Wer dieser Tage durch Tel Aviv spaziert, kann sich leicht in der Zeit zurückversetzt fühlen: Politgrößen vergangener Zeiten lächeln von überlebensgroßen Wahlplakaten herab. Da ist etwa Amir Peretz, der bis 2007 als Verteidigungsminister amtierte und nun, nach langer Auszeit, ein weiteres Mal die Arbeitspartei führt.
Und da ist Ehud Barak, eines der politischen Schwergewichte der jüngeren Geschichte, der nach seinem Abtritt aus der Politik 2013 das Geschehen lange von der medialen Seitenlinie kommentierte und nun, vor wenigen Wochen, eine neue Partei gegründet hat: »Demokratisches Israel«. Der 77-Jährige, dem 1999 das seltene Kunststück gelang, Benjamin Netanjahu in einer Wahl zu besiegen, führt seine Kampagne als Frontalangriff auf den Premier: »Netanjahu-Staat oder Staat Israel« steht auf seinem Wahlplakat.
Um seine Mission zu erfüllen, hat Barak nun eine Allianz geschlossen, die selbst Polit-Insider überrascht hat: Am Donnerstag vergangener Woche trat Barak gemeinsam mit Nitzan Horowitz, dem Vorsitzenden der linken Meretz-Partei, und der Jungpolitikerin Stav Shaffir vor die Presse, um ein neues Bündnis anzukündigen: das »Demokratische Camp«.
WANDEL »Wir betreten einen neuen Pfad, der in anderthalb Monaten zu Regierungswechsel und sozialem Wandel in Israel führen wird«, erklärte Horowitz, der die neue Partei anführen soll. »Die israelische Linke ist wieder eine starke, attraktive Kraft.« Shaffir, die für das neue Bündnis die Arbeitspartei verlassen hat, bekannte: »Ich habe jahrelang von diesem Moment geträumt.«
Auf Druck eines Meretz-Mitglieds musste Barak öffentlich Abbitte leisten.
Die beiden Parteien, die da verschmolzen, sind keineswegs das, was im Politjargon »natürliche Partner« genannt wird. Unter Anhängern der links-grünen Meretz-Partei gilt Barak als harter Hund, weil er als Premierminister robuste Sicherheitsmaßnahmen zu Beginn der Zweiten Intifada verantwortete und später unter Netanjahu als Verteidigungsminister diente.
Der Vereinigung waren Medienberichten zufolge denn auch nächtelange Verhandlungen zwischen Barak und dem arabischen Meretz-Abgeordneten Essawi Freije vorausgegangen. Dieser hatte kurz zuvor einen Meinungsbeitrag in der linken Zeitung »Haaretz« veröffentlicht, in dem er Barak aufforderte, sich bei den arabischen Bürgern des Landes für den Tod arabischer Demonstranten im Jahr 2000 zu entschuldigen.
Zur großen Überraschung vieler Beobachter – ebenso wie Freijes selbst, wie dieser später gestand –, geschah genau das: Noch am selben Tag entschuldigte sich Barak im Radio bei den Verwandten der Getöteten sowie der arabischen Gemeinde an sich. So öffnete er die Tür zu Verhandlungen mit Meretz – und trat zwei Tage später neben seinen neuen Mitstreitern vor die Presse.
ZWECKBÜNDNIS »Für Meretz ist es sehr seltsam, sich mit Barak zusammenzutun«, meint die Politikwissenschaftlerin Gayil Talshir von der Hebräischen Universität in Jerusalem. Doch das gemeinsame Ziel, Netanjahu zu stürzen, wiege offenbar schwerer als ideologische Unterschiede. Zudem sehe Barak, der auf der Parteienliste auf einem wenig beeindruckenden Platz zehn steht, den Schulterschluss lediglich als zeitlich begrenztes Zweckbündnis, das verhindern solle, dass eine der beiden Parteien an der 3,25-Prozent-Hürde scheitert.
Nach der Wahl, glaubt Talshir, wolle Barak mit seinen eigenen Leuten eine neue Partei gründen, die sowohl mit der zentristischen Blau-Weiß-Partei als auch mit der Arbeitspartei verhandeln könne. Der niedrige Listenplatz sei absichtlich gewählt: »Barak will nicht ins Parlament, er will entweder Minister werden oder in Rente gehen.«
Seine Nähe zu Jeffrey Epstein wird ein Problem für Barak.
Ehud Barak, der als Kommandeur einer Elite-Einheit einst den jungen Offizier Benjamin Netanjahu befehligte, gilt als hochintelligent, politisch gerissen und mit dem nötigen Machthunger ausgestattet, den Premier ernsthaft herauszufordern. Nicht weniger als die »Zerstörung der Demokratie« wirft er Netanjahu vor und beschimpfte dessen Sohn als »Parasiten«. Viele Beobachter vermuten, dass Barak mit seiner verbalen Bissigkeit in Israels rauer Politdebatte bessere Chancen hat als der sich betont zivil gebende Vorsitzende der Blau-Weiß-Partei, Benny Gantz.
FOTOS Allerdings ist Barak in den Augen der Öffentlichkeit seit Kurzem selbst angeschlagen – aufgrund seiner persönlichen und finanziellen Verbindungen zu dem US-Milliardär Jeffrey Epstein, der kürzlich wegen sexuellen Missbrauchs mehrerer Teenager angeklagt wurde.
Laut Medienberichten hatte eine mit Epstein verbundene Stiftung vor 15 Jahren 2,4 Millionen US-Dollar an Barak gezahlt; zudem soll Epstein erhebliche Summen in ein von Barak gegründetes Start-up investiert haben. Die britische »Daily Mail« veröffentlichte Fotos aus dem Jahr 2016, die den israelischen Ex-Premier zeigen, wie er das New Yorker Apartment von Epstein betritt, und deutete an, Barak selbst könnte dort junge Mädchen getroffen haben.
Dieser wehrt sich verbal und juristisch: »Blood libel« nennt er die Spekulationen und droht mit Anzeige. Für den politischen Gegner sind die Veröffentlichungen, unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt, ein gefundenes Fressen. »Was hat dieser Sexualverbrecher Ehud Barak noch alles gegeben?«, schrieb Netanjahu auf Twitter.
chancen Ob seine Nähe zu Epstein Barak schaden wird, ist noch nicht abzusehen. In jedem Fall stehen die Chancen für eine Koalition links der Mitte schlecht, meint die Politologin Gayil Talshir: »Sollte die Wählerbeteiligung im rechten Lager niedriger liegen als bei der letzten Wahl, könnte der Links-Mitte-Block genügend Stimmen bekommen, um zu verhindern, dass Netanjahu eine Regierung bilden kann.« Doch sie rechnet damit, dass die zentristische Blau-Weiß-Partei eine starke Kraft bleibt, auch wenn sie möglicherweise einige Stimmen an Baraks neues Bündnis abgeben muss.
Und Blau-Weiß wolle eine Koalition der nationalen Einheit, ohne Netanjahu, aber mit dem Likud. »Eine Koalition links der Mitte ist nicht die erste Wahl von Blau-Weiß«, sagt Talshir. »Selbst wenn es ihr gelänge, Netanjahu zu stürzen, wäre die israelische Linke noch weit davon entfernt, eine Regierung links von der Mitte zu bilden.«