Der Vollmond taucht die alten Steine von Jerusalem in ein silbernes Licht. Mystisch und majestätisch erstrahlt die Kotel. Vor ihr Gläubige, die an den Abenden des Sukkotfestes an die heiligste Stätte des Judentums pilgern. Das Gemurmel der Fürbitten mischt sich mit dem Singsang des Muezzins, der die Muslime zum Gebet ruft. Nur einige Schritte weiter südlich verbirgt sich ein Geheimnis: Zum ersten Mal wird in Israel eine Kunstausstellung in einer aktiven unterirdischen archäologischen Stätte gezeigt.
Die Keramikausstellung der israelisch-kanadischen Künstlerin Nicole Kornberg-Jacobovici – Arteology: Die Macht der Antike in zeitgenössischen Formen – verbirgt sich in dem Entwässerungskanal des Zweiten Tempels unterhalb der Klagemauer. Ihre Gefäße sind angrenzend an die monumentalen 2000 Jahre alten Grundsteine und innerhalb der engen Bereiche des Wasserweges zu besichtigen.
Metapher Zusammengestellt wurde die Ausstellung von der Archäologin, Kunsthistorikerin und Kuratorin Irit Ziffer, die das Material als ganz besonders ansieht: »Ton steht als Metapher für Gott, der daraus Menschen schuf, und die Menschen, die aus Ton Statuen von Göttern formten.«
Besucher laufen durch die Davidstadt entlang der ausgegrabenen Straßen des archäologischen Parks mit seinen imposanten Artefakten, die von Tausenden Jahren Geschichte zeugen. Direkt vor der antiken Mauer führt eine schmale Treppe fünf Meter hinab in die Tiefe. Auf halbem Weg ist eine Nische in den Stein gehauen, in deren Mitte ein tönernes Gefäß steht, das, dekoriert mit goldenen Vögeln, so aus der Zeit unserer Urahnen stammen könnte. Es markiert den Beginn der Ausstellung.
Weiter führt der Tunnel in einen runden Raum, in dessen Mitte sich ein Metallgestell an die organische Form anschmiegt. Darauf unterschiedliche Gefäße in verschiedenen Farben und Größen. »Im Laufe der Geschichte wurde Ton verwendet, um Gegenstände unseres Lebens aufzubewahren, Nahrung, Wasser, Münzen, Schmuck, Schriftrollen, allesamt Dinge, die uns erhalten. Durch unsere dauernde Beziehung zu Ton können wir uns mit uns selbst, unserer Geschichte und den Kulturen der Vergangenheit verbinden«, erklärt Nicole Kornberg-Jacobovici im Halbdunkel der unterirdischen Gänge.
Der »Ausstellungsraum« war vor etwa 2700 Jahren Teil des Wassersystems Jerusalems.
»Für mich fühlte es sich richtiger an, meine Werke inmitten von Archäologie zu zeigen, als in einem sterilen Raum. Ton ist ein antikes Material, das genau hierher gehört.« Keramik spiegele einen Moment in der Zeit wider. »Indem ich meine Stücke in eine archäologische Stätte stelle, bringe ich sie zur Geschichte. Ich kann so mit den Menschen des Altertums und in gewisser Weise auch mit den Menschen der Zukunft in Dialog treten. Denn die Stätte erinnert uns daran, dass auch diese Stücke eines Tages archäologische Artefakte sein werden.«
Die bekannte italienische Kunstkuratorin Cinzia Chiari meint: »Es gibt keinen kraftvolleren Ort, um diesen Dialog zwischen alt und modern zu bezeugen, als die eigentlichen Grundsteine der Klagemauer, die auf dem natürlichen Felsgestein liegen und fast 2000 Jahre lang vor der Öffentlichkeit verborgen waren.«
schwingung Der einzigartige Ort schwingt auf vielen Ebenen mit den Steingut-, Steinzeug- und Tonstücken der Künstlerin. Unter den Ausstellungsstücken in Arteology befinden sich Vasen, Teller, Scheiben und Siegel, für die die Künstlerin unterschiedliche Tonarten und die Brenn-Methoden Elektro, Raku, Grill und Obvara verwendete. Die Oberflächen bearbeitete sie bildhauerisch, mit Schnitzmessern und Stempeln.
Inspiration findet sie in biblischen, kulturellen und historischen Motiven sowie in Kulturen, die vor 5000 Jahren entlang der Ägäis lebten, den Israeliten in Ägypten und den Etruskern im alten Rom. »Ich sehe die Schönheit in den Stücken, besonders in denen der Etrusker mit ihren Wellenmotiven, den Fischen und Meerjungfrauen.« Sie seien wie geschaffen für den Wasserkanal.
Yuval Baruch, Leiter der israelischen Altertumsbehörde, Bezirk Jerusalem, ist stolz auf »den besonderen Raum« für die Keramikausstellung, der vor etwa 2700 Jahren Teil des Wassersystems dieser Stadt war. »Es ist das erste Mal, dass wir eine Kunstausstellung in einer aktiven archäologischen Stätte haben, und ich hoffe sehr, dass es nicht das letzte Mal war.«
zivilisation Denn die »Sprache« der Archäologie basiere in vielerlei Hinsicht auf Keramik. »Es ist ein uralter Rohstoff, der die menschliche Zivilisation seit ihren Anfängen begleitet«, so Baruch. »Nicoles Keramiken sind besonders geeignet, da es sich um zeitgenössische Kunst handelt, die alte Formen und Methoden widerspiegelt. Dieser Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart sollte nicht nur Sache der Archäologen sein. Wir wollen die gesamte Bevölkerung einbeziehen – und genau das fördern wir hier.«
Arteology wird unter Leitung der Jerusalem Biennale präsentiert. Deren Gründer und Direktor, Rami Ozeri, findet die Verbindung der Keramikkunst mit den Fundamenten des »wichtigsten antiken Bauwerks dieses Teils der Welt sowohl ästhetisch als auch symbolschwer und magisch«.