Bis vor wenigen Tagen standen die Zeichen auf Tauwetter. Israel und die Ukraine schienen einige ihrer Differenzen zu überbrücken und näherten sich zusehends an. Verteidigungsminister Yoav Gallant telefonierte mit seinem Amtskollegen Oleksii Reznikov, und Olena Zelenska, Frau des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, reiste nach Israel. Doch dann machte der Botschafter der Ukraine, Jewgen Kornijtschuk, seinem Unmut in verschiedenen Medien Luft. Und in Jerusalem ist man äußerst verärgert.
So sehr, dass man Kornijtschuk für diese »harten Aussagen« vorladen und rügen werde, ließ Außenminister Eli Cohen wissen. »Im Zuge seiner wiederholten Aussagen gegen israelische Politik wird der ukrainische Botschafter Jewgen Kornijtschuk zur Klärung einbestellt«, hieß es in einem Statement des Außenministeriums am Dienstag. Das Gespräch werde am 3. Juli stattfinden.
KRITIK Auf ihrer Facebook-Seite hatte die ukrainische Botschaft die »sogenannte Neutralität der israelischen Regierung« als »klare prorussische Position« bezeichnet. Die Reise von Cohen nach Kiew im Februar wurde als »fruchtlos« abgetan, Premierminister Benjamin Netanjahu warf man vor, »völlig fiktive und spekulative Annahmen« zu treffen. Der Premier hatte Bedenken geäußert, »dass alle Systeme, die wir der Ukraine geben, gegen uns verwendet werden könnten, weil sie in iranische Hände fallen könnten«.
In der Botschaftserklärung wurde Jerusalem außerdem dafür kritisiert, dass es »zwei Runden hochrangiger politischer Verhandlungen mit dem russischen Außenministerium« geführt habe. Die Teilnahme von israelischen Beamten am Empfang zum Russland-Tag in Jerusalem Anfang Juni sei »eine eklatante Missachtung moralischer Grenzen« gewesen.
Der ukrainische Botschafter wurde zur Klärung seiner Aussagen einbestellt.
»Wir fordern die israelische Regierung auf, ihre Position zu ändern und der Ukraine mit defensiven Mitteln zu helfen, die Freiheit und demokratische Weltordnung zu unterstützen«, heißt es abschließend in der Erklärung. »Wir erwarten, dass Israel auf der richtigen Seite der Geschichte steht!«
»Trotz der Komplexität gegenüber Russland steht Israel seit Ausbruch des Krieges bis heute an der Seite der Ukraine und hat sogar in internationalen Foren für die Verurteilung Russlands gestimmt«, verteidigte Cohen Israels Politik und fügte hinzu, dass das Land der Ukraine »beispiellose humanitäre Hilfe geschickt« habe. Bislang seien rund 20 Millionen Euro geflossen, in diesem Jahr soll es nach Aussagen von Cohen mehr sein.
Während seiner Ukraine-Reise wurde Cohen von seinem Amtskollegen Dmytro Kuleba gut aufgenommen, nachdem er 200 Millionen US-Dollar in Kreditgarantien für das Gesundheitswesen und die zivile Infrastruktur sowie Unterstützung bei der Entwicklung eines intelligenten Frühwarnsystems zugesagt hatte. Doch Kiew ist zunehmend über lange Wartezeiten frustriert. »Diese Jungs nehmen sich Zeit«, sagte Kornijtschuk. »Sie befinden sich ja nicht in einem Krieg.«
REISEWARNUNG Bislang hielt sich die Regierung von Premier Netanjahu mit Kritik gegenüber Russland zurück. Doch Anfang der Woche schlug Jerusalem andere Töne in Richtung Moskau an – mit einer Reisewarnung für das Land. Nach Angaben des Außenministeriums sollten Israelis »die Notwendigkeit« einer Reise nach Russland abwägen, nachdem das Regime von Präsident Wladimir Putin mit einer Meuterei der Söldnergruppe Wagner konfrontiert war. Zudem sollten Israelis, die sich bereits im Land befänden, »die Notwendigkeit eines Verbleibs abwägen«. Cohen sprach mit dem israelischen Botschafter in Moskau, Alex Ben Zvi. »Wir bereiten uns auf alle Szenarien vor.«
Bereits kurz nachdem die Empfehlung aus Jerusalem veröffentlicht worden war, befahl Wagner-Führer Jewgeni Prigoschin seinen Truppen, ihren Vormarsch auf die russische Hauptstadt Moskau zu stoppen. Die israelische Reisewarnung wurde jedoch nicht zurückgezogen.
Stattdessen plane das Außenministerium, in den kommenden Tagen zusätzliche Konsularbeamte nach Moskau und St. Petersburg zu entsenden, da eine erhöhte Nachfrage nach Reisedokumenten erwartet werde. Derzeit befinden sich Schätzungen des Außenministeriums zufolge rund 70.000 Israelis in Russland. Zudem seien eine halbe Million Juden und Menschen mit jüdischen Wurzeln zur Einwanderung nach Israel berechtigt.
Antisemitische Äußerungen aus Russland werden immer häufiger.
Allerdings wird Israel das beschleunigte Einwanderungsverfahren für diese Gruppe trotz prekärer Lage und der potenziellen Gefahr für Juden beenden. Das Verfahren wurde nach der russischen Invasion in der Ukraine eingeführt. Das Einwanderungsministerium gab bekannt, die Entscheidung sei angesichts der geringeren Anfragen aus Kriegsgebieten getroffen worden. Doch während in der Ukraine weniger Anträge gestellt wurden, wollen Juden in Russland und Weißrussland unvermindert einwandern. Tatsächlich hat sich die Zahl der Olim Chadaschim, die in diesem Jahr aus Russland kamen, im Vergleich zum Vorjahr nicht verändert.
VERFAHREN Der ehemalige Einwanderungsminister Zeev Elkin, Vorsitzender der Knesset-Lobby für Einwandererrechte, forderte, das beschleunigte Verfahren weiterhin aufrechtzuerhalten. »Sobald diese Überholspur geschlossen wird, müssen russische Juden ein Jahr warten«, sagte er besorgt. »Es gibt nichts Unheimlicheres, als diese Nothilfe zu verhindern – und das zu einer Zeit, in der die Lage in Russland so prekär ist.«
Antisemitische Äußerungen aus Russland werden immer häufiger. Putin hatte kürzlich behauptet, Selenskyj, der Jude ist, werde von anderen Juden als »Schande seines Glaubens« angesehen. Anfang des Jahres hatte der russische Außenminister, Sergej Lawrow, gesagt: Selbst wenn Selenskyj Jude sei, bliebe das bedeutungslos, weil sogar Hitler »jüdisches Blut« gehabt habe.
Ende vergangener Woche warf die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, dem israelischen Botschafter in der Ukraine, Michael Brodsky, »Verherrlichung des Nationalsozialismus« vor. Dieser hatte mit dem russischsprachigen, israelischen Sender Iton TV über zwei ukrainische Milizenführer gesprochen, die sich während des Zweiten Weltkrieges auf die Seite Nazi-Deutschlands gegen die Sowjetunion stellten. Das israelische Außenministerium wies Russland an, »Israel nicht über den Wert der Erinnerung an den Holocaust zu belehren«.