Knesset

Millionen für den Wahlkampf

Die Knesset beschließt am 29. Mai ihre Auflösung. Foto: Flash 90

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Noch nie war dieser Satz wahrer als derzeit in Israel. Zum ersten Mal seit der Staatsgründung werden innerhalb eines Jahres zweimal Parlamentswahlen abgehalten. Nur 50 Tage nach dem letzten Wahlkampf folgt ein neuer. Doch was kostet das den Steuerzahler?

Bis jetzt betrug das kürzeste Intervall zwischen zwei Knessetwahlen ein Jahr und neun Monate, in den Jahren zwischen 1959 und 1961. Dieses Mal wird es lediglich fünf Monate betragen. In dieser Zeit haben die Abgeordneten nicht ein Gesetz vorgeschlagen oder durchgebracht. Die einzige Abstimmung war die zur Auflösung der Knesset.

Gehalt Anschließend ist die Mehrzahl der Aufgaben für die Parlamentarier ausgesetzt worden. Bezahlt werden sie trotzdem. Ein Knessetmitglied erhält beispielsweise 43.000 Schekel im Monat (etwa 10.750 Euro), dazu ein umfassendes Budget für Berater und parlamentarische Angestellte. Und das, obwohl es für die nächsten dreieinhalb Monate praktisch keine Komiteesitzungen oder Besprechungen gibt. Diese Kosten allein belaufen sich auf Hunderte von Millionen Schekel.

Hinzu kommt das Budget für das allgemeine Wahlkomitee. Außerdem werden Gelder für die Vorbereitungen und die Wahlhelfer benötigt. Das Finanzministerium schätzt diese Ausgaben auf rund 250 Millionen Schekel (63 Millionen Euro), die Parteien erhalten zudem etwa 200 Millionen Schekel (50 Millionen Euro) an Zuschüssen für ihre Kampagnen. Die direkten Kosten werden sich also auf rund eine Milliarde Schekel belaufen – das sind 250 Millionen Euro.

BUDGET Natürlich hat das Finanzministerium keinen Sonderposten für doppelte Wahlen innerhalb eines Jahres eingeräumt. Doch wie bei anderen außergewöhnlichen Ausgaben, etwa im Kriegsfall, wird das Geld irgendwie aufgebracht, um das demokratische Verfahren durchzuführen. Wahrscheinlich wird dies zunächst durch Kürzungen in den verschiedenen Ministerien geschehen. Später kann es auch sein, dass die Kosten auf den Bürger in Form von Steuererhöhungen umgelegt werden.

Jeder Wahltag kostet die Wirtschaft 1,8 bis 2,5 Milliarden Schekel.

Zu den direkten kommen die indirekten Kosten, die durch arbeitsfreie Tage entstehen. Denn jeder Wahltag ist ein Feiertag. Schulen, Kindergärten, viele öffentliche Einrichtungen sowie die meisten Büros und Geschäfte bleiben geschlossen. Das tägliche Bruttoinlandsprodukt von Israel beträgt fünf Milliarden Schekel. Der Verlust durch die komplette Schließung des öffentlichen und privaten Sektors wird von Wirtschaftsexperten mit eineinhalb oder sogar zweieinhalb Milliarden Schekel angegeben (375 bis 625 Millionen Euro).

Ofer Kenig, Forscher am Israelischen Demokratieinstitut, merkt an, dass es innerhalb eines Jahres drei Wahlen gegeben haben wird: im Oktober 2018 Kommunal-, im April und September 2019 Parlamentswahlen. »Jeder Tag kostet die israelische Wirtschaft zwischen 1,8 und 2,5 Milliarden Schekel. Damit wird sich der Verlust allein durch Wahltage innerhalb eines Jahres auf sechs bis sieben Milliarden belaufen.«

STEUERN Andererseits ist es auch möglich, dass die Steuerzahler von den Neuwahlen – oder besser gesagt: der Lähmung der Regierungsarbeit – profitieren, wenn auch nur temporär. Denn zunächst kann die Knesset keine Erhöhungen oder Änderungen beschließen. Doch die Entscheidung, die 21. Knesset aufzulösen, hat Auswirkungen auf viele Bereiche des täglichen Lebens. Durch die Abwesenheit einer dauerhaften Regierung werden Beschlüsse aufgeschoben, dazu gehören auch die Benennungen von Posten und Positionen, etwa die eines Polizeichefs oder von Staatsanwälten.

So ist auch die Arbeit des neuen Stabschefs Aviv Kochavi extrem eingeschränkt. Kochavi weiß noch immer nicht, wer sein neuer Vorgesetzter im Verteidigungsministerium sein und wie viel Geld ihm zur Verfügung stehen wird, um seine Reform der Armeestrukturen umzusetzen. Dazu gehört unter anderem die Einrichtung einer Spezialeinheit, um auf die Gefahren aus dem Gazastreifen besser vorbereitet zu sein. Doch auch Großprojekte wie die Mauer entlang des Gazastreifens, der neue Zaun an der Grenze zum Libanon, der Bau eines Technolgie- und Geheimdienstzentrums in der Negevwüste und anderes sind derzeit eingefroren und müssen warten, bis eine neue Regierung eingeschworen ist. Und das wird noch Monate dauern.

Auch das Bildungs-, Justiz- und Gesundheitssystem leiden. So hat etwa das Komitee zur Ernennung von neuen Richtern seit sechs Monaten nicht getagt. Auch können keine Anpassungen im Gesundheitsbereich erfolgen, die besagen, welche Behandlungen und Medikamente vom Staat subventioniert werden. In diesem Jahr hat sich das Panel noch nicht ein einziges Mal versammelt, weil es de facto keinen Gesundheitsminister mit Entscheidungsgewalt gibt. Sogar drängende Themen wie der chronische Mangel an Krankenhausbetten, die extrem langen Wartezeiten für nicht lebensrettende Operationen und der Personalmangel in Krankenhäusern werden seit Monaten nicht thematisiert – und damit auch nicht verbessert.

WANDEL Wie wohl die meisten Experten, so war auch der Präsident des Israelischen Demokratieinstituts, das ehemalige Knessetmitglied für die Partei Kadima, Yohanan Plesner, überrascht von der Entwicklung. »Ich glaube, damit hat niemand gerechnet. Schließlich gab es noch nie eine Situation, in der nicht sofort nach den Wahlen eine Regierung gebildet wurde.« Die Gründe für die jetzige Situation waren vielfältig. Zum einen, erläutert er, seien die charedischen Parteien, die traditionell flexibler bei der Koalitionsbildung waren, nach rechts gerückt und hätten ihre Forderungen ausgeweitet. Eine andere Gruppe habe genau diese Dominanz der Ultraorthodoxen nicht gewollt.

Das drohende Verfahren gegen Premier Benjamin Netanjahu habe zudem eine große Rolle gespielt, »denn dadurch konnte er niemanden vom Zentrum in seine Koalition locken, was vielleicht zu einer stabilen Mitte-Rechts-Regierung geführt hätte«. Zum anderen habe Netanjahu »seine extremen Pläne für den Schutz seiner Immunität öffentlich gemacht«.

Ein Experte schlägt eine Wahlrechtsreform vor, um ein Patt zu verhindern.

Dies sei zufällig mit dem Wandel von Avigdor Lieberman zusammengefallen, der seine Stammwähler nicht mehr nur aus den Neueinwanderern der ehemaligen Sowjetunion rekrutieren kann, da diese mittlerweile besser in die israelische Gesellschaft integriert sind. »Er musste sich neu erfinden, tat dies und war damit in einer Situation, in der er nur gewinnen konnte.« Plesner meint, dass Lieberman bei den kommenden Wahlen einige Mandate mehr holen könnte. »Allerdings könnte das dann wiederum zu Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung führen.«

Plesner schlägt eine Lösung vor, damit Israel nicht noch einmal einen derartigen politischen Stillstand erleben muss: »Das Wahlverfahren müsste überholt werden, denn jetzt sind seine ganzen Schwächen deutlich geworden.« Er schlägt vor, dass die Partei mit den meisten Stimmen den Regierungschef stellt – auch ohne Mehrheit bei den Knesset-Mandaten. »Denn das ist derjenige, dem die Öffentlichkeit zutraut, dass er die Geschicke des Staates lenken kann.« Andere Parteien könnten dann auch zu einem späteren Zeitpunkt in die Regierung eintreten. Für jedes separate Gesetz oder jede Änderung müsste verhandelt und eine Koalition gefunden werden. »Und mit den endlosen Erpressungen und der Instabilität, wie es sie heute gibt, wäre es vorbei.«

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