Aus Angst vor Israels erwarteter Bodenoffensive im Gazastreifen gegen die islamistischen Hamas-Angreifer suchen Hunderttausende Palästinenser unter katastrophalen Bedingungen Schutz im Süden des hermetisch abgeriegelten Küstenstreifens. Nach mehreren Evakuierungsaufrufen Israels an die Zivilbevölkerung hätten sich dort inzwischen mehr als 600.000 Menschen hinbegeben, teilte der israelische Armeesprecher Daniel Hagari am Sonntag mit.
Israel will weitere Angriffe der Terrororganisation Hamas unterbinden, seine Bürger schützen und die Struktur des Terrors zerstören.
Die Versorgung der dicht gedrängten Menschenmassen ist jedoch schwierig. Wenigstens Wasser sollen sie wieder bekommen. Das kündigte Israels Energieminister Israel Katz am Sonntag auf der Plattform X (vormals Twitter) an. Derweil brachte die Bundeswehr weitere 60 Deutsche aus Israel zurück.
Gaza bekommt wieder Wasser
Die Wiederherstellung der Wasserversorgung werde dazu beitragen, dass die Zivilbevölkerung - wie von Israels Armee gewünscht - den Norden der schmalen Küstenenklave räume und sich in den Süden bewege, sagte Katz. Israels Militär könne so die Zerstörung der Infrastruktur der Hamas im Norden intensivieren, erklärte der Minister.
Beobachter gehen davon aus, dass das israelische Militär die mehr als eine Million Palästinenser im Norden des Küstenstreifens zur Evakuierung in den Süden aufgefordert hat, weil eine Bodenoffensive bevorsteht.
Israel will die im Gazastreifen herrschende Hamas zerstören, die bei dem beispiellosen Terrorüberfall auf Israel vor mehr als einer Woche mehr als 1300 Menschen ermordet und 3600 Menschen verletzt hatte. Israels Armee konnte inzwischen die Entführung von 199 Menschen aus Israel in den Gazastreifen bestätigen.
Kein direkter Kontakt
Die Angehörige seien informiert worden. Die Armee werde alles tun, um sie nach Hause zu bringen. Unter den Entführten sind auch acht Deutsche. Die Bundesregierung hat nach Aussagen von Außenministerin Annalena Baerbock weiter »keinen direkten Kontakt« zu den deutschen Geiseln.
Die Taten und die Politik der Hamas repräsentieren nach den Worten von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas nicht das palästinensische Volk. Er lehne die Tötung von Zivilisten auf beiden Seiten ab, betonte Abbas, der die Autonomiebehörde im Westjordanland leitet, am Sonntag in einem Telefonat mit Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro, wie die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa berichtete. Abbas forderte alle Beteiligten auf, Gefangene freizulassen.
Abbas erwähnte diesmal die Terror-Gehältner nicht, die seine Palästinensische Autonomiebehörde sogenannten Märtyern zahlt, die Israelis ermorden. Dies hatte er in den vergangenen Jahren immer wieder offen eingeräumt. Der Palästinenserpräsident wurde vor 18 Jahren für vier Jahre gewählt.
»Am Rand des Abgrunds«
Angesichts eines Nahen Ostens »am Rande des Abgrunds« forderte auch UN-Generalsekretär António Guterres eindringlich die sofortige Freilassung der Geiseln sowie einen raschen humanitären Zugang zum Gazastreifen. »Jedes dieser beiden Ziele ist berechtigt«, sagte Guterres am Sonntag in New York laut einer Mitteilung.
Unterdessen soll der einzige Grenzübergang aus dem Gazastreifen zum Nachbarland Ägypten einer ägyptischen Sicherheitsquelle zufolge am Montag für die Ausreise von ausländischen Staatsangehörigen geöffnet werden.
Den Angaben zufolge laufen dafür die Vorbereitungen. Auch die Einfuhr von humanitären Hilfslieferungen über den Grenzübergang Rafah soll demnach ermöglicht werden. Für die Menschen im Gazastreifen gibt es im Moment keine Möglichkeit, das Gebiet zu verlassen.
Zahl der Toten steigt weiter
Israels Luftangriffe als Antwort auf die beispiellosen Massaker der Hamas haben schwere Verwüstungen angerichtet. Mehr als 1000 Menschen seien unter Trümmern verschüttet worden, darunter seien Verletzte und Tote, teilte der »Zivilschutz« der Hamas im Gazastreifen am Sonntag mit. Die Zahl der Toten im Gazastreifen stieg unterdessen auf 2670. Dies teilte das Gesundheitsministerium in Gaza, das auch der Hamas untersteht, am Sonntagabend mit.
Die Angaben der Terrororganisation, zu deren Strategie es gehört, Israel der gezielten Tötung von Zivilisten zu beschuldigen - also ihrer eigenen Taten - können nicht bestätigt werden. In Gaza versucht die Hamas derweil, die von Israel zum Schutz der arabischen Zivilisten angeordnete Evakuierung in den Süden des Gazastreifens zu verhindern.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warnte den Iran vor einer Eskalation und Ausweitung des Konflikts, insbesondere im Libanon. Angesichts der engen Beziehungen Irans zur Hisbollah-Miliz im Libanon und zur Hamas im Gazastreifen trage die Führung in Teheran Verantwortung, sagte Macron in einem Telefonat mit dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raissi. Er forderte ihn auf, alles tun, um einen regionalen Flächenbrand zu verhindern. Die vom Iran finanzierte Hisbollah gilt als wesentlich schlagkräftiger als die Hamas.
Schusswechsel an Grenze zu Libanon
Seit den Terrorattacken der Hamas auf Israel und den Gegenschlägen Israels auf den Gazastreifen kam es regelmäßig zu Zwischenfällen an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon. Am Sonntagabend antwortete Israels Armee mit Gegenangriffen auf Attacken der Hisbollah. Israelischen Medienberichten zufolge wurden acht Menschen in Israel verletzt, einige davon schwer.
US-Außenminister Antony Blinken will nach seinem Besuch verschiedener Länder im Nahen Osten an diesem Montag erneut nach Israel reisen. Welche Termine dort geplant sind, war zunächst nicht bekannt. dpa/ja