Die Franzosen und Holländer kommen! Das ist nicht etwa eine Drohung im Fußball in Hinblick auf ein Match gegen die nicht so starken Israelis, sondern in diesem Fall eine echte Verheißung. Denn die anvisierten Gäste haben keine Bälle im Koffer, sondern jede Menge Lebensmittel und Haushaltswaren. Die Supermärkte »Carrefour« und »Spar« sollen bald in Israel ihre günstigen Preise präsentieren – und die Lebenshaltungskosten senken.
Das verspricht Premierminister Yair Lapid von der Zentrumspartei Jesch Atid. Bei der Kabinettseröffnung am Wochenbeginn sagte er: »Auf Initiative der Regierung kommt der Einzelhändler Carrefour mit riesigen Rabatten nach Israel. Wir gehen davon aus, dass weitere große Unternehmen diesem Trend folgen werden.«
»Diese Regierung führt eine entschlossene Kampagne gegen die Lebenshaltungskosten, und was jetzt passiert, ist erst der Anfang. Die Lebenshaltungskosten sind eine nationale Geißel.« Es könne nicht sein, dass es in einem wohlhabenden Land Menschen gebe, die den Monat nicht ohne Minus auf der Bank beschließen könnten. »15 Jahre lang wurde der Kampf gegen die Lebenshaltungskosten völlig vernachlässigt. Das ändern wir jetzt.«
Wettbewerb Ab 1. August werden – trotz globaler Energiekrise – die Benzinpreise in Israel sinken, und auch die Preise für Obst und Gemüse tendieren nach unten. Lapid dankte Finanzminister Avigdor Lieberman »für seine wirtschaftliche Führungsrolle« und warnte im nächsten Satz die Marktteilnehmer: »Wer unverantwortlich die Preise erhöht, steht morgens auf und bekommt unerwartet Konkurrenz. Diese Regierung glaubt an Wettbewerb und Marktöffnung und wird nicht zögern zu handeln.«
Jene besagte Konkurrenz soll schon bald den heimischen Markt aufmischen. Im März gab das Unternehmen Electra Consumer Products bekannt, es habe eine Absichtserklärung mit Carrefour unterzeichnet, um 150 Filialen zu eröffnen, die seine Yeinot-Bitan-Filialen ersetzen werden.
Carrefour-Produkte werden voraussichtlich diesen Sommer bereits in den Läden der israelischen Kette erscheinen, und die ersten Supermärkte mit französischem Chic sollen Ende des Jahres eröffnen. Der Deal ebnete den Weg für eine weitere internationale Supermarktkette, sich in Israel niederzulassen. Die Wirtschaftszeitung »Globes« berichtete, dass das niederländische Unternehmen Spar ebenfalls kommen will.
besserverdiener Die Mutter von drei Kindern aus Herzliya, Shlomit Dror, kann es kaum erwarten: »Ich hasse es regelrecht, in den Supermarkt zu gehen. Für das Minimale im Wagen bin ich jedes Mal 500 Schekel und mehr los. Es macht keine Freude, es macht nur arm.« Und dabei gehören Dror und ihr Mann zu den Besserverdienern in Israel. Sie hat eine leitende Position als Sachbearbeiterin inne, ihr Mann arbeitet in einer Softwarefirma.
»Ich hasse es, in den Supermarkt zu gehen. Es macht keine Freude, es macht nur arm.«
Shlomit Dror
Doch der Kredit für die Wohnung und die beiden Autos, der jeden Monat abbezahlt werden muss, sowie die Kosten für Kindergärten und Nachmittagsbetreuung für den Nachwuchs zehren an ihrem Einkommen. »Mit günstigen Lebensmitteln kämen wir über die Runden, denn wir leben nicht über unsere Verhältnisse. Doch das ist in unserem Land nicht drin.
Alles ist überteuert, vom einfachen Joghurt über Obst und Gemüse bis zum Toilettenpapier.« Besonders ärgere Dror das Gefühl, »für dumm verkauft zu werden«: »Meinen die Geschäftemacher und Politiker denn, wir Israelis fahren nicht ins Ausland, checken keine Preise online? Sie tun so, als würden wir nicht wissen, was die Dinge woanders kosten. Doch wir wissen es!«
Dass das Brot nun wegen der Krise aufgrund des russischen Krieges in der Ukraine noch mehr kosten wird, rege sie indes nicht weiter auf. »Es ist mir klar, dass dies verständliche Gründe hat. Aber der Großteil der überteuerten Preise bei uns hat absolut nichts damit zu tun.«
Preiskontrollen Zwar will die Regierung die Erhöhungen regulieren und nur schrittweise erlauben, doch einige Brotsorten in Israel werden sehr viel teurer: dunkles Brot um die 21 Prozent und das traditionelle Schabbatbrot sogar bis zu 30 Prozent. Nur für das geschnittene Weißbrot sollen die Israelis nicht mehr bezahlen müssen. Die Minister beschlossen außerdem, dass die Regierung die Preiskontrollen für Brot ab April 2023 beenden werde.
Gleichzeitig sollen Programme gestärkt werden, die Menschen helfen, die unter der Armutsgrenze leben.
Gleichzeitig sollen zwar Programme gestärkt werden, die Menschen helfen, die unter der Armutsgrenze leben, doch der Non-Profit-Organisation für soziale Gerechtigkeit, »Standing Together«, geht das nicht weit genug.
Sie fordert, dass mit den steigenden Preisen auch der Mindestlohn steigen soll. »Die Preise gehen in die Höhe, aber nicht unsere Löhne. Nach fünf Jahren der Stagnation ist es an der Zeit, den Mindestlohn auf 40 Schekel pro Stunde anzuheben, um zwei Millionen Arbeitnehmern zu helfen, über die Runden zu kommen.«
inflationsrate Nach den neuesten Zahlen des Zentralamts für Statistik lag Israels jährliche Inflationsrate im Juni bei 4,4 Prozent, dem höchsten Stand seit 2008. Besondere Erhöhungen der Lebenshaltungskosten gab es nach Angaben des Amtes im Juni beim Transport (2,4 Prozent), bei Kultur und Unterhaltung (0,7 Prozent) und wie immer beim Wohnen. Die Preise für Häuser und Apartments sind in einem Jahr um fast 23 Prozent in die Höhe geschnellt. Ein trauriger Rekord.
Immer mehr Menschen nehmen das nicht mehr hin und beklagen sich öffentlich und lautstark, mehr als zehn Jahre nach den großen Sozialprotesten von 2011. So schreibt die Kolumnistin der linksliberalen Tageszeitung »Haaretz«, Noa Osterreicher: »Mein Herz ist im Osten, aber mein Schekel wandert in den Westen« – weil sie viele Dinge im Internet bei ausländischen Anbietern bestellen müsse, die sie sich in Israel nicht leisten könne.
Oder der Journalist und Sozialaktivist Guy Lerer, der in seiner Fernsehsendung Zinor und in Facebook-Gruppen regelmäßig auf Überteuertes aufmerksam macht. Sein Protest sei mit keinem politischen Lager verbunden, beteuert er. »Es geht nur darum, dass die Regierung endlich etwas gegen die zu hohen Kosten des alltäglichen Lebens unternimmt.«
unmut In jenem Sommer 2011 war schon einmal der Unmut der Bevölkerung übergekocht – als nicht nur der beliebte Abendbrot-Frischkäse »Cottage« plötzlich einige Schekel mehr kostete. Das Maß war für viele voll, als durch die sozialen Medien geisterte, dass der heimisch produzierte Schokopudding »Milky« im fernen Island billiger war als in inländischen Supermärkten.
In landesweiten Demonstrationen zogen bis zu einer Viertelmillion Menschen an den Abenden durch die Straßen, um gegen die unfairen und exorbitanten Lebenshaltungskosten zu protestieren. Sogar die Musik-Ikone Shlomo Artzi hauchte seinem Klassiker »Eretz Chadascha« (Neues Land) bei den Demos frisches Leben ein, indem er das Lied spontan umtextete und von sozialer Gerechtigkeit sang. Vielleicht schaut Artzi bei den Eröffnungen von Carrefour und Spar vorbei und singt ein Loblied auf die neuen Supermärkte im Land.