Purim

»Lieber tot als sexy«

Bleiche Schönheit: der Zombie Walk in Tel Aviv Foto: Flash 90

In den Backstuben des Landes duftet es dieser Tage verführerisch. Dreieckige Kekse mit Mohn-, Marmeladen- und Schokofüllung türmen sich auf den Ladentheken – die klassischen Purimkekse Osen Haman (Hamantaschen). Während sich die Kinder alle fünf Finger nach den Köstlichkeiten ablecken und ihre Mütter beraten, welche Bäckerei die besten verkauft, tobt in den Straßen von Israel der jüdische Karneval. Purim ist da.

Am 15. und 16. März erinnern sich die Juden an die alte Legende, wie Königin Esther mithilfe ihres guten Onkels Mordechai ihr Volk in Persien vor dem grausamen und antisemitischen Haman gerettet hat. Die Befreiung wird allerorten kunterbunt und mit ohrenbetäubendem Lärm gefeiert. Alt und Jung verkleiden sich, wirbeln ihre Krachmacher durch die Luft, damit der Name »Haman« nicht einmal mehr zu hören ist.

Schon seit Wochen bereiten sich Schulen und Kindergärten auf das Fest vor, basteln Masken aus Pappe und schmücken ihre Räume mit bunten Krepppapier-Dekorationen. Doch Purim ist auch das Fest, an dem man an andere denkt. Überall werden Mischloach Manot für Bedürftige und Soldaten gesammelt. Die kleinen Päckchen sind mit allerlei Süßigkeiten, kleinen Überraschungen und lieben Grüßen vollgestopft. Auch hier dürfen die Hamantaschen nicht fehlen.

textil Aber das Allerwichtigste ist die Kostümierung. Und die wird auch in Israel immer kommerzieller. Viele Einkaufs-
zentren bauen Stände auf, an denen sie vom Zebrakostüm für Babys bis zur Spiderman-Verkleidung für den Großvater alles Mögliche anbieten. In der Textilmeile von Tel Aviv, der Nachalat-Binjamin-Straße, stellen viele Läden schon im Januar ihr Sortiment um. Statt Meterware quellen die Regale vor Glitzerkostümen, Federboas und Strasskrönchen nur so über.

Hier gilt die Devise: Hauptsache sexy. Viele Mädchen und Frauen verkleiden sich nicht nur als Nonne oder Teufel, sondern als Nonne mit Strapsen oder Teufelchen, das tief blicken lässt. Michal Biton findet das schrecklich. Die Mutter von zwei Mädchen im Teenageralter findet es »entwürdigend und frauenfeindlich«. Ihren Töchtern würde sie so eine Verkleidung nicht erlauben. »Die sollen sich nicht als Objekt zum Anglotzen verkleiden. Aber zum Glück wollen sie das auch gar nicht.«

Biton selbst bevorzugt statt verführerischem Look das Zombie-Outfit. »Schön von oben bis unten mit Blut beschmiert und mit abgetrennten Körperteilen in der Jackentasche.« So zieht sie mit einer Gruppe von Freunden in der Nacht vor Purim durch Tel Aviv. »Natürlich alles aus Plastik«, fügt Biton hinzu und lacht. Der jährliche Zombie Walk in der Stadt am Mittelmeer ist vor allem bei 20- bis 40-Jährigen beliebt, die als Untote durch die Straßen ziehen und bis zum Morgengrauen feiern. »Es ist ein Riesenspaß«, findet Biton. »Und ich bin sowieso lieber tot als sexy.«

tabu Eine Verkleidung ist dieses Jahr zumindest in manchen Bevölkerungsgruppen tabu. Bisher war die Soldatenuniform bei ultraorthodoxen Kindern unter den erklärten Lieblingskostümen. Die Jungs als Soldaten, die Mädchen als Königin Esther – so stolzierten die charedischen Familien an Purim durch die Straßen ihrer Viertel. Doch nicht in diesem Jahr.

Religiöse Schulen in Jerusalem haben die IDF-Outfits aus ihrem Dresscode verbannt. Alle Eltern erhielten einen Brief, in dem stand, man erlebe eine Zeit der »Zerstörungsverordnungen« und habe daher nach Beratungen mit verschiedenen Rabbinern beschlossen, dass »Kinder unter keinen Umständen die Kluft eines Soldaten tragen sollten«. Die ultraorthodoxe Gemeinschaft Israels befindet sich mitten in einem Kampf gegen die Regierung wegen der geplanten Einberufungen junger Jeschiwa-Studenten zur Armee.

Politisch geht es auch auf dem Purim-Umzug, der sogenannten Adlojada, in Holon zu. Seit einem Jahr bauen die Figurenmacher des »Puppet Center« der Stadt fleißig an ihren Wagen, auf denen verschiedene überlebensgroße Motive gezeigt werden. Mehr als 200.000 Menschen werden auch dieses Mal wieder an den Bürgersteigen erwartet, wenn der Zug seine Runden dreht. Auf einem der Wagen wird Regierungschef Benjamin Netanjahu mit seiner Besucherin Angela Merkel und Wladimir Putin gezeigt, einen anderen ziert der amerikanische Präsident Barack Obama. Natürlich kriegen auch die Iraner ihr Fett weg. Im grünen Zwergenkostüm mit Rakete über der Schulter wütet Ayatollah Ali Khamenei wie ein wild gewordener Derwisch über die Köpfe der Zuschauer hinweg.

Trinken Während viele in Israel dem Regime in Teheran sicher völligen Wahnsinn unterstellen, ist es an Purim geradezu gewünscht, den Verstand zu verlieren. Man soll trinken, »bis man nicht mehr weiß, wer Haman und wer Mordechai ist«, steht geschrieben. Doch nun rufen Rabbiner dazu auf, diesen Satz nicht allzu wörtlich zu nehmen. Denn in der Vergangenheit haben vor allem streng religiöse junge Männer zu tief ins Glas geschaut und das am Morgen danach bitter bereut. Alle Jahre wieder muss die Polizei wegen Pöbeleien und Raufereien bis hin zu Sachbeschädigungen und sogar Vergewaltigungen anrücken.

Angesehene nationalreligiöse Rabbiner haben sich daher zum ersten Mal mit der Antidrogenbehörde Israels zusammengetan, um das zu verhindern. Vor dem jüdischen Feiertag schlug Rabbi Chaim Druckman vor, dass jede Gruppe von jungen Leuten einen »Aufpasser« ernennt, der nüchtern bleibt und das Trinken eindämmt. Auch andere Rabbiner rufen zur Zurückhaltung beim Trinken auf. Nach dem Motto »Es ist eine Mizwa, ausgelassen zu sein – aber bereut es nicht«. Die Werbekampagne schließt mit den Worten: »Fröhlichen Purim! Sorgt dafür, dass es kein trauriger wird.«

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