Ich war splitterfasernackt, als die Sirene losheulte. »Na, bravo«, dachte ich, »mein erster Raketenalarm in Tel Aviv, und ich habe nichts an!«
Heute vor zwei Wochen, genau um 21 Uhr, ich war kurz zuvor aus Berlin zurückgekommen, hatte ich mich am Airport Ben Gurion über die endlos langen Warteschlangen an der Immigration beschwert – Verzeihung, haben Sie denn kein Personal? Die Menschen kommen nach einem fast fünfstündigen Stunden Flug hier an, und das ist dann der erste Eindruck von Israel? –, sprang ins Taxi, danach direkt unter die Dusche und dann: ÜÜÜüüüüüüüüüüüüü ….
RAKETEN Die folgenden Tage waren zwar wackelig, aber ruhig, seit diesem Montag nun feuerte Gaza unaufhörlich Raketen auf Israel, die Sirenen in Aschkelon und Sderot heulten im Zehn-Minuten-Takt, die Hauptnachrichten-Sendung des israelischen Fernsehsenders »Keshet« verlegten kurzerhand das Moderatorenpult aus dem Studio genau an die Grenze im Süden und berichtete live und open air direkt vom Ort des Geschehens.
Wenn man Journalist ist, muss man die Wahrheit berichten. Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.
Ich bin in Frieden aufgewachsen. Während meiner Schulzeit gab es hin und wieder einen Probealarm, um zu üben, wie wir Schüler uns zu verhalten haben, wenn ein Feuer ausbricht. Und wie alles in der ehemaligen DDR wurde daraus ein Wettbewerb gemacht: Welche Klasse steht zuerst picobello aufgereiht auf dem Schulhof?
Ein Mal im Monat heulten mittwochs um Punkt 13 Uhr die Sirenen in Ost-Berlin. Aber warum? Denn selbst wenn eine Bedrohung von jenseits des »antifaschistischen Schutzwalls« (Mauer) ausgegangen wäre, wohin hätten wir rennen sollen? Es gab weder Schutzräume noch Bunker. Bis heute habe ich diese Probealarme nicht verstanden.
IRRTUM Ebenso wenig verstehe ich einen Beitrag der ARD-»Tagesschau«, der am Dienstag gesendet wurde und mit den Worten beginnt: »Nach schweren Angriffen der israelischen Armee auf den Gazastreifen ...«
Liebe Kolleginnen und Kollegen der ARD, Sie irren sich! Ich war vor Ort, als es losging mit den Raketen aus Gaza. Die Reaktion der israelischen Armee darauf war – wie der Name schon sagt – eine Reaktion. Man muss Israel nicht mögen. Man kann diesen Staat kritisieren, sich zur Brust nehmen und ihm viele Fragen stellen. Man muss aber, wenn man Journalist ist, die Wahrheit berichten.
Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Wenn also eine Meldung der ARD-»Tagesschau« mit »Nach schweren Angriffen der israelischen Armee« beginnt, erweckt diese Nachricht den Eindruck, Israel hätte angefangen mit den Raketen. Israel sei der Aggressor. Das ist falsch. Ich lege beide Hände dafür ins Feuer. Ich war dabei. Zwar nackt und unter der Dusche, aber ich war live dabei, als die – was diese Auseinandersetzung betrifft erste – Rakete von Gaza aus abgefeuert und 45 Sekunden später vom »Iron Dome« über Israel abgefangen und zerstört wurde.
Ich frage mich, wie gestandenen Journalisten solche Fehler unterlaufen können?
Liebe Kolleginnen und Kollegen der »Tagesschau«, ich unterstelle Ihnen gewiss keine bewusste Falschmeldung. Dennoch komme ich nicht umhin, mich zu fragen, wie gestandenen Journalisten so ein Fehler unterlaufen kann? Denn so, wie es meine Pflicht (mehr als das, es ist mir auch ein Anliegen) als Moderatorin einer großen Unterhaltungsshow ist, in meinen Anmoderationen weder die Künstler, die in meinem »ZDF-Fernsehgarten« auftreten, noch deren Songs zu bewerten, so ist es für Sie als Nachrichtenredakteure unbedingt Ihre Aufgabe, wahrheitsgemäß über politische Ereignisse zu berichten.
REAKTION Und dazu gehört auch, dass man die zeitliche Reihenfolge von Geschehnissen einhält. Selbst wenn es sich um Israel handelt (Achtung: Ironie!): Zuerst beschoss Gaza Israel mit Raketen, dann verteidigte sich Israel mit einem militärischen Manöver. Man muss dies, wie gesagt, überhaupt nicht gut finden, aber man muss sich bitte unbedingt an die Tatsachen halten: Gaza agiert, Israel reagiert.
Ich jedenfalls habe seit jenem Donnerstagabend ein neues Mantra. Denn ein Freund, dem ich mein Entsetzen über das Erschallen der Sirenen gestand, nahm mein Gesicht in seine zuverlässigen Hände, drückte mir einen Kuss auf die Lippen und sagte im schönsten Hebräisch: »Andrejusch, du kannst nicht in Angst leben. Lass uns essen gehen!«
Die Autorin ist Fernsehjournalistin und moderiert unter anderem den »ZDF-Fernsehgarten«.