Grabkultur

Letzte Ruhe auf drei Etagen

»Friedhof – Ein Ort mit Zukunft«. Der Titel des Buches eines deutschen Landschaftsplaners mag paradox klingen, doch für die beiden israelischen Architekten Tuvia Sagiv und Uri Ponger trifft diese Aussage ins Schwarze: Sie gestalten Friedhofsanlagen als friedvolle, grüne Inseln, als Orte der Erinnerung und der Kontemplation. »Ein Friedhof ist für die Lebenden gedacht. Für Menschen, die hier ihre Toten bestatten und ihrer gedenken. Sie brauchen eine ansprechende Atmosphäre«, beschreibt es Tuvia Sagiv.

Vor rund 25 Jahren traf er seinen Partner Uri Ponger zum ersten Mal. Ein Mitarbeiter des Ministeriums für religiöse Angelegenheiten hatte die beiden zusammengebracht, weil er Gemeinsamkeiten sah: Beide beschäftigten sich mit dem drohenden Notstand auf Israels Friedhöfen und mit der Verschwendung der knappen Ressource Land. Uri Ponger hatte Jahre zuvor sein Architekturstudium in Karlsruhe mit einer Diplomarbeit über Bestattungssysteme beendet. Und Sagiv, der in Haifa Architektur studiert hatte, entwarf erste Modelle von platzsparenden Gräbern.

Symbiose Zwischen beiden entstand eine fruchtbare Zusammenarbeit: »Wir bilden eine Symbiose.« Das Ergebnis sind Grabstätten, die den südeuropäischen Nischen- oder Schiebegräbern ähneln, gleichzeitig jedoch auf mehreren Ebenen innerhalb eines Gebäudes untergebracht sind.

Klar war, dass die Bestattungsweise der jüdischen Tradition entsprechen musste. Das schien zunächst kein Problem: »Unsere Recherchen ergaben, dass es bereits im Jahr 200 d. Z. Nischengräber auf mehreren Ebenen gab«, erklärt Sagiv, der in Belgien geboren wurde und früher Shekerka hieß. Er zeigt ein Foto von einer Ausgrabungsstätte in Jerusalem: Mitglieder des Sanhedrin – des Hohen Rates – hatten ihre Toten so begraben.

Halacha Nur der Nachweis nutzte nichts. Die beiden Oberrabbiner – Wächter über die Einhaltung der Halacha – weigerten sich, die alt-neue Bestattungsweise zu akzeptieren. Sie entspreche nicht den jüdischen Traditionen, beharrten sie. »Einer der Knackpunkte war die Verbindung des Grabes mit der Erde, die ein Toter in der jüdischen Religion unbedingt haben muss, damit er selbst wieder zu Erde wird«, erklärt Sagiv. Die Lösung: Sowohl in wie zwischen den Grabkammern befindet sich Erde, die – egal in welcher Höhe – mit der am Boden in Kontakt ist. »Es hat uns trotzdem Jahre gekostet, um den Segen der Rabbiner zu bekommen.«

Friedhöfe in Israel sind Felder aus Stein, Grabsteine reihen sich schier endlos aneinander. Das braucht Platz, doch der ist in diesem Land sehr begrenzt. Die Chewra Kadischa, die in Israel zuständige Beerdigungsorganisation, schlug vor wenigen Jahren schließlich Alarm: Friedhöfe mussten geschlossen werden, Angehörige waren gezwungen, ihre Toten weit vom Heimatort zu begraben, und die Preise für Gräber schossen ins Unermessliche. So rückten die von Sagiv und Ponger entwickelten Modelle in den Fokus der Aufmerksamkeit. Um eine breite Masse zu erreichen, organisierte das Ministerium für religiöse Angelegenheiten eine Kampagne, in der die Nischengräber propagiert wurden.

Inzwischen haben sich viele Israelis, darunter oft russische Einwanderer, mit den neuen Gräbern angefreundet. Aber es gibt nach wie vor auch Abneigung. Die einen finden die eng aneinander liegenden Gräber nicht persönlich genug. Die anderen vermissen die Verbundenheit mit den toten Angehörigen, wenn sich das Grab in drei Metern Höhe befindet. Und die Gebäude aus Beton erinnerten an Parkhäuser, so der Vorwurf. »Das bleibt nicht so«, verspricht Sagiv und zeigt auf die vielen Büsche, die auf der terrassenförmigen Fassade des Gebäudes auf dem Tel Aviver Friedhof Kiriat Shaul in die Höhe wachsen. Bald werde es »von Ferne aussehen wie ein grüner Hügel«.

spirituell Drinnen tragen Säulen die Decke, Wände und Böden sind mit einfachen, aber unterschiedlich strukturierten farbigen Steinen verkleidet, offene Innenhöfe und Seitengänge tauchen die Hallen in ein warmes Licht. Es ist still, nur das Gezwitscher von Vögeln ist zu hören. Viele Trauernde haben vor die Grabplatten Blumen gestellt – sie halten sich hier länger als in der sengenden Sonne.

Omer und ihre Mutter sitzen auf einer der Bänke. »Ich finde die Atmosphäre hier drinnen sehr schön und beschützt«, sagt das Mädchen, »wie in einem Tempel.« Auch die Mutter findet die Stimmung hier spiritueller als zwischen den Gräbern draußen. Das sind Gefühle, auf die es Sagiv ankommt: »Ich habe Pyramiden und Mausoleen vor Augen, wenn ich plane.« Grabstätten also, die von hohem Respekt vor den Toten zeugen.

Der Yarkon-Friedhof im Osten Tel Avis ist mit 70 Hektar eine der größten Begräbnisstätten des Landes. Ponger und Sagiv konnten ihn von Grund auf planen, und man sieht es ihm an, obwohl die Entwicklung noch längst nicht abgeschlossen ist. Grabgebäude in verschiedenen Ausführungen – mit geschwungenen Galerien und spitz zulaufenden Enden – grenzen den gesamten Bereich zu den Straßen und dem Alltagsleben draußen ab. Insgesamt werden es 30 Gebäude sein, einige sind bald fertig.

Die Fußwege sind kurz, weil anstelle eines großen Parkplatzes viele kleinere zur Verfügung stehen. Das Gelände ist kreisförmig erschlossen, Baumalleen leiten die Besucher, Büsche umschließen die Parzellen und schützen Trauernde an den Gräbern vor Blicken der Passanten. In 20 Jahren wird hier ein Park entstanden sein. Einmal habe ein Ultraorthodoxer geschimpft, es sei schrecklich hier, weil es an einen europäischen Friedhof erinnere, erzählt Sagiv. »Aber das war das größte Kompliment, das er mir machen konnte.«

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