Man habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, ließ die israelische Vereinigung der Mediziner wissen. Und doch beschloss sie, für Mittwochmorgen einen zweistündigen Warnstreik anzukündigen.
Das ist nur eine der Konsequenzen des zweiten »Tages der Störungen« gegen die Justizreform durch die Regierung in Jerusalem, der am Dienstag seit den frühen Morgenstunden Israel im Griff hält.
STRASSEN Im ganzen Land waren Straßen stundenlang für den Verkehr gesperrt, einige sind mittlerweile von der Polizei wieder freigegeben. Hunderte Demonstranten hatten am Morgen eine Hauptkreuzung in Ramat Gan östlich von Tel Aviv blockiert, wurden jedoch von der Polizei, darunter auch berittene Beamte, gewaltsam entfernt.
Insgesamt seien mindestens 21 Menschen festgenommen worden. Zeitweilig wurde auch der Eingang des Hauptquartiers der Armee in Tel Aviv, Kiria, von Protestierenden blockiert.
»Diese Gesetzgebung ist gefährlich und könnte die Rechte von Ärzten und organisierten Arbeitnehmern beeinträchtigen.«
zion hagay
Der Warnstreik der Ärztevereinigung sei mehr Symbol denn wirkliche Arbeitsniederlegung, da er lediglich eine Verkürzung der Arbeitszeiten und keinen völligen Stopp des Systems bedeute, erklärt die Organisation. Würde der Wortlaut des Gesetzes zur Angemessenheitsklausel im Rahmen der sogenannten »Justizreform« jedoch nicht geändert, wäre ein Generalstreik die Konsequenz.
VORSITZENDER Es gibt allerdings auch Vereinigungsmitglieder, die die Regierungspolitik unterstützen. Der Vorsitzende der Ärztevereinigung, Professor Zion Hagay, sprach sich bei einem Treffen der Führungsriege gegen die Durchsetzung der Justizreform aus und erläuterte detailliert, wie »gefährlich diese Gesetzgebung ist und wie sie die Rechte von Ärzten und organisierten Arbeitnehmern beeinträchtigen könnte«. Hagay entscheidet letztlich, welche Proteste genehmigt werden.
Einen Generalstreik forderten auch Hunderte von Demonstranten vor dem Gebäude der Histadrut in Tel Aviv, der größten und mächtigsten Gewerkschaft des Landes. Dutzende hatten sich auch vor den Histadrut-Büros in Jerusalem versammelt.
GEWERKSCHAFT Protestführer versuchten in den letzten Tagen, die Histadrut und andere Gewerkschaften davon zu überzeugen, vor der Verabschiedung des Gesetzes zur Aufhebung der Angemessenheitsklausel in der kommenden Woche einen landesweiten Streik auszurufen. Die Histadrut lehnt dies jedoch bislang ab.
Einige Tausend Demonstranten machten vor dem Rabbinatsgericht ihrem Unmut Luft und beschmierten die Wände mit Parolen, darunter »Buscha – Schande«. Die Polizei versuchte, den Eingang zum Gebäude mit einer Kette von Beamten zu schützen.
»Dies ist Anarchie, die auf illegale und undemokratische Weise ausgeübt wird.«
Oberrabbiner David Lau
Der aschkenasische Oberrabbiner David Lau kommentierte das Geschehen mit den Worten: »Dies ist Anarchie, die auf illegale und undemokratische Weise ausgeübt wird. Die Richter des Gerichts lassen sich nicht abschrecken und werden weiterhin treu ihre Arbeit für die Bürger tun.« Er appellierte an die Strafverfolgungsbehörden, »mit der vollen Härte des Gesetzes« zu reagieren.
Wirtschaftsvertreter kündigten derweil an, am Donnerstag in Jerusalem ein Protestzelt aufzubauen, um die Weiterentwicklung der Gesetzgebung zu stoppen. »Einseitiges Erlassen von Gesetzen wird zur Zerstörung der Wirtschaft und des Landes führen. Veränderungen müssen durch Verhandlungen herbeigeführt werden«, heißt es in einer Stellungnahme des sogenannten Wirtschaftsforums. Zu der Gruppe gehören Eigentümer von Banken, Hotels, Einkaufszentren und Modehandelsketten.
KOMPROMISS Premierminister Benjamin Netanjahu prüft Berichten in israelischen Medien zufolge momentan die Möglichkeit, den höchst umstrittenen Gesetzentwurf abzuschwächen. Oppositionsabgeordnete sind indes nicht an Gesprächen über einen eventuellen Kompromiss beteiligt.
Staatspräsident Herzog veröffentlichte am Dienstagnachmittag eine Erklärung, laut der er »jede Anstrengung, umfassende Vereinbarungen zu erzielen«, begrüße. »Denn wenn nur eine Seite gewinnt, verliert das Land.«
Am Dienstag enthüllte Tel Avivs Bürgermeister Ron Huldai ein neues Schild im Herzen seiner Stadt. Der zentrale Ort, an dem seit 29 Wochen jeden Samstag nach dem Ende des Schabbats die Proteste gegen die kontroverse Justizreform stattfinden, heißt jetzt: »Platz der Demokratie«.