Eigentlich ist Israel das perfekte Land zum Radfahren. Es regnet kaum, Schnee und Eis sieht man hier fast nie, und die vorbeiziehende Landschaft könnte nicht schöner sein. Allerdings lässt das Bewusstsein der anderen Verkehrsteilnehmer oft zu wünschen übrig.
Dennoch lässt Yotam Avizohar keinen Zweifel zu: »Außer im August sitze ich immer im Sattel.« Der Chef der israelischen Fahrradvereinigung (Israeli Bike Association) macht es genauso wie immer mehr seiner Landsleute. Sie steigen um und nutzen das Rad als Fortbewegungsmittel. Im vergangenen Jahr stieg der Verkauf von Zweirädern in Israel um zehn Prozent an.
Angeblich gibt es mittlerweile eine Million Fahrräder im Heiligen Land. Und das, obwohl sie noch vor einigen Jahren vor allem in Kibbuzim genutzt wurden – den Einkaufskorb fest auf dem Gepäckträger installiert –, wo die Wege so kurz sind, dass das Auto ohnehin unnötig ist. Es folgten Männer und Frauen, die das Radeln ausschließlich als Sport ansahen und an Samstagvormittagen in bunten Trikots und Helmen entlang der Schnellstraßen düsten.
statistik Auffallend ist die neue Dichte vor allem in Tel Aviv. Statistiken zufolge besitzen hier zwischen 70 und 80 Prozent aller Einwohner ein Rad. Eine aktuelle Zählung derer, die tatsächlich in die Pedale treten und ihre Drahtesel nicht nur im Keller stehen haben, ergab, dass ihre Zahl in den letzten vier Jahren um 53 Prozent gestiegen ist. Etwa 15.000 Leute sollen hier regelmäßig von A nach B radeln, schon zehn Prozent aller Arbeitnehmer und Studenten im Zentrum benutzten das Rad, um zum Job oder an die Uni zu kommen.
»Völlig logisch«, findet Micha Cohen, der an der Universität Tel Aviv studiert. Der 24-Jährige hat eine Weile in Holland gelebt und sich das Radfahren dort zur Gewohnheit gemacht. »Trotz des vielen Regens habe ich es den Niederländern nachgemacht, mich auf den Sattel geschwungen und sofort in diese Art der Fortbewegung verliebt«, erzählt er. »Heute kann ich gar nicht mehr anders, es ist völlig selbstverständlich geworden. Ich fahre überall ausschließlich mit dem Rad hin.«
Avizohar hält es ähnlich. »Ich bin aber kein Fanatiker«, stellt er klar. »Manchmal setze ich mich ins Auto. Doch die Vorteile des Fahrrads sind nicht zu übertreffen: Im Vergleich kostet es fast nichts, Radfahren ist gesund, macht Spaß, und über quälende Parkplatzsuche in der Großstadt kann man nur noch lachen.«
masterplan Das Verkehrsministerium hat das offenbar noch nicht erkannt. Lediglich sechs Millionen Euro sind im Gesamtbudget für Radwege abgestellt. »Lächerlich«, schimpft Avizohar. »Bedenkt man, dass ein Kilometer Radweg eine Million Schekel kostet, ist das ein Witz. So stehen für das gesamte Land 30 Kilometer zur Verfügung.«
Die Stadt Tel Aviv indes lobt der passionierte Radler: »Bürgermeister Ron Huldai hat oft Mut bewiesen, wenn es um den Einsatz für Fahrräder ging.« Jüngst erst ließ er 60 Parkplätze entfernen, um Platz für einen Radweg zu machen. Und das, obwohl die Stadt unter chronischem Mangel an Stellplätzen für Pkws leidet.
Trotz Gemaule der Autofahrer macht das Beispiel Schule: So sollen im angrenzenden Ramat Gan in naher Zukunft diverse Wege gebaut werden, auf denen ohne Gefahr geradelt werden kann. Fast alle urbanen Ansiedlungen im Zentrum des Landes hätten einen Masterplan für eine fahrradfreundliche Entwicklung, weiß Avizohar. An vielen Orten sollen zudem stadtübergreifende Verbindungswege entstehen, etwa zwischen Herzliya und Tel Aviv.
Leihräder Auch für jene, die kein Fahrrad besitzen, oder Pendler aus anderen Städten gibt es seit einigen Monaten eine umweltfreundliche und kostengünstige Alternative zum Bus oder Taxi. 550 Leihfahrräder an 80 Stationen sind heute in Tel Aviv im Einsatz.
Für etwas unter 50 Euro kann man ein Jahresabonnement kaufen und dann radeln, so viel man möchte. Die Zahl der Leihräder soll in Kürze auf 1.500 ansteigen, Stationen sind für alle Viertel der Stadt geplant. Andere Orte, darunter Herzliya und Givataim, wollen den Service jetzt auch in ihren Kommunen anbieten.
Doch es sind nicht mehr nur die Hippen und Jungen aus der Stadt am Meer, die in die Pedale treten. Sogar das alte Jerusalem will sich dem Trend anpassen. Die Gesellschaft für den Schutz der Natur in Israel (SPNI) schätzt, dass täglich um die 3.500 Radfahrer durch die Stadt radeln. Tendenz steigend.
»Bedenkt man, dass Jerusalem über keinerlei Fahrrad-Infrastruktur verfügt, ist das eine enorme Zahl«, so Pnina Kaplan von der SPNI. Die Zählung fand allerdings heraus, dass der Großteil – 90 Prozent – Männer über 18 Jahre sind. Kaplan nimmt an, dass die geringe Zahl der Frauen im Sattel etwas mit dem Fehlen von Radwegen und der damit verbundenen Unsicherheit zu tun hat.
Sicherheit Für Israels Fahrradvereinigung ist es eines der obersten Ziele, die Sicherheit zu erhöhen. In Zusammenarbeit mit der Polizei, im Austausch mit Ministerien und Interessengruppen versucht sie, das Bewusstsein der Auto- und Lkw-Fahrer – aber auch der Fußgänger – auf die Zweiräder zu lenken. »Viele denken, es ist nur ein Hobby«, erklärt Avizohar. »Sie meinen: Die Radfahrer sollen in den Park, die Straße gehört den Autos.
Es muss also noch jede Menge Überzeugungsarbeit geleistet werden, damit wir als echte Verkehrsteilnehmer anerkannt werden.« Dieser Mangel an Bewusstsein führt nicht selten zu Unfällen mit Radfahrern. Erst vor wenigen Wochen raste ein Autofahrer in eine Gruppe von Radlern auf der Landstraße bei Latrun. Zwei Menschen starben, zwei wurden schwer verletzt.
Der Leiter der Fahrradvereinigung meint, dass Anregungen aus dem Ausland helfen könnten. »Andere sind wesentlich erfahrener, was Radfahren angeht, auch Deutschland«, sagt er. Um den Austausch zu fördern, haben er und seine Kollegen »Bikebuddies« ins Leben gerufen, wo sich Radler aus Israel und dem Ausland austauschen und sich besuchen können, um gemeinsam in den Sattel zu steigen. »Das ist das ultimative Ziel. Dass sich die ganze Welt durch das Radfahren verbindet.«