Demonstration

Marsch der Illegalen

Mosche demonstriert mit. Gemeinsam mit seinen drei Mitarbeitern marschiert der 55-Jährige die Strandpromenade Tel Avivs entlang, skandiert aus vollem Hals: »Freedom, not prison« und klopft den dunkelhäutigen Männern rechts und links neben sich auf die Schultern. Der Eigentümer von zwei Falafelständen hat seine Lokale am Montag geschlossen. Aus Solidarität mit dem Protest der Afrikaner, die in Tel Aviv und Eilat gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung protestieren.

Mosche will seinen vollen Namen nicht abgedruckt sehen. Obwohl er den Streik »voll und ganz unterstützt«, wie er beteuert. Doch seine drei »Angestellten« sind illegal bei ihm beschäftigt. Sie haben keine Arbeitserlaubnis. »Und das ist die große Gemeinheit«, wettert der Mann. »Wehe, wenn einer von ihnen mal etwas Verbotenes tut. Dann heißt es sofort, das sind doch alles Kriminelle. Gleichzeitig erlaubt man ihnen nicht zu arbeiten. Also machen es die meisten illegal. Und das ist richtig so, denn sollen sie freiwillig verhungern?«

Ungerechtigkeit Jahrelang haben die Flüchtlinge geschwiegen, darauf bedacht, nicht aufzufallen. Jetzt aber machen sie ihrem Unmut Luft. Von Sonntag bis Dienstag erschienen die meisten von ihnen nicht zur Arbeit, um sich an den Demonstrationen zu beteiligen. Auf dem Rabinplatz skandierten am Sonntag etwa 30.000: »Ja zur Freiheit – Nein zum Gefängnis«. Mit Slogans wie diesen wollen sie vor allem auf die Ungerechtigkeit aufmerksam machen, dass viele sofort nach ihrer Ankunft inhaftiert wurden. Ihr einziges Vergehen: die illegale Einwanderung.

Vor Kurzem hatte die Regierung ein Gesetz erlassen, dass es ermöglicht, Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern für eine unbegrenzte Zeit ins Gefängnis zu stecken, ohne Angabe von Gründen oder ein Verfahren. Zusehends wurden Männer auf den Straßen von der Polizei aufgegriffen und in die Haftanstalten gebracht. Das offene Gefängnis Holot in der Negevwüste war extra für die Ankömmlinge aus den afrikanischen Ländern gebaut worden.

»To be black is not a crime« stand daher auf vielen Plakaten bei der Kundgebung am Dienstag im Levinsky-Park. Wieder waren Zehntausende gekommen, um die nächsten Maßnahmen zu diskutieren. Einigkeit herrscht vor allem in Einem: »Aufgeben ist keine Option.«

Friedlich Am vierten Tag haben sie es bis nach Jerusalem geschafft. Am Mittwoch protestierten rund 10.000 Menschen direkt vor der Knesset
gegen ihre Behandlung durch die Regierung. Obwohl einige Parlamentarier
erklärten, sie wollten sich mit ihnen treffen, wurde ihnen der Zutritt
zur Knesset verweigert. Sprecher Juli Edelstein hatte nach einem
Einspruch von Likud-Mitglied Miri Regev entschieden, der Eintritt von
»illegalen Einwanderern könnte eine Provokation darstellen und zu
Störungen und sogar Gewalt führen«.

Die
Kundgebung der Asylsuchenden verlief jedoch völlig friedlich und
organisiert. Wie bereits in Tel Aviv, so brachten sie auch am Mittwoch
ihre eigenen Ordner mit, die in neongelben Westen und mit Trillerpfeifen
dafür sorgten, dass es keinerlei Ausschreitungen gab.

Staatspräsident Schimon Peres betonte,
dass das Internationale Recht es verbiete, Menschen in Länder
abzuschieben, in denen ihnen der Tod drohe. Er versicherte, Israel werde
»moralisch handeln«, und erinnerte daran, dass viele Israelis noch
genau wüssten, was es heißt, ein Flüchtling zu sein. Vertreter
der Flüchtlinge hatten auch einen Brief an Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verfasst, in dem sie
ihn baten, mit ihnen zu reden, um eine Lösung zu finden. Doch
Netanjahu war nicht zu sprechen.

Solidarität Einer, der spontan mit ihnen
redete, war der bekannte israelische Autor David Grossman. Auf Englisch
drückte er seine Solidarität mit den Protestierenden aus und erklärte,
er sei »zutiefst beschämt« über die Lage, in der die Flüchtlinge sich
befinden. Israel habe die Situation nicht geschaffen, doch jetzt gebe es
ein Problem, und das müsse auf humane Weise gelöst werden. »Ihr seid
keine Kriminellen«, rief Grossman ins Megafon, »sondern normale
Menschen, die in einer unnormalen und extremen Situation feststecken.«

Bereits am Montag waren Zehntausende vom Levinsky-Park bis vor die Türen westlicher Botschaften, darunter auch die deutsche, und vor das Büro des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) gelaufen. Sie schwenkten die Flagge Eritreas und forderten, dass man ihre Asylanträge prüft. Die Vertreterin des UNHCR in Israel, Walpurga Englbrecht, hatte Jerusalem zuvor aufgerufen, seine Politik gegenüber Immigranten aus Afrika zu ändern. Das neue Gesetz kriminalisiere sie und entspreche nicht den »Gedanken der Flüchtlingskonvention von 1951«. Die Politik sorge für Angst und Chaos unter den Menschen und lasse »die Situation des Einzelnen völlig außer Betracht«.

Grenze Das Außenministerium kritisierte diese Worte und machte deutlich, dass die 53.600 betroffenen Menschen für das kleine Land Israel mit seinen acht Millionen Einwohnern eine »beträchtliche Herausforderung für die Wirtschaft und soziale Einrichtungen« darstellten. Den Großteil von ihnen machen Flüchtlinge aus Eritrea, dem Sudan und Äthiopien aus, die über die einst löchrige Grenze zu Ägypten kamen. Mittlerweile ist der Flüchtlingsstrom fast gänzlich versiegt, nachdem die Regierung den Grenzzaun zum Nachbarland verstärkt hatte.

Die meisten Afrikaner arbeiten in Cafés, Restaurants und Hotels. Der Betrieb vieler Lokale wurde durch ihr Fernbleiben an den drei Tagen empfindlich gestört. Doch statt Ärger zeigten die meisten Betreiber Solidarität. Viele schlossen ihre Läden am Sonntag ganz und hingen Schilder an die Türen und Fenster: »Wir protestieren gemeinsam mit unseren afrikanischen Angestellten gegen die Politik der Regierung.«

Geschirrspüler Was Innenminister Gideon Saar sofort konterte: »Das Geheule der Wirte über das schmutzige Geschirr wird nicht Israels Politik bestimmen. Lasst uns einmal darüber nachdenken, wie viele Israelis ihre Jobs verloren haben.« Doch Uri Gottlieb, bekannter Schauspieler und Restaurantbesitzer in Tel Aviv, überzeugen Saars Worte nicht: »Wir beklagen nicht, dass wir keine Geschirrspüler in unseren Läden haben.

Wir beklagen die Kommentare von Gideon Saar und den Schmerz der Menschen.« In einer gemeinsamen Erklärung vieler Betreiber heißt es, man würde gern Israelis einstellen, diese wollten jedoch weder Geschirr spülen noch Böden wischen. Man sei auf die Menschen aus Afrika angewiesen. Daher fordere man verlängerte Arbeitsgenehmigungen.

Visum Das will auch Denden aus Eritrea. Der junge Mann ist seit sechs Jahren in Israel und arbeitet in einem Restaurant in Ramat Gan. »Es geht mir gut hier«, sagt er. »In meiner Heimat muss ich den Tod fürchten.«

Eine Angst, die für Denden real geworden ist, denn bei der letzten Verlängerung seines Visums wurde ihm klargemacht: »Entweder du verlässt Israel freiwillig, oder wir stecken dich bald ins Gefängnis.« Weder das eine noch das andere ist für den 25-Jährigen eine Option. »Ich will einfach normal arbeiten und leben. Mehr nicht.« In zwei Monaten läuft seine Arbeitserlaubnis aus. Was dann geschieht, weiß Denden nicht.

Passivität Seit Jahren verfolgt die Regierung eine Politik der Passivität. Die Anerkennung der Einwanderer als Verfolgte wurde stets unter dem Vorwand abgelehnt, »dass dann bald ganz Afrika an unsere Türen klopft«. Die im Land lebenden Menschen fordern nun aber, dass ihre Asylanträge ordnungsgemäß geprüft werden.

Doch Regierungschef Benjamin Netanjahu beeindrucken die Proteste nicht. »Das sind keine Flüchtlinge, sondern illegale Einwanderer, die Arbeit suchen. Israel ist nicht ihre Heimat.« Um seinen Worten Gewicht zu verleihen, erklärte Netanjahu, man habe im vergangenen Jahr 2600 Menschen abgeschoben. »Und in diesem Jahr werden es noch mehr sein. Das ist unsere Verpflichtung.«

Falafelverkäufer Mosche sieht das anders. »Einer meiner Arbeiter hat jede Nacht auf dem Bürgersteig vor meinem Lokal geschlafen, bevor ich ihn angestellt habe. Jetzt kann er sich mit ein paar anderen Jungs eine Wohnung leisten. Es sind doch keine Hunde. Meine Verpflichtung ist es, die Afrikaner wie Menschen zu behandeln – aus welchen Gründen auch immer sie kommen.«

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