Wahlkampf

Küsse und Kampagnen

Irgendetwas stimmt nicht an der Kombination. Fast will sich der Betrachter abwenden vor so viel Hässlichkeit auf einem Plakat. Das schreiende Schwarz-Gelb beißt sich mit dem harmonischen Blau und Weiß. Doch es ist Intention. Nach Monaten des Hin und Her in Jerusalem ist der Wahlkampf in Israel offiziell eröffnet. 34 Parteien haben sich beim Registrierungskomitee angemeldet. Und obwohl lediglich etwa ein Drittel von ihnen am 22. Januar tatsächlich in die 19. Knesset einziehen wird, überbieten sie sich auf den Straßen mit reißerischen Parolen.

An manchen Kreuzungen prangen die grellen Poster gleich im halben Dutzend. Sie gehören »Der Bewegung« (hebräisch: Hatnua), der neuen Partei von Ex-Kadima-Frau Zipi Livni. Mit Schüttelreimen wie »Bibi asson – Zipi schalom« (»Bibi ist ein Desaster – Zipi ist Frieden«) versucht die einstige Außenministerin, die Zentrumswähler auf ihre Seite zu ziehen. Ob ihr das gelingen wird, darüber streiten sich noch die Geister. Nach einigen Umfragen könnte Livni neun Sitze bekommen, nach anderen nur fünf.

Immerhin hat sie innerhalb kürzester Zeit eine illustre Liste für ihre erst zwei Wochen alte Partei auf die Beine gestellt. Dabei sind Amir Peretz, unter der Olmert-Regierung Verteidigungsminister, der Ex-General und Friedensaktivist Amram Mitzner sowie sein strammer Kollege Elazar Stern als rechtsgerichtetes Korrektiv. Ihr Hauptanliegen: alles tun, um Netanjahu und Co. zu stoppen.

Schlacht Doch nicht alle frohlocken ob Livnis Rückkehr, stattdessen werfen ihr viele eine Zerschlagung des Mitte-Links-Blocks vor. Wähler holt Hatnua tatsächlich hauptsächlich von anderen Parteien derselben Richtung – etwa von Jesch Atid und ihrer alten Partei Kadima. Die rangiert auf der Beliebtheitsskala der Wähler mittlerweile unter »ferner liefen«. Und damit hat Livni eine Schlacht bereits gewonnen: die gegen ihren einstigen innerparteilichen Gegner, Kadima-Chef Schaul Mofaz.

Schelly Jachimowitsch reitet wagemutig auf der Anti-Netanjahu-Welle mit. Vor allem der Zusammenschluss der beiden Parteien Likud und Israel Beiteinu ist ihr ein Dorn im Auge. Bange machen gilt also sehr wohl bei der Vorsitzenden der Arbeitspartei (Awoda). In krakeliger Kinderschrift steht auf ihren Plakaten, dass Bibi »für die Reichen« sei, Jachimowitch ihre Stimme aber »für dich« einsetzen wird.

In den vergangenen Wochen war die ehemalige Radiosprecherin umtriebig und lockte mit ihrer charismatischen Art viele junge Gesichter in ihre altehrwürdige Partei. Viele Anführer der sozialen Proteste vom vergangenen Sommer sind dabei, etwa Staw Schafir und Itzik Schmuli. Und darauf zielt der Wahlkampf ab: Statt dem üblichen Krieg-und-Frieden-Getöse, das bei israelischen Parteien meist auf der Tagesordnung steht, macht die Awoda als einzige Partei die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes zum Thema. Jachimowitsch scheint den Nerv der israelischen Bevölkerung zu treffen. 20 Sitze oder sogar mehr scheinen ihr sicher und machen Awoda damit zur zweitstärksten Partei.

Noch viel sicherer scheint der Ausgang für die Männer, die derzeit die Regierung stellen. Premierminister Benjamin Netanjahu, der bisherige Chef auf dem Sessel des Ministerpräsidenten, wird aller Voraussicht nach auch der neue sein. Sämtliche Umfragen geben ihm und seinem Rechtsblock die meisten Stimmen und in verschiedenen Variationen auch die absolute Mehrheit. Und das, obwohl er eigentlich gar nichts zu sagen hat. Zumindest nicht im Wahlkampf. Keine Ankündigungen zu einem Präventivschlag gegen den Iran, keine Siedlungsversprechen, keine Kampfansagen an die Hamas.

Schweigen Der Likud fällt in diesem Wahlkampf bisher nur durch eines auf: Abwesenheit. Null Poster, null Parolen, null Programm. Klum, wie man auf Hebräisch sagt. Über den Gedanken hinter dieser Strategie wird dieser Tage wild spekuliert. Der Großteil der Kommentatoren meint, der Likud habe diese Wahl bereits gewonnen und hält den politischen Ball flach, um jegliche Fehler zu vermeiden. Nach dem Motto: »Reden ist Silber – Schweigen bringt Wählerstimmen«. Andere munkeln, Netanjahu und sein Team hätten einfach noch nicht entschieden, in welche Richtung die Kampagne gehen soll. Doch einen Monat vor der Wahl scheint diese These eher abenteuerlich als realistisch. Obwohl es sich, betrachtet man die jüngsten Ereignisse in Jerusalem, durchaus um eine sich selbst erfüllende Prophezeiung handeln kann, dass die Wahlplakate noch nicht gedruckt sind.

Denn mit im Boot des Likud sitzen die Mitglieder der Partei der russischstämmigen Juden, Israel Beiteinu. Dessen Vorsitzender Avigdor Lieberman und Netanjahu bilden bei der Wahl im Januar eine Liste. Der rechte Block – im Volksmund »Biberman« genannt – galt noch vor wenigen Tagen als sicherer Gewinner. Da aber war Lieberman noch nicht zurückgetreten. Der Außenminister Israels hatte am Sonntag sein Amt niedergelegt, als bekannt geworden war, dass er wegen Betruges angeklagt werden würde. Schilder mit Slogans wie »Bibi und Lieberman: Immer auf dem rechten Weg« hätten da wohl nicht so gut ausgesehen.

Ob sein Fremdküssen Lieberman den Betrugsvorwurf eingebracht hat? Immerhin busselt er an manchen Orten mit dem schneidigen Vorsitzenden der Newcomerpartei Jesch Atid (Es gibt eine Zukunft), Yair Lapid. Wohl kaum, denn die Kussfotos sind lediglich Fotomontagen der Linkspartei Meretz für ihre Wahlkampagne. In Anlehnung an die kontroverse Werbeaktion von Benetton, bei der sich verfeindete Staatsoberhäupter – zumindest auf Postern – in den Armen liegen, will Meretz mit der Kampagne provozieren. Werbefachmann Roi Jellin meint, dass die israelischen Wähler auf witzige Weise erfahren sollten, welch »unheilige Kooperationen« ihnen am 22. Januar bevorstehen könnten.

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