»Irgendwas ist anders«, dachte sich Rona Sneider, als sie neulich die Dizengoff-Straße in Tel Aviv entlangfuhr und dann in eine der Seitenstraßen abbog, um ihr Auto abzustellen. Beim Abschließen sei es ihr plötzlich klar geworden, sagt die Bankangestellte: »Ich habe ohne Probleme einen Parkplatz gefunden!« Das passiere ihr an einem Donnerstagabend normalerweise nie: »Da ist in der Stadt meistens die Hölle los.«
Freie Parkplätze, halb leere Bars, fließender Verkehr, kaum Warteschlangen an den Supermarktkassen, teures Obst und Gemüse, kein Gedrängel im Bus und Zug, freie Hotelzimmer, eine leere Strandpromenade im Norden Tel Avivs und freie Liegestühle am Strand – der Krieg in Gaza hinterlässt seine Spuren: Israels Konsum ist eingebrochen, die Wirtschaft leidet.
»Klar merken wir das«, sagt Ofer, einer der Kellner im Breakfast Club in der Rothschild 12 in Tel Aviv, wo am Wochenende oft Hunderte zur Musik von DJs tanzen. Die Leute blieben zu Hause. Der Wunsch, sich einzuigeln, macht sich selbst in den Supermärkten bemerkbar. So berichtet die Wirtschaftszeitung »The Marker«, dass der Internet-Einkauf erheblich zugenommen habe. Bei Mega etwa, der zweitgrößten Kette des Landes, seien die Online-Bestellungen um 40 Prozent gestiegen, in Beer Sheva sogar um 70 Prozent. Die Unternehmen haben sich auf die Situation eingestellt und liefern in 62 Kommunen in der Nähe des Gazastreifens frei Haus. Insgesamt verlieren Supermärkte auf der grünen Wiese an Kunden, während jene in den Wohngebieten mehr verbuchten, sagt ein Sprecher von Supersal, der Nummer eins im Land.
Landwirtschaft Von der Gazakrise besonders betroffen sind landwirtschaftliche Betriebe und deren direkte Kunden – die Nahrungsmittelhersteller. Erstere haben Ernteausfälle wegen der Raketen. »Manchmal können die Arbeiter nicht auf die Felder. Und manchmal nur mit vielen Unterbrechungen«, so ein Sprecher der Unternehmensvereinigung. Erst vergangene Woche starb ein Arbeiter durch einen Raketenbeschuss. In den Fabrikhallen dagegen kommt es zum Stillstand, weil die Ware verdorben ist oder der Nachschub fehlt.
Auch die Geschäfte für Kleidung und andere Waren verzeichnen einen Rückgang ihrer Einnahmen von 70 Prozent im Süden des Landes. Im Norden dagegen hält sich der Verlust mit zehn Prozent in Grenzen. Die Händler und Besitzer von Caféketten hoffen nun, die Einbußen mit dem Umsatz im Zentrum des Landes auszugleichen.
Hotels Hart trifft es auch die Tourismusbranche. So sagt Yossi Fatael vom Verband der Reiseunternehmer, man registriere einen Stopp bei den Buchungen und zahlreiche Stornierungen. »Dabei machen wir im Sommer normalerweise bis zu 40 Prozent unseres Jahresumsatzes.« Insgesamt gehen den Hotels rund 500 Millionen Dollar im dritten Quartal aufgrund des Krieges verloren. Nicht nur Touristen aus dem Ausland bleiben aus, auch die einheimischen. Wer in den Süden fahren wollte, hat storniert. Allein dadurch errechne sich ein Verlust von 25 Millionen Dollar, gab der israelische Hotelverband bekannt. Die Branche erwarte Hilfe von der Regierung.
Zu allem Übel kam dazu, dass die internationalen Airlines ihre Flüge für mehrere Tage einstellten. Dadurch verzögerten sich nicht nur Ein- und Ausfuhren, auch der Imageschaden ist enorm. Zahlen liegen jedoch noch nicht vor. Empörung bei vielen verursachte die Heimatflotte EL AL. Sie flog zwar weiterhin und holte viele Urlauber nach Israel zurück, schien die Situation jedoch auszunutzen und verdoppelte kurzerhand die Preise. So kostete ein Ticket von Wien nach Tel Aviv plötzlich 1100 statt wie üblich höchstens 500 Dollar. Ein Sprecher wies den Vorwurf zurück: »Es sind normale Preise.«
Defizit Trotz dieser Hiobsbotschaften sind Experten zuversichtlich, dass sich die Wirtschaft relativ schnell erholen wird. »Der wirtschaftliche Schaden, zumindest der kurzfristige, wird gering sein«, glaubt Yaniv Hevron, Chef einer großen Investmentfirma. Er warnte jedoch vor den Folgen für die privaten Haushalte, die die Krise mit sich bringen werde. Grund sind geringere Steuereinnahmen aufgrund des sinkenden Bruttosozialprodukts. Davon speist die Regierung etwa auch einen Kriegsfonds, mit dem Schäden an Gebäuden und der Infrastruktur ausgeglichen werden. Bislang seien etwa 600 Anträge eingegangen, gab das Finanzministerium bekannt. Es handle sich um einen Betrag in Höhe von fünf Millionen Euro. Im Fonds stehen derzeit 1,1 Millionen Euro für Ausgleichszahlungen zur Verfügung.
Die Kosten der Krise werden die anstehenden Haushaltsberatungen der Regierung entscheidend beeinflussen. Das Ziel, das Haushaltsdefizit zu reduzieren, liegt wohl vorerst auf Eis.
Kultur Wie sehr der Krieg das öffentliche Leben beeinflusst, ist auch am Beispiel des Jerusalemer Kulturfestivals zu sehen. Die Organisatoren haben beschlossen, alle Veranstaltungen zu verschieben. Geplant waren vom 10. Juli bis Mitte September Dutzende Konzerte, Ausstellungen und Lesungen. »Wir finden es angesichts der Situation nicht angemessen, das Festival stattfinden zu lassen«, sagt Kim Weiß, Koordinatorin für Journalisten aus dem Ausland.
In Tel Aviv denkt man anders, obwohl hier derzeit Veranstaltungen mit mehr als 1000 Menschen wegen der Sicherheitslage verboten sind. Die Konsequenz: Mehrere Konzerte mit Stars wie Neil Young wurden abgesagt. Aber man will sich nicht unterkriegen lassen: »Wir werden unsere kulturellen Angebote aufrechterhalten. Tel Aviv ist die Stadt, die nie schläft – nichts kann das ändern«, sagt Mira Marcus, bei der Stadtverwaltung für Marketing zuständig.