Auch die Mutter der Geisel Omer Shem Tov will das Licht am Ende des Tunnels sehen. Auf der Bühne am Platz der Geiseln in Tel Aviv forderte sie die Demonstranten auf, Taschenlampen an ihren Mobiltelefonen einzuschalten und gen Himmel zu halten. Dann rief sie mit kraftvoller Stimme »Or«, das hebräische Wort für Licht.
Tausende von Menschen stimmten ein. Die Kundgebungen in Israel standen an diesem Samstagabend im Zeichen der vier befreiten Geiseln – und gleichzeitig der Forderung nach einem Deal für die restlichen 120 Menschen, die noch immer von der Hamas in Gaza festgehalten werden.
Nach der Befreiung von Noa Argamani, Shlomi Ziv, Andrey Kozlov und Almog Meir Jan aus der Gewalt der Terroristen durch die IDF demonstrierten Zehntausende in mehreren Orten des Landes für die Durchsetzung des Abkommens, für das sich US-Präsident Joe Biden derzeit einsetzt. Damit will er den Krieg zwischen der Hamas und Israel in drei Phasen beenden. Nach Angaben des israelischen Militärs befinden sich noch 120 Geiseln im Gazastreifen. Allerdings geht man davon aus, dass nahezu die Hälfte von ihnen nicht mehr am Leben sind.
»Was für ein Licht haben wir heute erlebt… welche Erleichterung und große Freude«, rief Shelly Shem Tov, deren 21-jähriger Sohn am 7. Oktober beim Nova-Rave von Terroristen gekidnappt wurde von der Bühne. »Egal, auf welcher Seite wir politisch stehen, egal, welche Partei wir bei den letzten Wahlen gewählt haben, an diesem Tag ist das ganze Land in Freude zusammengekommen.« Und so müsse man auch zusammenrücken, wenn es um einen Geiseldeal gehe. »Damit wir alle, die Geiseln in Gaza und wir Angehörigen, das Licht sehen.«
Lebene zur Rehabilitation, die Ermordeten zur Beerdigung
Das Forum der Familien für Geiseln und Vermisste fordert »einen Deal, der sie alle zurückbringen kann – die Lebenden zur Rehabilitation und die Ermordeten zur Beerdigung«.
Bei der Anti-Regierungsdemonstration nur wenige hundert Meter entfernt hatten sich rund um den Platz der Demokratie an der Kaplan-Straße zur selben Zeit Zehntausende versammelt, die einen Deal und Neuwahlen verlangten. Während bei den Protesten die große Freude über die Rettung der vier Geiseln immer wieder durchbrach, war auch die Wut über die Koalition in Jerusalem deutlich zu spüren. Immer wieder skandierten die Menschen: »P’chirot ach’schaw!« – Wahlen jetzt.
Auch in Jerusalem und der nördlichen Stadt Haifa, in Beer Schewa und am Wohnort des Premierministers Benjamin Netanjahu, Caesarea, fanden Demonstrationen statt.
»Sie waren am Leben, und wegen der Regierung und des Versagens eines Kabinetts sind sie nicht hier und nicht am Leben.«
tom barkai
Auf der Hauptbühne einer Anti-Regierungsdemonstration in Tel Aviv bezeichnete der ehemalige Geheimdienstchef der IDF, Amos Malka, die Rettungsmission als »unglaublichen operativen Erfolg inmitten einer Flut strategischer Misserfolge«. Er beschrieb sie als komplexer als die Operation Entebbe, bei der 1976 in Uganda mehr als 100 israelische Geiseln befreit worden waren.
Malka kritisierte den Premierminister auch scharf, dass er schon kurz nach ihrer Ankunft die freigelassenen Geiseln und ihre Familien zu traf und sich mit ihnen fotografieren ließ. Die Angehörigen der in Gefangenschaft getöteten Geiseln jedoch hätten von der Regierung nichts gehört. Dazu gehörten auch die Familien von Nadav Popplewell, Amiram Cooper, Yoram Metzger und Haim Peri, deren Tod Anfang der vergangenen Woche bekanntgegeben wurde.
»Sie waren am Leben, und wegen der Regierung und dieses Versagens eines Kabinetts sind sie nicht hier und nicht am Leben«, beklagte Tom Barkai, ein Verwandter von Peri und einer der Hauptorganisatoren der wöchentlichen Kundgebungen in Jerusalem, vor der Residenz des Premiers dort.
33 Menschen während der Demonstrationen festgenommen
Die Polizei in Tel Aviv teilte mit, dass 33 Menschen während der Demonstrationen festgenommen wurden. Einige Personen wurden verhaftet, nachdem es zu Auseinandersetzungen zwischen Beamten und Demonstranten kam, als diese versuchten, in Richtung Ayalon Highway zu marschieren und dabei Feuerwerkskörper zündeten. Es wurden auch Wasserwerfer eingesetzt.
Rotem Cooper, der Sohn des in der Geiselhaft ermordeten Amiram Cooper (84), entschuldigte sich bei seinem Vater. »Aba, ich möchte dich um Vergebung für unser kollektives Versagen bitten, vom Premierminister Israels bis zum letzten seiner Bürger, dich und deine Freunde aus der Gefangenschaft zu befreien. Die Rolle einer verantwortungsvollen und mutigen Führung besteht darin, Möglichkeiten zu initiieren und zu schaffen, die im Voraus zu deiner Freilassung sowie zu vielen anderen hätten führen können. Aber leider war das nicht der Fall. Diese Geschichte, Papa, hätte anders enden können und sollen, und deswegen kocht das Blut und die Seele schmerzt.«
»Entschuldigung, dass du an deinem Geburtstag nicht hier sein kannst.«
hila und omri shtivi
Auch Hila und Omri Shtivi, die Geschwister von Idan Shtivi, der vom Nova-Festival entführt wurde und am Samstag seinen 29. Geburtstag »feierte«, entschuldigten sich bei ihrem Bruder, dass er an seinem Ehrentag nicht zu Hause sein kann.
»Die Rettung der vier Geiseln erinnert uns an den Glauben, dass es selbst in absoluter Ungewissheit ein Licht der Hoffnung gibt, das Israel erleuchtet. Es erinnert uns daran, dass unser Volk sich danach sehnt«, so Omri Shtivi. »Wir müssen bedenken: 120 Geiseln warten darauf, nach Hause zurückzukehren. Wir dürfen uns nicht verwirren lassen. Militärische Operationen werden nicht alle 120 zurückbringen, nur ein Abkommen wird zu ihrer Freilassung führen. Ein Abkommen, das alle zurückbringt, ohne Soldaten zu gefährden.«