Bis spät in die Nacht feierten die Flüchtlinge aus Darfur in ihrer Teestube unweit des Zentralen Busbahnhofs von Tel Aviv die Ausrufung der Unabhängigkeit des Südsudans. Jetzt könne der 54. Staat auf dem afrikanischen Kontinent offizielle diplomatische Beziehungen mit Israel aufnehmen, freuten sie sich.
»Jetzt können sie bald wieder nach Hause zurückkehren«, frohlockte dagegen Innenminister Eli Ischai. Rund 9.000 sudanesische Flüchtlinge leben in Israel. Die meisten haben es mit der Heimkehr nicht eilig. »Wir brauchen Papiere«, sagt Ahmad Idrirs, der schon seit drei Jahren in Israel lebt und keinen gültigen Pass mehr hat. »Und wir wollen abwarten, ob es wirklich Frieden gibt.«
Privilegiert Idrirs gehört zu den Privilegierten. Der 37-Jährige lebt zusammen mit seiner Frau und der kleinen Tochter im ärmeren Süden von Tel Aviv zur Miete. In der winzigen Einzimmerwohnung wird gegessen, gespielt und geschlafen. Das selbstgebaute Bett dient als Schrank und Sitzecke gleichzeitig.
Idrirs’ Frau, die bei Mc Donald’s im Schichtdienst arbeitet, kommt wie er aus der Region von Darfur. Kennengelernt haben sich die beiden allerdings erst in Tel Aviv. »In Darfur gibt es noch immer Probleme«, sagt Idrirs. »Das Leben dort ist gefährlich.« In den Augen der frisch Eingetroffenen hat Idrirs es geschafft, denn er hat eine feste Arbeitsstelle und eine eigene Wohnung.
Neuankömmlinge Die Neuen schlafen dagegen im Levinski-Park, der unmittelbar gegenüber vom Zentralen Busbahnhof liegt. Sie halten sich mit Gelegenheitsjobs, mit Möbeltransporten und Autowaschen, über Wasser. Wenn sie Geld haben, was nicht jeden Tag der Fall ist, können sie essen. Trotzdem will auch von den Ärmsten der Flüchtlinge kaum einer gleich zurück.
Die Schicht von Idrirs’ Putzkolonne beginnt um halb vier Uhr nachmittags. Das lässt ihm morgens Zeit. In Kursen poliert er dreimal die Woche seine Englischkenntnisse auf. »Wall Street Institute«, sagt er, heißt die Schule, wo der Unterricht stattfindet.
Er trägt ein dünnes Polohemd, Sportschuhe und einen Rucksack. Mit einer Hand schiebt er sein Fahrrad vor die Teestube der Afrikaner. Hier ist auch der Straßenstrich der Stadt und es gibt Stände mit billigem Krempel und kopierten Musik-CDs. Drinnen im Lokal laufen Fernseher, und ein paar Männer rauchen schon am frühen Nachmittag Wasserpfeife.
Migranten »Ich möchte studieren und dann nach Hause zurück, um meinen Leuten zu helfen.« Idrirs spricht mit spürbarem Heimweh von seinem Dorf im Sudan, trotzdem hält ihn die Erinnerung an die erlebten Schrecken und die Angst, dass es wieder dazu kommen könnte, in Tel Aviv.
Israel nimmt afrikanische Migranten temporär auf, auch wenn sie illegal über die Grenze gekommen sind. Rund 35.000 sind es derzeit im Land, zuzüglich zu den 80.000 ausländischen Arbeitskräften, die von Israel gezielt angeworben wurden, um in der Landwirtschaft, auf dem Bau oder der häuslichen Kranken- und Altenpflege eingesetzt zu werden.
Von den Flüchtlingen sind nur ein paar hundert Privilegierte im Besitz einer Arbeitserlaubnis. Alle anderen leben mit dem »2-a-5«–Visum in einer rechtlichen Grauzone. »Die Leute stehen offiziell vor ihrer Abschiebung«, erklärt Sigal Rosen vom Tel Aviver »Hilfszentrum für ausländische Arbeiter«.
»Sie können aber erst dann abgeschoben werden, wenn sie dem selbst zustimmen.« Manche Flüchtlinge aus Süddarfur seien inzwischen bereit zur Rückkehr in ihre Heimat. Im Gespräch ist derzeit die Zahlung eines Abschiebegeldes in Höhe von umgerechnet 355 Euro pro Person, das die Ausreisebereitschaft der Flüchtlinge steigern soll.
Auffanglager Das Problem bei dem »2-a-5«-Visum ist, dass es keine Arbeitsgenehmigung umfasst. Erst auf gerichtliche Intervention mehrerer Nichtregierungsorganisationen konnte ein Urteil erwirkt werden, das den Flüchtlingen trotz der Einschränkungen in ihrem Visum ermöglicht, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Der Rechtspruch gilt temporär, nur so lange, bis das derzeit im Bau befindliche Auffanglager im Negev fertig ist. Dort erst einmal »untergebracht«, so argumentiert der Staat, brauchten die Flüchtlinge nicht mehr zu arbeiten.
Idrirs hat von dem geplanten Haftlager für Flüchtlinge »nur gerüchteweise« gehört. »Warum sollten sie mich dorthin schicken«, fragt er ungläubig. »Sie haben mich ohne jede Hilfe auf der Straße abgesetzt, da wollen sie mich jetzt, wo ich endlich zurechtkomme, ins Gefängnis stecken?«
Die Anlagen sind für 8.000 Personen konzipiert und würde ohnehin nicht für alle Flüchtlinge reichen. Vermutlich sind es die Obdachlosen, die die Polizei als Erste von der Straße einsammeln wird, sobald die Anlagen fertig sind, was bis September passieren soll.
Menschenhandel Nach Information des »Hilfszentrums« kommen jeden Monat 3.500 neue Flüchtlinge über die Grenze. Fast alle werden Opfer von Folter und wiederholten Vergewaltigungen durch Schleuserbanden, Beduinen aus dem Sinai. Die Flüchtlinge werden oft über Monate unter menschenunwürdigen Umständen von ihren Peinigern festgehalten, um von Familienangehörigen Lösegeld zu erpressen.
Die Gräueltaten spielen sich im Niemandsland ab, wo weder die israelische noch die ägyptische Polizei eingreifen darf. Nach Statistiken von Menschenrechtsorganisationen ist die Zahl der im Sinai gefangen gehaltenen Menschen nach den politischen Umbrüchen in Ägypten allerdings auf ein Viertel zurückgegangen.