Es ist empfindlich kalt an diesem Montag in Jerusalem. Ein eisiger Wind bläst um die Ecken, die Kinder ziehen ihre Mützen weit über die Ohren. In den Händen halten jedes Mädchen und jeder Junge vier Kerzen wie eine Trophäe, sie schauen erwartungsvoll. Auf der Eilat-Straße bleiben sie stehen.
Vor einem Haus ist ein Tisch aufgebaut, auf dem fünf Chanukkaleuchter in kleinen Glasvitrinen stehen. Gemeinsam mit den Eltern werden die Kerzen entzündet. Erst der Schamasch, dann drei weitere. »Ah« und »Oh« tönt es durch den Abend. Es ist der dritte Tag des jüdischen Lichterfestes. Und ganz Nachlaot erstrahlt in hellem Schein.
Nur wenige Meter hinter dem lauten Gewirr des Mahane Jehuda wird es auf einmal still. Gässchen mit kleinen Häuschen im typischen Jerusalemstein mäandern durch die Stadt. In fast jedem Fenster, vor vielen Häusern steht eine Chanukkia mit vier Lichtlein. Das malerische Viertel Nachlaot ist in den Glanz von Chanukka getaucht.
Schokomünzen Warum der Tisch auf der Straße steht, fragt ein etwa Fünfjähriger seine Mutter. »Damit die Lichter schon von Weitem zu sehen sind«, raunt sie ihm ins Ohr und gibt ihm eine Hand voll Chanukkagelt, Schokoladenmünzen in Goldpapier. Der Junge strahlt über das ganze Gesicht. Jetzt hat er genug Einsatz für das Spiel mit dem Dreidel, das die jüdischen Kinder an Chanukka spielen. Seine Freunde warten schon.
Das Zünden der Kerzen ist eine Mizwa, ein Gebot im Judentum. Die Leuchter sollten so platziert werden, dass sie von draußen zu sehen sind, um das Wunder von Chanukka bekannt zu machen. In Nachlaot ist das keine Pflicht, sondern großer Spaß. »Es ist unser Lieblingsfest«, sagt Maajan Rosen, die mit ihrer Familie hier lebt. »Wir stellen Abend für Abend eine eigene Chanukkia für jedes Kind auf. Wir basteln schon Wochen vorher, und sie freuen sich die Nasen ab.« Begrenzungen des Glanzes gibt es nicht, und so stellen die Rosens dazu noch einen großen Leuchter vor ihrer Haustür auf. Windgeschützt in einer Vitrine mit echtem Olivenöl, das einige Stunden lang brennt.
Aus dem ganzen Land kommen in diesen Tagen Besucher, um sich bei einem Spaziergang durch das Viertel in festliche Stimmung versetzen zu lassen. Es sind Chanukkaferien, und die Familien nutzen die Zeit für einen Ausflug. Wie die Mualems, die aus Netanja angereist sind. Vater Motti erzählt über das Wunder von Chanukka, während sich seine Familie abwechselnd mit ihren Smartphones vor den verschiedenen Leuchtern fotografiert. Die Mualems sind begeistert: »Es ist eine einzigartige Atmosphäre in diesen Gassen, so etwas gibt es nur in Jerusalem«.
Ölkännchen Das Chanukkafest dauert acht Tage. Es beginnt am Abend des 25. Kislew und begeht den Sieg der Makkabäer über die Hellenen im Jahr 164 v.d.Z. Nach der Vertreibung der Griechen aus dem Land mussten die Juden den Tempel in Jerusalem wieder einweihen und dafür den siebenarmigen Leuchter entzünden.
Doch es war lediglich ein kleines Ölkännchen übrig geblieben, das nur für einen Tag reichte. Neues rituelles Öl zu bereiten, dauerte acht Tage lang. Doch, so geht die Legende, die Lichter brannten ebenso lange – das Wunder von Chanukka war geboren. Zum Gedenken wurde das achttägige Lichterfest eingeführt. Jeden Abend strahlt der Leuchter ein wenig heller.
Neben dem Entzünden der Kerzen ist es eine Mizwa, Öliges zu essen. Die Familien braten Latkes, Kartoffelpuffer, die in reichlich Öl ausgebacken werden. Als Nachtisch gibt es Sufganiot, die jüdische Variante der Krapfen oder Berliner. Klassisch sind sie mit Fruchtmarmelade gefüllt und einem Hauch Puderzucker versehen.
Die laden sich die Menschen an der Agrippas-Straße in ihre Einkaufstaschen und hasten eiligen Schrittes nach Hause. »Es ist eisig, und ich will mit meinen Kindern die Lichter anzünden«, sagt eine Frau, die an der Bushaltestelle wartet. Vor dem Eingang des Mahane-Jehuda-Marktes hält ein Mann in dunklem Anzug und Hut ein großes Tablett, auf dem er einen riesigen Stapel Sufganiot balanciert. Er verteilt sie kostenlos: »Greift zu«, ruft er, »esst Sufganiot! Es ist Chanukka.«
Sachlaw Um sich im Winterwind warm zu halten, trinken die Fußgänger keinen Glühwein, sondern Sachlaw, ein heißes dickflüssiges Milchgetränk mit Rosenwasser, das zu dieser Jahreszeit an den Ständen des Mahane-Jehuda-Marktes in dickbäuchigen Kesseln vor sich hin dampft.
Lior und Rotem haben sich mit Sachlaw eingedeckt und sitzen Händchen haltend im zentralen Park von Nachlaot. Hinter ihnen duftet der Lavendel, um sie herum strahlen Chanukkiot um die Wette. »Es ist so romantisch hier«, sagt Rotem und schaut verliebt zum Schatz an ihrer Seite. »Wir kommen auch im Sommer oft her, Chanukka aber ist es noch einmal so wundervoll.«