Nur eine Stunde nach ihrer Freilassung formt sie ein Herz mit ihren Händen und hält es in die Kamera: die 19-jährige Liri Albag. Zusammen mit Naama Levy, Karina Ariev und Daniella Gilboa kam sie am späten Samstagvormittag in Freiheit. 477 Tage waren die jungen Israelinnen Geiseln der Hamas im Gazastreifen. Im Gegenzug entließ Israel 200 palästinensische Gefangene aus israelischen Gefängnissen, darunter auch Terroristen, die wegen Mordes verurteilt waren.
Es war ein Schabbat, an dem sie auf brutalste Weise von der Hamas aus ihrem Leben gerissen wurden. Terroristen verschleppten Liri, Naama, Karina, Daniella und Agam Berger, junge Späherinnen der israelischen Armee, während des Massakers vom 7. Oktober 2023 in den Gazastreifen. Jetzt kamen vier von ihnen im Rahmen der ersten Phase des derzeitigen Waffenstillstands- und Geiselabkommens aus der Geiselhaft frei.
Agam Berger ist die fünfte Soldatin, die aus der Militärbasis Nahal Oz entführt wurde. Die zurückgekehrten Geiseln gaben an, dass sie zusammen festgehalten wurden und dass die 20-Jährige am Leben sei.
Danksagungen der Eltern und befreiten Geiseln
Die Eltern der vier jungen Israelinnen warteten in der Militäreinrichtung an der Grenze zwischen Gaza und Israel auf ihre Töchter. »Liri, Chaim scheli«, rief Eli Albag, »Liri, mein Leben«. Er nahm seine Tochter fest in den Arm und hob sie in die Luft, als sie um die Ecke bog. »Liri ist deine Tochter Nummer eins«, rief die und lachte laut.
»Ich liebe euch, ganzes Volk von Israel und alle Soldaten, die ihr alles getan habt, damit wir freikommen«, sprach sie unmittelbar danach in die Kamera und lächelte. »Vielen Dank euch allen.«
Die Schriftstellerin Ruhama Elbag ist Liris Tante. Minuten nach den ersten Bildern ihrer befreiten Nichte sagte sie: »Es ist wundervoll zu sehen, wie sie lächelt. Sie sieht viel besser aus, als wir erwartet haben. Und das ist großartig.« Auf die Frage, ob dies ein »Wunder« ist, antwortet sie, dass sie nicht an Wunder glaube, aber dass es zweifelsohne ein »großer Moment« sei.
»Wir werden nicht aufhören, zu kämpfen, bis alle Geiseln zu Hause sind.«
Kurz zuvor hatten Naama, Daniella und Karina, alle 20, und die 19-jährige Liri auf einer Bühne der Hamas in Gaza-Stadt gestanden – gekleidet in olivgrüne uniformartige Anzüge und umringt von Dutzenden Hamas-Männern mit Masken und schweren Maschinengewehren. In einer Inszenierung der Terrororganisation sollten die jungen Israelinnen vorgeführt worden, stahlen der Hamas jedoch die Show mit ihrem Mut und ihrer Haltung. Sie winkten, reckten die Daumen in die Höhe und lächelten strahlend ins feindlich gesinnte Publikum.
Erst nach ihrer Freilassung wurde bekannt, dass man sich besonders um Daniella Gilboa gesorgt habe, da sie am 7. Oktober verletzt wurde und es nicht klar war, wie es um ihren Gesundheitszustand bestellt ist. Doch auch sie ging - zumindest äußerlich - unversehrt die Stufen zur Bühne hinauf und hinunter.
Als die Bilder aus Gaza auf den Bildschirmen zu sehen waren, brach auf dem Platz der Geiseln in Tel Aviv, wo sich viele Angehörige und Aktivisten versammelt hatten, die das Geschehen auf einer großen Leinwand verfolgten, großer Jubel aus. Viele Menschen umarmten sich spontan.
Anschließend veröffentlichten alle Eltern Erklärungen, dass sie »unendlich glücklich«, seien, ihre Töchter wieder in die Arme schließen zu können, doch dass sie in Gedanken mit den Eltern von Agam Berger und Arbel Yahud seien. Sie versicherten auch, dass »wir nicht aufhören zu kämpfen, bis alle Geiseln zu Hause sind«.
Der Psychiater Gil Salzman aus dem Krankenhaus Beilinson, in das die jungen Frauen gebracht wurden, macht klar, dass die Realität der Geiseln mehr als ein Jahr lang das reinste Horrorszenario gewesen sei und sie am 7. Oktober ein großes Trauma durchlebt haben. »Doch die Bilder von ihnen stimmen uns definitiv optimistisch.«
Sie müssen sich sicher und wie zu Hause fühlen
Die Kinderärztin Ofrat Baruch-Harlev erklärt: »Sie sind zwar offiziell keine Kinder mehr, aber doch noch fast Kinder.« Besonders wichtig sei jetzt, dass sie sich aufgehoben, sicher und wie zu Hause fühlen, auch im Krankenhaus.
Auch sie bestätigt, man habe sich gesorgt, dass die jungen Frauen in einem wesentlich schlechteren Gesundheitszustand zurückkommen würden. »Wir sind so erleichtert, und jetzt können sie erst einmal nur in Liebe gebadet werden.« Die Mediziner hätten von den vorherigen Geiselbefreiungen gelernt, dass dies der richtige Weg sei.
»Vielleicht haben sie mehr oder weniger dasselbe erlebt, aber dennoch sind sie verschiedene Menschen und reagieren anders auf Traumata«, gibt sie zu bedenken. »Daher müssen wir bei der Behandlung ganz individuell auf jede einzelne von ihnen eingehen.«
Am Mittag kamen in der Heimatstadt von Daniella Gilboa, Petach Tikwa, spontan Angehörige und Freunde zusammen, um zu feiern. Ihre Tante Dikla Gilboa kann es nicht erwarten, sie »endlich zu sehen und zu umarmen«. Orly, die Mutter der 20-Jährigen, habe mehr als 15 Monate gekämpft wie eine Löwin und nur ein einziges Ziel vor Augen gehabt: »dass ihre Tochter wieder nach Hause kommt«.
»Alle anderen 90 Geiseln müssen ebenfalls in Freiheit kommen«, so Gilboa. Es gebe keine andere Option, denn erst dann könne man anfangen zu heilen. »Als Gesellschaft und als Nation können wir es nicht anders verkraften. Sie müssen einfach alle nach Hause kommen«.