Avigdor Lieberman ist wieder Außenminister. Im Dezember 2012 war er von seinem Amt zurückgetreten. Grund war eine Anklage wegen Betrugs und Amtsmissbrauchs, die vergangene Woche mit einem Freispruch endete. Bis zu diesem Zeitpunkt war zwar wenig von ihm zu hören – verschwunden war Lieberman aus der israelischen Politik aber nicht. Wieviel Einfluss er besitzt, sieht man nicht nur daran, dass Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ohne Diskussion den Ministerposten für ihn freihielt – der 55-Jährige zog auch bei den jüngsten Kommunalwahlen in Jerusalem im Hintergrund die Strippen.
Die Zeit der Versteckspiele ist für Lieberman nun vorbei. Am Sonntag billigte das Kabinett die Wiederaufnahme seines Amtes, am Montag wurde er im Parlament vereidigt. Damit kehrt einer der umstrittensten Politiker Israels an den Kabinettstisch zurück. Die einen schätzen seine meist harschen Worte als »ehrlich«, die anderen sind überzeugt, er schade dem Ansehen Israels enorm. Innenpolitisch galt Lieberman lange als Vertreter der russischen Einwanderer, als säkular und unnachgiebig gegenüber den palästinensischen Nachbarn, jedoch ohne ein »Groß-Israel« im Kopf zu haben.
Er führte seine 1999 gegründete Partei Israel Beiteinu und sich selbst an die Macht und überstand 17 Jahre staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen wegen Geldwäsche, Korruption und mutmaßlichen Verbindungen zur russischen Mafia unbeschadet: Inzwischen ist seine Rolle in der Regierung an der Seite Netanjahus so gewichtig wie seine Statur. Die Frage, die sich Kommentatoren jetzt stellen: Welchen Weg wird Lieberman künftig innen- und außenpolitisch gehen?
aussen Beim Thema Außenpolitik geht es zuallererst um die derzeitigen Friedensverhandlungen mit den Palästinensern, die bislang ohne Fortschritte geführt werden. Lieberman gilt als Gegner der Verhandlungen und zweifelt deren Erfolgsaussichten an. Die Opposition fürchtet nun, er werde die Gespräche platzen lassen: »Lieberman als Außenminister bedeutet, eine Bombe in den Friedensprozess zu werfen«, sagte Zahava Gal-On von der Meretz-Partei bei der Vereidigung am Montag.
Der bisherige Kurs werde sich nicht ändern, glaubt hingegen die Jerusalem Post. Lieberman werde Justizministerin Zipi Livni als Verhandlungsführer nicht ersetzen, denn dann stehe nicht nur die Regierungskoalition auf dem Spiel, sondern auch das Verhältnis zu den USA. Und in der Sache seien sich Netanjahu und Lieberman ohnehin einig – beide seien Skeptiker, allenfalls im Ton unterschieden sich die beiden.
Auch in Sachen Iran ist keine Änderung zu erwarten. Die Angelegenheit liegt in den Händen des Premierministers, wie alle anderen außenpolitischen Themen. Trotzdem braucht Netanjahu natürlich die Unterstützung seines Außenministers – auch innerhalb der Koalition. Liebermans Rückkehr hält Netanjahu den Rücken frei. Der Premier will Minister Naftali Bennett von der siedlernahen Partei Habait Hajehudi auf Distanz halten und die rechten Hardliner in seiner eigenen Partei beruhigen. Dass Lieberman ein Auge auf sein Amt als Ministerpräsident geworfen hat, schert Netanjahu dabei wenig: Er fühlt sich sicher im Sattel.
Auftrieb Liebermans Freispruch könnte allerdings seiner Partei Israel Beiteinu neuen Auftrieb geben. Vorausgesetzt, sein guter Ruf innerhalb der »russischen« Wählerschaft hat noch Bestand. Genau den sehen einige aber durchaus schwinden. Eine neue Generation sei herangewachsen, die ihren Landsmann keinesfalls mehr als einzige Wahl betrachte. Was vormals ein perfektes Profil für diese Zielgruppe gewesen sei – Neueinwanderer, in den besetzten Gebieten wohnend, russischer Akzent und Bart –, sei längst normal und damit überholt.
Auch sein Bündnis mit dem Likud vor der Wahl im Januar hat Lieberman geschwächt – seine Partei verlor Stimmen bei den Knessetwahlen. Jüngst erlitt Lieberman indirekt eine politische Niederlage in Jerusalem, wo er um seiner Interessen willen mit seinem Erzgegner, der ultraorthodoxen Schas-Partei, kooperierte. Sie unterstützten Moshe Lion bei seiner Kandidatur zum Bürgermeister. Doch Lion, den viele als Marionette betrachteten, scheiterte.
Überraschung Auf Liebermans Agenda stehe jetzt, glauben Experten, die Entscheidung, ob seine Partei sich wieder vom Likud trennen soll, ob alles so bleibt, wie es ist, oder ob beide Parteien sich zu einer zusammenschließen. »Will er die maximale Stimmenzahl herausholen, dann ist die beste Lösung, sich zu trennen«, sagt Jonathan Rynhold, Professor für strategische Studien an der Bar-Ilan-Universität.
Das könne man an den Ergebnissen der vergangenen beiden Wahlen sehen. Netanjahus Vormachtstellung im Likud herauszufordern – dazu sei Lieberman derzeit nicht in der Lage, so Rynhold. Wolle er wirklich Ministerpräsident werden, dann sei der derzeitige Außenminister langfristig jedoch am besten beim Likud aufgehoben, glaubt der Politologe.
So scheint es, als bleibe mit Liebermans Rückkehr zunächst einmal alles beim Alten. Jedoch nicht ganz. Zum Beispiel wird der prestigeträchtige Posten des Vorsitzenden im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung neu besetzt – Lieberman gibt dieses Amt ab. Voraussichtlicher Nachfolger wird Ofer Shelah von der Zentrumspartei Jesch Atid sein, heißt es. Und noch etwas sorgte für Überraschung: Nach seinem Freispruch betete der areligiöse Lieberman an der Kotel. Dies sei pure Berechnung, kommentierte Haaretz. Denn Lieberman habe verstanden, dass er auch religiöse Israelis umwerben muss, wenn er Ministerpräsident werden will. »Das ist zynisch und zeigt wieder einmal, wie weit er geht, um sein Ziel zu erreichen.«