Er lebt auf der Überholspur. Naftali Bennett hastet von einer Vortragshalle in die nächste, trinkt hier noch schnell ein Bier mit potenziellen Wählern, erklärt dort seine Agenda. Weniger als einen Monat bis zu den Parlamentswahlen, und der Chef der nationalreligiösen Partei »Jüdisches Haus« (Beit Hajehudi) ist fast rund um die Uhr unterwegs. Stets ein smartes Lächeln auf den Lippen, einen klugen Satz auf der Zunge. Und fest im Blick die Sitze in der Knesset. Binnen eines Monats verdreifachte Bennett in Umfragen die Zahl der möglichen Mandate und katapultierte seine rechte Partei damit auf Platz drei der Wählergunst.
Und der Höhenflug scheint nicht zu Ende. Fast täglich produziert Bennett neue Zahlen: 10 Sitze, 12, 13. Die jüngsten Umfragen bescheinigen dem »Jüdischen Haus« 14 Mandate in der kommenden Knesset, die am 22. Januar gewählt wird. Politische Analysten überschlagen sich mit Prognosen, ob Bennett eventuell sogar als Chef der zweitstärksten Partei nach dem Likud ins Parlament einziehen könnte. Er könnte, glauben viele.
Ideologie Bennett räumt also ab, und die anderen verlieren. Allen voran die Union aus Likud und Lieberman. Vor einigen Wochen hatten Regierungschef Benjamin Netanjahu und der damalige Außenminister und Chef der nationalistischen Partei »Israel Beiteinu«, Avigdor Lieberman, ihren Zusammenschluss bekannt gegeben – und seitdem gehen die Zahlen in den Keller. Derzeit halten beide Parteien gemeinsam 42 Sitze, aller Voraussicht nach werden sie mindestens sieben davon abgeben müssen. An Bennett.
Wie er das schafft? Der Mann stehe für eine eindeutige Ideologie, die anderen Parteien fehle, erklärte ein Kommentator vor wenigen Tagen im israelischen Fernsehen. »Er spricht aus, was andere nur denken.« Bennett sagt über sich selbst, dass er nichts beschönigt und nichts verheimlicht. »Ich sage immer dasselbe. Das sind meine Überzeugungen, das sind meine Worte.«
Modern Lange Zeit war der 40-Jährige Mitglied des rechten Flügels im Likud, bevor er im Mai 2012 die Partei verließ und zum »Jüdischen Haus« übertrat. Er wolle, dass Netanjahu Premierminister bleibe, betont er stets. »Doch wir werden in jedem Fall verhindern, dass es eine Koalition der linken Parteien gibt.«
Bennett sei der Schatz des nationalreligiösen Blocks, schreiben Medien in der ganzen Welt. Doch der Sohn amerikanischer Einwanderer ist mehr. Würde er lediglich im Lager der Ultrarechten fischen, käme nicht dieser lawinenhafte Erfolg zustande. Offenbar bewegt er die Massen, schöpft mit Leichtigkeit Wähler vom Likud und sogar von der Arbeitspartei ab, die in den jüngsten Prognosen von 20 auf 16 Sitze rutschte.
Bennetts Agenda ist rechts, keine Frage. Doch obwohl er ganz hinter der Sache der Siedler steht, verkörpert er in keiner Weise das Klischee des Steine werfenden Extremisten, der in schmuddeligen Containern auf irgendwelchen Hügeln im Westjordanland seine politische Überzeugung hinausschreit. Trotz Häkelkippa auf dem Hinterkopf demonstriert er Professionalität und Modernität. Bennett selbst hat sich in Raanana niedergelassen, einer schmucken Stadt, etwa 15 Kilometer vor den Toren Tel Avivs mit viel Hightechindustrie und einer illustren Einwanderergemeinde aus den USA und Frankreich. Vor sieben Jahren war er mit dem Verkauf seines Start-up-Unternehmens zum Multimillionär geworden und in die Politik gewechselt.
Säkular Um seine Wählerschaft über die Siedlergemeinde hinaus zu erweitern, ist er mehrsprachig auf den sozialen Plattformen omnipräsent. Zudem holte er Ajelet Schaked, eine junge säkulare Frau aus Tel Aviv, und den sefardischen Rabbiner Elijahu Bendahan mit ins Parteiboot. Zugleich macht er aus seiner Gesinnung keinen Hehl. Bennett, der einst der Siedlervertretung im Westjordanland, dem Jescha-Rat, vorsaß, zieht gemeinsam mit der Nationalen Union ins Rennen um die Knessetsitze. Die stehen noch weiter rechts als sein »Jüdisches Haus«.
Einen eigenen Palästinenserstaat lehnt er kategorisch ab, präsentierte stattdessen den sogenannten »Bennett-Plan«. Dabei würde Israel sämtliche C-Gebiete im Westjordanland annektieren (etwa 60 Prozent) und den Palästinensern mehr Kontrolle über die A- und B-Gebiete zusprechen, darunter große Städte. Die Palästinenser lehnen diesen Vorschlag ab, da er einen eigenen Staat für sie praktisch unmöglich macht.
Trotz seiner Eloquenz und des professionellen Auftretens ist Bennett doch ein Lapsus durchgegangen. Während einer Wahlveranstaltung erklärte er kürzlich, dass er, wäre er noch in der Armee, sich weigern würde, jüdische Siedlungen im Palästinensergebiet zu evakuieren. Prompt warfen ihm Netanjahu und andere vor, er würde zur Befehlsverweigerung aufrufen. Bennett ruderte zurück.
eliteeinheit Eigentlich hätte ihm diese Aussage politisch das Genick brechen können. Die Armee genießt in der israelischen Gesellschaft höchstes Ansehen, zur Befehlsverweigerung aufzurufen, kommt einem Landesverrat gleich. Doch das Gegenteil trat ein. Nach den umstrittenen Aussagen schnellten die Umfrageergebnisse für das »Jüdische Haus« noch weiter in die Höhe. Wahrscheinlich kam Bennett zugute, dass er selbst in einer Eliteeinheit der Armee gedient hatte, was ihm vor allem Stimmen bei der jungen Wählerschaft einbringt.
Doch auch Netanjahu trug sein Teil dazu bei. Er kritisierte Bennett öffentlich aufs Schärfste. Zudem tauchten anonyme Plakate auf, die den politischen Aufsteiger anprangerten. Es stellte sich heraus, dass sie vom Likud in Auftrag gegeben worden waren. Sogar bei eingefleischten Likud-Wählern sorgte diese Tatsache für unverständiges Kopfschütteln. Jossi Verter, Kommentator der linksliberalen Zeitung Haaretz, schrieb: »Es war Netanjahu persönlich, der Bennett zum Liebling der Rechten und zu einer nationalen Figur gemacht hat.«
Offenbar hat sich der Premier dieses Mal bei seinen politischen Ränkespielen verkalkuliert. Eigentlich ist Netanjahu Experte beim Überholen auf dem politischen Parkett. Doch dieser Bennett aus dem »Jüdischen Haus« bremst ihn gerade gnadenlos aus.