Die Zahl wirkt gewaltig: Mehr als 50.000 Palästinenser sollen seit Beginn des Krieges in Gaza bei israelischen Angriffen getötet worden sein. Das meldet die Gesundheitsbehörde der Hamas, und renommierte Medien auf der ganzen Welt wie die »New York Times« oder die BBC greifen sie auf, um Berichte über das Leid der Menschen im Gazastreifen zu untermauern.
Oft sind sie mit Einschränkungen versehen; etwa, dass die Gesundheitsbehörde von den Terroristen kontrolliert wird und sich die Angaben nicht unabhängig überprüfen lassen, oder dass dabei nicht zwischen Zivilisten und Terroristen unterschieden werde. Allzu oft wird aber auch darauf hingewiesen, dass die Angaben von den Vereinten Nationen als vertrauenswürdig angesehen werden. So oder so: Die 50.000 toten Palästinenser dürften den Lesern im Kopf bleiben.
Doch es gibt schon lange Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Opferstatistiken der Hamas. Erst vor Kurzem veröffentlichte die pro-israelische Nichtregierungsorganisation »Honest Reporting« eine Untersuchung der aktualisierten Opferzahlen aus dem März und stellte fest, dass die Terroristen stillschweigend die Namen von Tausenden angeblicher Todesopfer plötzlich entfernt hatten. »In der neuen Hamas-Liste der Todesopfer vom März 2025 wurden 3400 ›vollständig identifizierte‹ Todesfälle aus den Berichten vom August und Oktober 2024 gestrichen – darunter 1080 Kinder«, schreibt Salo Aizenberg, Vorstandsmitglied von Honest Reporting, in seinem Bericht. »Diese ›Todesfälle‹ gab es nie. Die Zahlen wurden gefälscht – wieder einmal.«
Honest Reporting zufolge ist die Erklärung simpel: Die Gesundheitsbehörde der Hamas benutzt für die Opferliste ein Google-Dokument. Jeder, der einen Link zum Dokument hat, könne einen Namen darauf setzen, ohne Beweise liefern zu müssen. »Jetzt versuchen sie ganz klar, zurückzurudern und die Namen zu löschen, für die sie keine Begründung haben«, erklärt Andrew Fox, der an der Untersuchung mitgearbeitet hat. »Diese Listen sind so unzuverlässig, dass Medien auf der ganzen Welt sie nicht als verlässlich zitieren sollten«, so der Analyst und ehemalige Major der britischen Armee.
An natürlichen Ursachen gestorben
Schon kurz nach Beginn der Bodenoffensive im Oktober 2023 war Experten aufgefallen, dass die von der Gesundheitsbehörde gemeldeten Todeszahlen unnatürlich konstant gestiegen waren, statt unregelmäßig, wie es in einem Krieg zu erwarten wäre. Fox selbst hatte erst im Dezember in einer Analyse für die Henry Jackson Society, ein britischer konservativer Thinktank, herausgefunden, dass in den Opferstatistiken der Gesundheitsbehörde auch Menschen gemeldet wurden, die an natürlichen Ursachen gestorben waren, einige davon sogar vor Beginn des Krieges.
Fox stellte außerdem fest, dass 72 Prozent der damals gemeldeten Toten im Alter von 13 bis 55 Jahren Männer waren. Die Altersspanne entspreche auch der von Hamas-Mitgliedern. Dies sei ein Hinweis darauf, dass es sich bei den Toten eher um Kombattanten als um Zivilisten handle. Im Dezember lag die Zahl der Kriegstoten laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bei 44.000. Die israelische Armee hat gemäß eigener Angaben seit Beginn der Bodenoffensive im Oktober 2023 insgesamt 17.000 Hamas-Terroristen getötet.
»Die Opferliste ist ein Dokument, auf das jeder, der den Link hat, einen Namen setzen kann.«
Andrew Fox
Das Gegenrechnen von Kriegstoten wirkt pietätlos, doch ist die Glaubwürdigkeit der Opferstatistiken politisch brisant, weil ebendiese Zahlen von der Hamas und israelfeindlichen Aktivisten permanent genutzt werden, um den Vorwurf zu befeuern, Israel begehe im Gazastreifen einen Völkermord an den Palästinensern. Doch selbst die offenbar manipulierten Zahlen der palästinensischen Gesundheitsbehörde geben darauf keinen Hinweis, wenn man sie ins Verhältnis zu den Angaben der israelischen Armee zu getöteten Hamas-Terroristen setzt.
So wären laut der Daten von vergangenem Dezember 62 Prozent der Todesopfer im Gazastreifen Zivilisten gewesen. Zum Vergleich: Dem schwedischen Uppsala Conflict Data Program zufolge lag die Todesrate von Zivilisten bei Kriegen in städtischen Gebieten wie dem Gazastreifen zwischen 1989 und 2016 weltweit bei rund 60 Prozent.
In dem dicht besiedelten Küstenstreifen kommt für die israelische Armee erschwerend hinzu, dass die Hamas Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbraucht und ihre Kämpfer, Waffen und Infrastruktur unter zivilen Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäusern aber auch dem UNRWA-Hauptquartier versteckt. Gleichzeitig ruft die israelische Armee Zivilisten immer wieder zur Evakuierung auf und richtet Fluchtkorridore ein, bevor sie in einem Gebiet Hamas-Terroristen attackiert.