Bedroht
Die meisten israelischen Juden – laut einer Erhebung des Zentralamtes für Statistik konkret 58 Prozent – sind mit dem Verhältnis zwischen religiösen und weltlichen Bürgern unzufrieden. Allerdings ist die Unzufriedenheit unter den Säkularen weitaus stärker als bei ihren gläubigen Brüdern ausgeprägt: Während 67 Prozent der Säkularen das Verhältnis als schlecht bezeichnen, sind es unter den Nationalreligiösen 43 Prozent und unter den Ultraorthodoxen nur 41 Prozent. Wie es scheint, sind zumal die Ultraorthodoxen mit der heutigen Lage, in der ihre Kontakte zur weltlichen Umgebung auf ein unbedingt erforderliches Mindestmaß reduziert wurden, nicht ganz unglücklich und leben relativ behaglich untereinander. Dem gegenüber fühlen sich die Laizisten durch den steigenden Bevölkerungsanteil und den Einfluss der Orthodoxen bedroht.
Beschlossen
Justitia trägt – wie man weiß – eine Augenbinde, damit sie jeden Fall ohne Voreingenommenheit abwägen kann. Allerdings sind auch Richter nur Menschen und urteilen härter, wenn sie hungrig oder müde sind. Das haben Wissenschaftler der Ben-Gurion-Universität am Beispiel des beim Justizvollzug tätigen Ausschusses zur Verkürzung von Haftstrafen festgestellt. Die Ausschussmitglieder haben über Anträge auf das Erlassen des letzten Haftdrittels zu entscheiden. Wie die Studie zeigt, werden zu Beginn des Arbeitstages und nach der Mittagspause die meisten Anträge positiv beschieden. Mit fortschreitender Ar-beitszeit geht die Anerkennungsquote jedoch erheblich zurück. Jetzt bleibt nur noch abzuwarten, ob Häftlinge, deren Anträge abgewiesen wurden, eine Neuverhandlung beantragen – und zwar zu einer Stunde, in der die Richter satt und ausgeruht sind.
Befangen
Gleichgeschlechtliche Paare, die eine – staatlich nicht anerkannte, für sie persönlich und ihre Freunde aber wichtige – homosexuelle Hochzeit ausrichten wollen, werden von vielen israelischen Festsälen abgewiesen. Das fand die Tageszeitung Haaretz heraus. Der Grund für die negative Einstellung ist die Angst der Saalinhaber vor einer Aberkennung des Kaschrut-Zertifikats durch das jeweilige Stadt-rabbinat wegen des »Gräuels« einer Schwulen- oder Lesbentrauung. Zwar dürfen Rabbiner nach einem Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofes den Hechscher nicht von Kriterien abhängig machen, die in keinem Zusam-menhang mit dem Essen selbst stehen. Allerdings wollen sich die Festsäle nicht auf einen Streit mit den Schriftgelehrten einlassen.
Beschmutzt
Nur jeder zweite Israeli denkt daran, beim Ausflug in die Natur einen Müllsack mitzunehmen, um die Überreste des Familienessens und sonstige, von ihm produzierten Abfälle einzusammeln. Das ergab eine Umfrage der Gesellschaft für den Naturschutz. Wie es scheint, ist es um das praktische Umweltbewusstsein zwischen Eilat und Metula noch nicht so gut bestellt. Besonders arg steht es auch mit der Aufräum-Bereitschaft der Männer. Nur knapp jeder Dritte denkt an den Müllsack, wenn er in die Natur ausrückt. Dagegen sind es bei Frauen immerhin zwei Drittel. Wie es scheint, verändert sich die stereotype Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern nicht so schnell.
Beantragt
Ihr Präsident hält die israelischen Siedlungen im Westjordanland für illegitim. Die rund 1.000 Angehörigen einer christlichen Gruppe aus den USA stört das nicht weiter. Sie haben sich mit einer Bittschrift an die Vorsitzende des Einwanderungsausschusses der Knesset, Lia Schemtow, gewandt und um Hilfe bei der Immigration nach Israel gebeten. Und zwar nicht nur bei der Immigration, sondern auch der Gründung einer neuen Kollektiv-Siedlung in Samaria. Dort wollen die Israel-Freunde wie im Kibbuz leben, zum Judentum übertreten und zum Teil auch in der Armee dienen. Die Siedlerbewegung ist – versteht sich – gern bereit, die neuen Kollegen nach der Konversion aufzunehmen.
Beanstandet
Darf ein Rechtsanwalt an der Prostitution mitverdienen? Diese Frage stellte sich dem Standesgericht der israelischen Anwaltskammer. Kein Geringerer als der Kammerpräsident Juri Guy-Ron wurde als Mitbesitzer einer Werbeagentur enttarnt, die Anzeigen für Massagesalons und Begleitdienste schaltete. Die Ausrede, er sei an der laufenden Tätigkeit des Unternehmens nicht beteiligt gewesen, ließen die Kollegen nicht ganz gelten. Allerdings ließen sie sich vom Grundsatz »in dubio pro reo« leiten. Da Guy-Ron nicht nachzuweisen sei, dass ihm alle Details der Firmentätigkeit bekannt waren, ließen sie es bei einem strengen Verweis bewenden. Für den Angeklagten war das Urteil sicherlich erfreulich, für das Image des Berufsstandes aber nicht gerade vorteilhaft.
Beendet
Das Gute währt nicht ewiglich. Nach einem Jahrzehnt wird die »Mail aus Jerus@lem« oder das »Jerusalemer Telegramm«, wie die Rubrik zuerst hieß, eingestellt – nicht wegen Schreibmüdigkeit, sondern als Folge beruflicher Veränderungen beim Verfasser. Hoffentlich hat die eine oder andere Nachricht beim Leser leichtes Schmunzeln – oder aber Nachdenklichkeit – ausgelöst. Ein herzlicher Dank ergeht an die Redaktion, die der etwas anderen Berichterstattung aus Israel Platz bot.
Wladimir Struminski
Wir danken Wladimir Struminski ganz herzlich für die langjährige Tätigkeit. Seine »Mail« (beziehungsweise das »Jerusalemer Telegramm«) war für die Jüdische Allgemeine ein echtes Aushängeschild. Die Rubrik hatte zu Recht sehr viele Fans. Doch keine Angst, spannende, skurile und schöne Meldungen wird es in veränderter Form auch weiterhin an dieser Stelle geben.
Die Redaktion