»Chi-Chi-Chi, le-le-le!« Als Samuel Avalos vom Ölberg auf die Altstadt Jerusalems blickt, ist er nicht mehr zu bremsen. Die Arme in die Luft gestreckt, dem Himmel ganz nah, ruft er noch einmal die Parole, die ihn vor vier Monaten zurück auf die Erde, zurück ins Leben brachte. Die anderen Männer, die diesen Moment mit Avalos erleben, stimmen mit ein.
Ihr Schicksal berührte im vergangenen Jahr die ganze Welt: Am 5. August wurden 33 Chilenen bei ihrer Arbeit in einer Kupfer- und Goldmine in der Atacama-Wüste verschüttet. 69 Tage lang saßen sie rund 700 Meter tief unter der Erde fest. Nur der Glaube an Gott hielt die Hoffnung der Männer aufrecht. Ihre Gebete wurden erhört: Im Oktober konnten alle Minenarbeiter in einer spektakulären Aktion gerettet werden. Umgehend nach der Befreiung lud der israelische Tourismusminister Stas Misezhnikov die Männer und ihre Familien ein, das Heilige Land zu besuchen.
Reise Vier Monate später ist es soweit: Acht Tage lang sind 26 der 33 Bergleute mit ihren Familien in Israel unterwegs. Auf der Reise werden sie immer wieder von anderen Touristen erkannt, die sie herzlich drücken und ihnen alles Gute wünschen. »Sie sind Superstars, richtige Helden«, sagt Pilgerin Micheline Olivier aus Florida, nachdem sie sich mit den Bergleuten hat fotografieren lassen. »Als sie verschüttet waren, habe ich mit meiner Tochter den ganzen Tag vor dem Fernseher gesessen und gebetet.«
Unter Tage war Jose Henriquez (56) derjenige, der den Glauben der Gruppe aufrechterhalten hat. Dass er und 25 seiner Männer nun auf heiligem Boden stehen, erfüllt ihn »mit Ehrfurcht«. »Es ist ein Segen hier zu sein, am Ort von Gottes Ursprung, zu dem wir so viel gebetet haben, als wir in der Mine waren.«
Über das Unglück sprechen wollen die Bergleute während der »Pilgerfahrt des Dankes«, wie das Tourismusministerium die Reise genannt hatte, nicht. Die 33 Minenarbeiter sind noch immer arbeitsunfähig, werden medizinisch und psychologisch betreut, um das Erlebte zu verarbeiten. Der Medienrummel, den ihr Besuch in Israel auslöst, wird ihnen schnell zu viel. Das Tourismusministerium hatte die Journalisten im Vorfeld über jedes Ausflugsziel informiert.
Zum Teil wurden Busse bereitgestellt, um die Medienvertreter mit den Chilenen nach Massada oder Nazareth zu bringen. »Dafür, dass sie einen 5-Sterne-Urlaub umsonst bekommen, können sie das ruhig aushalten«, so ein Fotograf spöttisch. Die Einladung des Tourismusministeriums stieß in Israel nicht überall auf Zustimmung. Zu hoch seien die Ausgaben für solch eine PR-Aktion, zu niedrig der Werbeeffekt für Israel als Tourismusdestination, unkten Kritiker.
Empfang Von alldem bekommen die Bergleute und ihre Familien jedoch nichts mit. Sie werden überall herzlich willkommen geheißen, an christlichen wie an jüdischen Stätten. Präsident Schimon Peres empfängt die Gäste aus Chile mit einem Zitat aus dem 130. Psalm: »Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir: Herr, höre meine Stimme! Wende dein Ohr mir zu, achte auf mein lautes Flehen«. Peres sagte: »Auch ihr habt aus der Tiefe zu Gott gerufen, und er hat euch erhört.« Es sei ein Wunder, dass die Bergleute überlebt hätten.
Tourismusminister Stas Misezhnikov betont, dass die Welt die Minenarbeiter als Symbol für »Heldentum, Tapferkeit, Bruderschaft, Freundschaft und den kompromisslosen Kampf um die Existenz« sehe. Als Dank für die Einladung überreichen die Chilenen dem Staatspräsidenten und dem Tourismusminister jeweils einen von allen geretteten Kumpeln signierten Bildband über die Atacama-Wüste.
Wie viel den 26 Männern und ihren Familien die Reise bedeutet, wird auch ohne Worte deutlich. Als Luis Urzua, der Schichtführer, der als Letzter aus dem Schacht gerettet wurde, mit seiner Frau Carmen eng umschlungen in der Grabeskirche steht, rollt eine Träne über seine Wange.
Klagemauer Als Richard Villarroel die kleine Hand seines vier Monate alten Sohnes an die Klagemauer drückt, hält nicht nur seine Freundin Dana diesen Moment mit ihrer Kamera fest. Einen ganz besonderen Augenblick im Leben seines Sohnes, der sechs Tage nach der Rettung der Minenarbeiter zur Welt kam, hat sich das Paar für diese Reise aufgehoben: die Taufe Richard Juniors in Yardenit am Jordan.
Für Samuel Avalos ist der Aufenthalt in Israel wie eine zweite Wiedergeburt. Die erste erlebte er am 13. Oktober, als er als 22. aus dem Schacht gerettet wurde. Erst durch das Unglück in der Mine hat der 43-Jährige Gott für sich entdeckt. Im Heiligen Land findet er die Antwort auf die Frage, die ihn seit dem 5. August gequält hat: Warum ich? Warum wir?
»Ich bin mir mittlerweile sicher, dass Gott uns auserwählt hat, so zu leiden wie Jesus gelitten hat. Wir verkörpern das, und mit unserem Schicksal vereinen wir die Menschen und beeinflussen all die positiv, die wir treffen«, so Avalos. Diese Erkenntnis gebe ihm inneren Frieden, sagt er. »Außerdem hätte ohne dieses schreckliche Erlebnis keiner von uns je die Möglichkeit gehabt, so zu reisen und diese Erfahrungen zu machen.«