Es steht mitten im Ort. Ein wenig verborgen hinter rankender Passiflora und dicken Bäumen. Das Haus der Familie Eisner. Einige würden diese vier Wände am liebsten nie wieder sehen. Doch für Orly gibt es keinen schöneren Platz auf dieser Welt. Die israelische Künstlerin hat sich im ehemaligen Kinderhaus des Kibbuz Gvat ihr Zuhause eingerichtet, alles so originalgetreu wie möglich gelassen und gleichzeitig durchdesignt bis ins letzte Detail. Dort, wo die Kleinsten der Kooperative einst lebten, fühlt sie sich heute pudelwohl. Und das, obwohl sie selbst im Kinderhaus aufgewachsen ist. »Offensichtlich hat es bei mir kein Trauma hinterlassen«, sagt sie lachend und lädt ein zu einem Rundgang.
Einrichtung Auf 160 Quadratmetern hat es sich die 39-Jährige samt Ehemann Zachi und ihren drei Töchtern gemütlich gemacht. Renovierung und Umbau dauerten rund ein halbes Jahr. Um das Wohnzimmer zu vergrößern, entfernten die Eisners eine Wand, ansonsten haben sie so viel wie möglich erhalten. Fenster und Türen aus Holz sowie der steinerne Bodenbelag etwa sind allesamt original.
Und mehr als das. Während andere aus alten Häusern rausreißen, wegschmeißen und so viel wie möglich neu machen, füllt Orly ihr Heim fast ausschließlich mit »Grutaot«, alten Sachen und Sperrmüll. »Oh ja«, gesteht sie, »ich bin eine echte Müllsammlerin«. Ob Kinderbett, Wanddekorationen, Schranktüren vom einstigen Schuhmacher oder Keksdosen in der Küche – alles hier hat mindestens ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel. Liebevoll arrangiert verleihe es dem Haus jede Menge Charakter, ist Orly sicher. »Neu gibt mir nichts, es ist leblos, alte Dinge hingegen haben eine Geschichte zu erzählen. Das finde ich faszinierend.«
Inmitten der Küche etwa ist die Sitzgruppe aus den 50ern der Hingucker. Für 60 Euro im Second-Hand-Laden erstanden. Orly ist noch immer begeistert: »Die sehen nicht nur einmalig aus, sie sind auch super-bequem, obwohl sie schon älter sind als ein halbes Jahrhundert.« Auch im Beruf kommt ihre Liebe zu betagten Sachen zum Zuge.
Die Künstlerin gestaltet Bilder, hauptsächlich fröhliche, bunte Kinderszenen aus Formica geschnitten und auf Kaninchendraht geklebt. In Israel sind ihre Werke heißbegehrt, vertrieben werden sie über Ladenketten im ganzen Land. Momentan arbeitet sie daran, Verbindungen nach Europa aufzubauen.
Geschichte In dem Haus, gebaut 1952, schliefen, aßen und spielten die Kinder von ihren Eltern getrennt. Schon vor der Gründung des Staates Israel gab es Kibbuz-Kinderhäuser. Die Mütter und Väter brachten ihren Nachwuchs bereits wenige Tage nach der Geburt in die Einrichtungen und ließen sie versorgen.
Bis auf etwas Zeit am Nachmittag, die die Familien gemeinsam verbrachten, wuchsen sie praktisch ohne Vater und Mutter auf. Erst Mitte der 80er-Jahre wuchs das Bewusstsein in der Gemeinschaft, dass Kinder besser bei ihren Eltern groß werden sollten. Nach und nach wurden die Kinderhäuser abgeschafft.
Orly und Ehemann Zachi kennen die Häuser aus ihrer eigenen Kindheit ganz genau. Beide stammen aus der Kooperative im Yisrael-Tal unweit von Nazareth. Groll gegen den Kibbuz hegen sie nicht. »Im Gegenteil, meine Kindheit war wundervoll«, so Orly. Vielleicht auch deshalb, weil sich ihre Eltern, als sie sechs Jahre alt war, eine Sondergenehmigung holten, damit sie in der elterlichen Wohnung schlafen durfte.
»Ich bin ohnehin jede Nacht ausgebüxt und ins warme Bett von Mama und Papa geklettert.« Das aber sei nicht bei allen so gewesen, weiß sie. »Viele Eltern waren sehr strikt, die Kinder mussten in ihren eigenen Häusern bleiben. Ob gesund oder krank.« Für viele heute unvorstellbar.
Aufgabe Dass sie im Kibbuz bleiben würden, war Orly und ihrem Mann lange nicht klar. »Dafür mussten wir erst nach New York ziehen.« Weit weg von zu Hause funkte es zwischen den beiden. »Und dort war es auch, wo ich auf einmal wusste, dass ich Künstlerin sein will«, erinnert sich die Mutter von drei Kindern. Kein leichtes Unterfangen zurück im Kibbuz.
Nach der Armee arbeitete Orly dort als Kindergärtnerin. »So wäre es wohl geblieben, hätte es nicht die Hafrata gegeben.« Gemeint ist die Auflösung der Kibbuzim.
Für Orly bedeutete das die Freiheit. »Dadurch konnte ich meinen Traum ausleben.« Wenn sie an ihrem Arbeitstisch sitzt, die Sonne durch die Fenster scheint, ist sie glücklich.
Durch die Glastüren ihres Studios kann sie in den Wohnbereich schauen und den Töchtern Halel, Schira und Goni beim Spielen zusehen. »Es ist komisch, aber erst in diesem Haus habe ich gemerkt, dass ich wirklich angekommen bin. Und zwar da, wo ich schon immer war.«
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