Abkommen

Liri diktierte ihr eigenes Geiselvideo

Liri Albag kurz nach ihrer Befreiung mit ihren Eltern Foto: IDF-Spokesperson

Jeden Tag kommen neue Details über die Gefangenschaft der israelischen Geiseln ans Licht. »Sie erzählen und erzählen. Es ist so, als müssten sie sich alles von der Seele reden.« Das sagten die Eltern der fünf befreiten IDF-Späherinnen jetzt über ihre Töchter. Viele der Berichte spiegeln ausgeprägten Überlebenswillen, Einfallsreichtum und Widerstandsfähigkeit in einer unfassbar grausamen Realität während der Geiselhaft im Gazastreifen wider.  

Liri Albag, die junge Israelin, die gerade einmal 18 Jahre alt war, als sie aus ihrer Militärbasis Nahal Oz brutal von der Hamas entführt wurde, wusste sich und ihren Mitgeiseln in vielen extrem schwierigen Situationen zu helfen. Ihrer Familie erzählte sie, sie selbst habe ihren Entführern vorgeschlagen, eine aktuelle Videobotschaft von ihr in Gefangenschaft zu drehen, damit ihre Familie wisse, dass sie am Leben sei, berichtete Channel 12.

Der Clip wurde Anfang Januar von der Hamas verbreitet, kurz bevor die Terrorgruppe ein Waffenstillstandsabkommen mit Israel schloss. »Ich sagte ihnen: Mein Vater ist stark, in Israel hört man auf ihn«, erzählte sie. »Und sie machten sich daran und filmten mich.«

Es sei sehr schwer gewesen, optimistisch zu bleiben

Eine Zeit lang habe sie Radio gehört und gewusst, was in Israel geschieht. »Es war sehr schwer zu realisieren, dass es lange dauern würde, bis wir freikommen. Doch wir haben versucht, optimistisch zu bleiben und die Dinge in den Griff zu bekommen.« Andere Geiseln berichteten, dass Liri versucht habe, ihre Mitgeiseln aufzumuntern. »Sie hat uns die ganze Zeit Geschichten erzählt.« 

»Irgendwann wollten die Terroristen mich zu den Tunneln bringen, aber ich wollte nicht mitmachen. Ich sagte ihnen, dass ich mich weigere. Ich konnte die Stille und Einsamkeit dort nicht ertragen«, zitiert Channel 12 die junge Frau. Oft hätten sich die jungen Frauen kleine Portionen Reis »bis auf das letzte Korn« aufteilen müssen. »Wir müssen alle Geiseln schnell herausbringen«, betonte Liri, »denn jede Minute ist eine Ewigkeit«. 

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Auch Emily Damari gab schockierende Details preis. In einem Post, in dem sie dem britischen Premierminister Keir Starmer für seinen Telefonanruf dankt, schrieb ihre Mutter Mandy Damari: »Die Hamas hielt Emily in UNRWA-Einrichtungen fest und verweigerte ihr jegliche medizinische Behandlung, obwohl sie zweimal auf sie geschossen hatten. Es ist ein Wunder, dass sie überlebt hat.« Sie forderte Starmer auf, das Rote Kreuz dazu zu bringen, die Geiseln zu besuchen. »Wir müssen ihnen jetzt Hilfe zukommen lassen.«

»Die Hamas hielt Emily in UNRWA-Einrichtungen fest und verweigerte ihr jegliche medizinische Behandlung.«

UNRWA erklärte als Reaktion darauf, »Behauptungen, dass Geiseln in unseren Räumlichkeiten festgehalten wurden, seien sehr ernst«. 

Yechiel Yehoud, der Vater der am Donnerstag freigekommenen Geisel Arbel Yehoud, sprach einen Tag danach im Sheba-Medizinzentrum. »Wir sind dankbar für die Rückkehr unserer Arbel. Im Hinblick auf die Hölle, die sie durchmachte, hat als eine Heldin mit unermesslichem Mut überlebt.« Arbels Bruder Dolev wurde am 7. Oktober von Terroristen ermordet. Ihr Lebensgefährte Ariel Cunio und sein Bruder David Cunio sind weiterhin in der Gewalt der Hamas in Gaza.

Yehoud dankte dem israelischen Volk für die Unterstützung, US-Präsident Donald Trump und seinem Sondervermittler Steve Witkoff sowie der deutschen Regierung und Kanzler Olaf Scholz. Yehoud ist deutsch-israelischer Staatsangehöriger. In Richtung Jerusalem sagte er: »Vielen Dank an die israelische Regierung, die verstanden hat – wenn auch zu spät und mit hohen Kosten für die Geiseln und IDF-Soldaten –, dass es keine andere Möglichkeit gibt als ein Abkommen und das Ende des Krieges.« Dies sei der »wahre Sieg, der für das Wiederbeleben der Nation und ihrer Bevölkerung« nötig sei.

Doch der Kampf sei noch nicht vorbei. »Zusammen mit Arbel, die unglaubliche Stärke zeigt, werden wir weiterkämpfen, bis alle zurückgekehrt sind und nicht still sein, bis sie alle nach Hause kommen.«

Die ersten 70 Tage in völliger Dunkelheit

Auch Gadi Mozes, der am Donnerstag zusammen mit Arbel Yehoud freigelassen wurde, erzählte seinen Angehörigen über seine Geiselhaft. Er sei die ganze Zeit über allein festgehalten worden – 481 Tage lang. Die ersten 70 Tage musste er in völliger Dunkelheit verbringen, dann wurde er zwischen Wohnungen hin- und hertransportiert.

Die meiste Zeit sei er in einen zwei Quadratmeter kleinen Raum gesperrt gewesen. In dieser Zeit sei er täglich rund sieben Kilometer im Quadrat gelaufen. Er habe dabei die Fliesen gezählt und Rechenaufgaben in seinem Kopf gelöst, um sich mental fit zu halten. Mozes verlor in der Gefangenschaft etwa 15 Kilogramm Gewicht, berichtete Channel 12.  

Ungefähr alle fünf Tage habe er eine Schüssel mit lauwarmem Wasser zum Waschen bekommen, wobei er sich das Wasser aus einer Tasse über den Kopf goss. Er bestand darauf, sich zu rasieren, obwohl es unter diesen Bedingungen »eine schmutzige und schmerzhafte Angelegenheit war«.

Manchmal fürchtete er, hingerichtet zu werden, etwa als er zwölf Stunden lang in einem Pick-up-Truck unter den Büros des Roten Kreuzes in Gaza festgehalten wurde. Mozes beschrieb die chaotische Übergabe an das Rote Kreuz am Donnerstag als Momente der »Todesangst« und sagte, er habe gefürchtet, dass er und Arbel von dem palästinensischen Mob gelyncht würden. 

Gadi Mozes trauerte um seine ermordete Lebensgefährtin

Der 80-Jährige wusste, dass seine langjährige Lebensgefährtin Efrat Katz während des Hamas-Massakers am 7. Oktober ermordet worden war, und trauerte um sie. Was mit seiner Tochter Moran passiert war, erfuhr Mozes erst, als er freigelassen wurde. Moran überlebte und umarmte ihn tränenüberströmt bei seiner Rückkehr. 

»Endlich wieder zusammen mit Saba Gadi«, schrieb die Familie zu ihrem ersten Schabbatessen im Krankenhaus nur einen Tag nach seiner Freilassung aus Gaza auf X und postete ein Video, wie er den Segensspruch über den Wein spricht. Er versprach auch, »dass ich alles tun werde, um Nir Oz wieder aufzubauen«.

Mozes, ebenfalls ein Deutsch-Israeli, ist ein angesehener Agronom, der Generationen von Farmern im Kibbuz ausbildete und weltweit, vor allem in Entwicklungsländern, Fortbildungen in Bewässerung und Pflanzenanbau gab. Channel 12 berichtete etwas fast Unglaubliches: Gadi Mozes habe seinen Entführern gesagt, dass er wieder nach Gaza kommen werde, wenn der Krieg vorbei ist – um ihnen den Ackerbau beizubringen.

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