eine palästinensische Anwenderin aus dem Westjordanland schrieb unter ihr Foto: »Oh je, das Monster hat sich in einer jüdischen Siedlung versteckt. Wie soll ich da nur rankommen?«
Roni Badari spielt mit und findet, dass Pokémon Go nicht nur ein »dumpfes Handyspiel« sei, sondern jede Menge Vorteile hat. »Statt zu Hause zu sitzen und stur vor sich hin zu daddeln, bringt Pokémon Go die Leute auf die Straße. Alle laufen draußen rum. Meine Freunde und ich machen einen Wettbewerb, wer die meisten Monster an berühmten Orten oder vor Sehenswürdigkeiten in Israel und der ganzen Welt findet und postet. Wir schicken uns damit Fotos aus dem Urlaub«, erzählt die 17-jährige Schülerin aus Haifa. »Das ist ein witziger Sommerspaß, der die oft ganz schön langweiligen Ferien ein bisschen aufregender macht.«