Im Liliyot isst nicht nur das Auge mit. Das koschere Restaurant im schicken Tel Aviver Gerichtsviertel serviert sämtliche Speisen mit einer Prise Mizwa – einer guten Tat. Denn die jungen Menschen, die hier in den Kochtöpfen rühren, sind allesamt gefährdete Jugendliche im Alter von 16 bis 18 Jahren. Im Liliyot erhalten sie eine solide Ausbildung zum Koch und die Chance auf einen Neustart.
Jetzt wurde das Lokal von dem renommierten Dienstleister für Wirtschaftsinformationen, Dun & Bradstreet, in die Liste der Top 100 sozialen Unternehmen in Israel aufgenommen. »Wegen seines einzigartigen Beitrags zur Gesellschaft«, wie es bei der Verleihung der Auszeichnung hieß.
Die Teenager kommen aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen und sozialen Schichten und mit allen möglichen Problemen. »Viele sind mit dem Gesetz in Konflikt geraten, haben große Schwierigkeiten zu Hause und die Schule abgebrochen«, erklärt Tamar Levine von »Dualis«, einem der Eigentümer des Lokals.
Dualis, gegründet von Alan Barkat, ist Investmentfonds und Nichtregierungsorganisation in einem und hat sich auf die Fahnen geschrieben, in soziale Projekte zu investieren. »Wir sind der Meinung, dass ein Unternehmen beides sein kann: sozial und gewinnbringend«, erläutert Levine. »Das ist die neue Philanthropie.«
Fleisch In diesem Sinne ist auch das Liliyot mehr als nur ein wohltätiges Projekt. Gegründet 1999 von ELEM, einer NGO, die gefährdeten Jugendlichen hilft, hat es sich in den vergangenen Jahren zu einem der besten koscheren Fleischrestaurants des Landes gemausert. »Wir sind ein hochwertiges Lokal, in das die Menschen wegen unserer Speisen und unseres Services kommen.«
Dass die Gäste während des Essens von dem sozialen Aspekt erfahren, sei gewünscht, ist aber kein Muss. Neben den Servietten liegt eine kleine weiße Karte, auf der in Hebräisch und Englisch die Agenda steht: »People. Food. Soul.«
Für die Teenager ist die Arbeit im Liliyot nicht nur ein Job, sondern die oft einzige Möglichkeit für ein geregeltes Leben. In zwölf bis 18 Monaten werden ständig zehn bis zwölf von ihnen in zwei Lokalküchen ausgebildet. Neben dem vorgesetzten Chefkoch ist eine fest angestellte Sozialarbeiterin für sie da. Im Alltag arbeiten sie als Team in der strikten Ordnung einer Restaurantküche, die den Rahmen bildet. Nicht alle aber finden sich schnell in diesen ein.
Anat Magrisso weiß das genau. Die Köchin ist vom ersten Tag an dabei und arbeitet mit den Jugendlichen Hand in Hand. Anfangs gibt sie ihnen simple Aufgaben, Zitronen schneiden und auspressen etwa. »Fast alle müssen sich erst einmal an körperliche Arbeit gewöhnen und die grundlegenden Regeln lernen. Die wenigsten sind es gewohnt, den ganzen Tag lang auf den Beinen zu stehen und in einem vorgegebenen Zeitplan zu funktionieren.« Doch Magrisso gibt auch bei schweren Fällen nicht auf: »Es ist ein Prozess, bei dem man Geduld haben muss. Am Ende funktioniert es, bei einigen geht es schneller, bei anderen dauert es etwas länger.« Probleme und schwierige Phasen, meint sie, hätten wir schließlich alle.
Träume Ist das erste Eis gebrochen, wird viel geredet. »Wir sprechen über alles Mögliche, von Alltäglichem bis zu ganz Persönlichem.« Drei Themen allerdings haben in ihrer Küche nichts zu suchen: Drogen, Alkohol und Politik. Dafür darf umso mehr über Träume und Hoffnungen erzählt werden. Nach einer Weile kämen die bei allen wieder auf. »Irgendwann kommt der Punkt, an dem ich sehe, dass sie wieder Lust aufs Leben bekommen. Das ist das Beste an meinem Job.« Ob Zitronen schneiden, Saucen rühren oder als Fortgeschrittene das feinste Steak zubereiten – die tägliche Arbeit steht ganz im Zeichen der Perspektivenbildung.
Offenbar zahlt sich diese Strategie aus. In regelmäßigen Abständen lässt Dualis in Zusammenarbeit mit der Bar-Ilan-Universität untersuchen, wie die jungen Menschen nach dem Abschluss ihr Leben regeln. 80 bis 90 Prozent der Absolventen führen im Anschluss an ihre Ausbildung ein normales Leben mit einer festen Arbeit. Seit 1999 haben 250 einstige gefährdete Jugendliche durch das Liliyot die Möglichkeit zu einem Neuanfang erhalten.
Erfolg Und nicht nur für die jungen Menschen zahlt sich das Projekt aus. Auch der Staat profitiert: Nach Angaben von Levine kostet die Ausbildung eines gefährdeten Jugendlichen rund 60.000 Schekel pro Jahr. Gleichzeitig wird ein Vielfaches, rund eine Million Schekel (umgerechnet etwa 250.000 Euro), eingespart, weil der junge Mensch, statt den Staat Geld zu kosten, nun seinen Beitrag zur Gemeinschaft leistet. Die Regierung beteiligt sich derzeit mit 20 Millionen Schekel an sozialen Unternehmen wie dem Liliyot.
Levine ist überzeugt, dass ein großer Teil des Erfolgskonzepts die Arbeit mit Essen und die Einbindung in ein lebendiges Unternehmen ist. »Kochen ist authentisch, kreativ und in den letzten Jahren dazu sogar noch ziemlich stylisch geworden. Das Restaurant ist ein reales Geschäft mit wirklichen Kunden, Lieferanten und Bestellungen. Zu den Stoßzeiten geht es in den Küchen total verrückt zu, und unsere Angestellten müssen dann funktionieren.« Hilfreich sei auch, dass alle jeden Tag eine warme Mahlzeit bekommen. »Wenn die Mädchen und Jungs neu sind, ist es nicht selten die erste nach einer langen Weile.«
Für Levine persönlich ist es das schönste Gefühl, wenn sie Absolventen der Kochschule später in einem guten Restaurant irgendwo in der Stadt wiedertrifft und ihren Erfolg sieht. »Einer von uns hat sogar ein Lokal vom Spitzenkoch Jonathan Roschfeld übernommen, ein anderer eines in New York aufgemacht«, erzählt sie mit breitem Lächeln. »Wenn ich so etwas sehe, dann schmeckt das nächste Essen im Liliyot gleich noch einmal so gut.«