Während Israels Militär im Anti-Terror-Krieg immer weiter in die Stadt Gaza vorrückt, gerät ein mögliches - und äußerst umstrittenes - Ziel in den Fokus: Das größte Krankenhaus im Gazastreifen. Erkenntnissen israelischer Geheimdienste zufolge missbraucht die in dem Küstengebiet herrschende Terrororganisation Hamas das Krankenhaus als Kommando- und Kontrollzentrum.
Die Gefechte in der Nähe der Klinik werden heftiger. Augenzeugen berichten von Schäden am Dach des Krankenhauses nach israelischen Bombardements. Auf den Fluren und dem Gelände der überfüllten Klinik haben Zehntausende Menschen Zuflucht gefunden, unter ihnen Mohammed al-Kuka mit seiner Familie.
Befürchtet würden Angriffe der israelischen Armee auf das Gebäude, erzählt er der Deutschen Presse-Agentur. Ein Mann, der neben ihm gebetet habe, sei vor kurzem durch Beschuss getötet worden, sagt al-Kuka. Viele Menschen flüchteten inzwischen aus der Klinik. Er selbst wolle auch dort weg.
Klinik-Direktor: Irreführende Anschuldigungen
Der Direktor der Klinik, Mohammed Abu Salamija, nennt Israels Anschuldigungen, die Hamas nutze die Klinik für ihre Zwecke, einen »irreführenden Versuch«, die Menschen aus dem Krankenhaus zu vertreiben. Er berichtet von schlimmen Bedingungen für die Patienten und das völlig überarbeitete Personal.
Die Klinik mit ihren Abteilungen für Chirurgie, Innere Medizin, Radiologie, Geburtshilfe und Gynäkologie bietet Medien zufolge Platz für 700 Patienten. Behandelt werden Berichten zufolge derzeit aber Tausende.
Salamija warnt auch vor Treibstoffmangel. Wenn es keinen Treibstoff mehr gebe, könnte das beispielsweise für Menschen, die beatmet werden müssen, sofort tödlich sein. Israels Armee erklärt dagegen, in den Krankenhäusern im Gazastreifen gebe es Treibstoff - den allerdings die Hamas für ihre »Terror-Infrastruktur« nutze.
Folter in der Klinik
Vorwürfe, dass die Hamas das Schifa-Krankenhaus für Gewalttaten nutzt, gab es in der Vergangenheit schon von anderer Seite. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, auf deren internationalem X-Kanal regelmäßig Verschwörungstheorien über den jüdischen Staat verbreitet werden, berichtete vor mehr als acht Jahren, Hamas-Mitglieder hätten in einer stillgelegten Abteilung der Klinik im Jahr 2014 während eines Kriegs mit Israel Palästinenser gefoltert. Die Hamas warf den Opfern demnach Zusammenarbeit mit Israel vor.
Der Militärexperte Danny Orbach von der Hebräischen Universität in Jerusalem sagt, es sei schon seit vielen Jahren bekannt, dass die Hamas die Klinik, deren Ausbau einst von Israel veranlasst worden sei, für ihre Zwecke missbrauche. An der Erkenntnis gebe es »keine Zweifel«.
Die Hamas nutzt nach Darstellung der israelischen Armee auch verschiedene Abteilungen im Krankenhaus, um etwa Raketenabschüsse zu befehlen. »Die Hamas führt Krieg aus Krankenhäusern heraus«, sagt Militärsprecher Daniel Hagari. Nach dem Massaker vom 7. Oktober hätten sich zudem Hunderte Terroristen in der Schifa-Klinik versteckt. Zu der unterirdischen Basis gibt es nach Angaben des Militärs auch innerhalb der Klinik einen Eingang. Die Hamas bestreitet die Vorwürfe.
Missbrauch von Kliniken ist Kriegsverbrechen
Die Armee veröffentlichte Satellitenbilder und Materialien, um zu beweisen, dass die Klinik von der Hamas genutzt wird. In Videos waren tief in der Erde unter der Klinik Kontrollräume und Verbindungstunnel zu sehen. Die Nutzung einer Klinik für militärische Zwecke stellt nach Angaben des Völkerrechtlers Daniel-Erasmus Khan von der Universität der Bundeswehr ein Kriegsverbrechen dar.
Israels Streitkräfte sind eigenen Angaben nach dazu entschlossen, die Hamas wo auch immer nötig anzugreifen. Ob damit auch das Schifa-Krankenhaus gemeint ist, sagt die Armee nicht. Israelische Medien berichten, das Militär habe sich noch nicht entschieden, ob und wann Truppen in die Klinik geschickt würden.
Laut humanitärem Völkerrecht sind Angriffe auf zivile Ziele wie Krankenhäuser verboten. »Wenn zivile Objekte allerdings missbraucht werden, sind sie nicht mehr per se sakrosankt«, erläutert Khan. »Wenn die israelische Darstellung stimmt, dann wäre ein solcher Angriff zulässig.« Das humanitäre Völkerrecht akzeptiere in dem Fall sogar unbeabsichtigte zivile Opfer. Israel müsse dennoch alles dafür tun, Zivilisten aus der Klinik zu evakuieren.
Experte: Armee wird Klinik umstellen
Die Verhältnismäßigkeit hält der Historiker Orbach für gegeben. »Der militärische Wert ist hoch - selbst wenn sich die Führung der Hamas nicht in der Basis aufhält.« Die israelische Armee geht aber davon aus, dass sich die meisten hochrangigen Hamas-Mitglieder in den Kliniken, insbesondere im Schifa-Krankenhaus, verstecken. Sie nutzten aus, dass die Armee Krankenhäuser nicht bombardiere.
Die Zerstörung des »Mittelpunkts der Hamas-Herrschaft« wäre laut Orbach auch ein symbolischer Sieg Israels über die Terrororganisation. Israel werde damit aber noch warten, vermutet er. Erst einmal werde die Armee die Klinik umstellen, bis sich alle Menschen darin ergeben.
Der Militärhistoriker geht von einem baldigen Zusammenbruch der Macht der Islamistenorganisation aus. »Das wird einen Dominoeffekt auslösen.« Die Streitkräfte könnten dann die Massenevakuierung der Zivilisten aus der Klinik durchsetzen. Dass derzeit immer mehr Menschen dem Armee-Aufruf folgen und in den Süden des Gazastreifens fliehen, wertet Orbach als Zeichen des beginnenden Kontrollverlusts der Hamas. Patienten könnten aus der Klinik in die vom Ausland gestifteten Lazarette verlegt werden, sagt Orbach.
UN gegen Verlegung von Patienten
Laut israelischen Medien gab es zwischen Israel und Rettungsdiensten bereits eine Einigung, 50 Patienten zu verlegen. Als die Krankenwagen eintrafen, ließ die Hamas den Berichten zufolge aber nur sieben Menschen aus dem Schifa-Krankenhaus gehen. Die UN lehnen derweil die Verlegung von Patienten ab - dies gefährde das Leben der Betroffenen.
Nach Abschluss einer Evakuierung wird die Armee nach Einschätzung des Militärexperten Orbach die Klinik gezielt bombardieren. Schließlich könnten Bodentruppen das Gebäude erobern und die Hamas-Einrichtungen darin zerstören. Der Militärhistoriker geht nicht davon aus, dass die Armee das Gebäude in Schutt und Asche legen wird. Er hält es sogar für möglich, dass das in der britischen Mandatszeit gegründete Krankenhaus nach dem Krieg wieder als Klinik genutzt werden könnte.