Dieser Schuss ging wohl nach hinten los und wird immer mehr zum PR-Desaster für Israels Regierung. Eigentlich wollte Amichai Chikli, seines Zeichens Minister für Diaspora-Angelegenheiten und den Kampf gegen Antisemitismus, Ende kommender Woche in Jerusalem eine große Tagung zum Kampf gegen Antisemitismus abhalten.
Persönlichkeiten aus der ganzen Welt, darunter der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy, der frühere CDU-Chef Armin Laschet und der argentinische Präsident Javier Milei, waren schon als Teilnehmer der International Conference on Combating Antisemitism angekündigt.
Doch seit klar ist, dass Chikli auch, milde gesagt, eher umstrittene Gäste eingeladen hat, hagelt es plötzlich Absagen. So gab Lévy vergangene Woche bekannt, er werde nicht nach Israel reisen, weil unter anderem Jordan Bardella, Vorsitzender des Rassemblement National in Frankreich und Chef der Fraktion der Europäischen Patrioten im Europaparlament, ebenfalls eine Einladung erhalten hatte. Auch die Enkelin von Parteigründer Jean-Marie Le Pen, Marion Maréchal, ist auf der Konferenz-Webseite als Teilnehmerin angekündigt.
»Keine gemeinsame Sache mit Rechtsextremisten«
Aus Spanien wird der langjährige »El País«-Journalist Hermann Tertsch erwartet. Er sitzt mittlerweile für die Rechtsaußenpartei Vox im Europäischen Parlament, ebenso wie die ungarische Fidesz-Politikerin Kinga Gál. Und auch der Präsident der Republika Srpska in Bosnien, Milorad Dodik, stand zunächst auf der Gästeliste. Ein Gericht in Sarajevo hatte Ende letzter Woche seine Verhaftung angeordnet. Was genau Dodik an Expertise beizutragen gehabt im Kampf gegen Antisemitismus, ist unklar. Sein Bild ist jedenfalls nicht mehr auf der Konferenz-Webseite.
Aus Protest gegen den »Koscherstempel« der israelischen Regierung für Repräsentanten problematischer politischer Kräfte sagte nicht nur Lévy, sondern auch weitere Gäste ab. Der Bundesbeauftragte für jüdisches Leben, Felix Klein, nannte als Grund den Auftritt von »weit rechts stehenden« Politikern.
Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, wird ebenso wenig wie Klein teilnehmen. »Wenn wir uns mit rechtsextremen Kräften zusammentun, diskreditieren wir unsere gemeinsame Sache. Es widerspricht auch meinen persönlichen Überzeugungen und wird sich negativ auf unseren Kampf gegen den Antisemitismus in unseren Gesellschaften auswirken«, schrieb Beck auf X.
Und auch das Foto von Armin Laschet findet sich seit dem Wochenende nicht mehr auf der Webseite der Konferenz: Laschet hatte am Freitag, ebenfalls auf X, der Grünen-Abgeordneten Lamya Kaddor zu verstehen gegeben, dass Nachrichten von seiner Teilnahme beim Antisemitismusforum eine »Falschmeldung« seien.
Der britische Antisemitismusexperte David Hirsh schrieb am Sonntag, er habe zwar Verständnis dafür, dass in einer zunehmend feindseligen Welt der Staat Israel auf der Suche nach Verbündeten sei. Aber: »Der Feind meines Feindes ist nicht unbedingt mein Freund.« Man müsse Abstand zu jenen Kräften halten, die Israels Werte nicht teilten.
Der Soziologe und Professor am Goldsmiths College in London weiter: »Israel könnte den Ratschlägen der örtlichen jüdischen Gemeinden aufmerksamer zuhören und es sollte der populistischen Rechten, die faschistischen Antisemitismus in ihrem Erbe und in ihrer Anhängerschaft hat, kein offizielles jüdisches Gütesiegel ausstellen.« Er hoffe, so Hirsh weiter, dass die Foren wieder dazu übergingen, unterschiedliche Standpunkte und Ansätze in einer ernsthaften, faktenbasierten und rationalen Debatte zusammenzubringen.
Auch Großbritanniens Oberrabbiner, Sir Ephraim Mirvis, gab Chikli am Montag einen Korb. »Nachdem der Oberrabbiner von der Teilnahme einer Reihe rechtspopulistischer Politiker an der Internationalen Konferenz zur Bekämpfung des Antisemitismus erfahren hat, wird er nicht mehr teilnehmen«, so Mirvis’ Büro in einer Stellungnahme.
Weitere Absagen dürften folgen. Informationen dieser Zeitung zufolge gibt es auch bei anderen jüdischen Organisation Überlegungen, sich von der Konferenz zurückzuziehen.
Der langjährige Geschäftsführer der Anti-Defamation League in den USA, Abraham Foxman, übte derweil indirekte Kritik an seinem Nachfolger, Jonathan Greenblatt. Dieser steht auch auf der Teilnehmerliste von Chiklis Forum. »Weder die (extreme) Linke noch die (extreme) Rechte sind Freunde Israels und des jüdischen Volkes«, sagte Abraham Foxman der israelischen Zeitung »Ha’aretz«.
Weiter erklärte er: »Seit dem explosionsartigen Anstieg des von links inspirierten Antisemitismus und des antiisraelischen Hasses in den letzten Jahren versucht die pseudofaschistische Rechte, die jüdische Gemeinschaft als Plattform zu benutzen, um zu zeigen, wie legitim und tolerant sie sind. Israel und die jüdische Gemeinschaft sollten ihnen keine Legitimität verleihen.«
Neben Greenblatt sollen auch der Vorsitzende der European Jewish Association, Rabbiner Menachem Margolin, und William Daroff, Geschäftsführer the Conference of Presidents of Major American Jewish Organizations, kommende Woche in Israel dabei sein. Margolin hatte Chikli bereits mehrfach zu Veranstaltungen in Europa eingeladen.
»Rechtsextreme sind unser schlimmster Gegner«
Nicht so der Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses (EJC), der Österreicher Ariel Muzicant. Der übte scharfe Kritik an Amichai Chikli. Der Likud-Politiker untergrabe mit seiner Einladung an die rechten Parteiführer die Bemühungen zur Bekämpfung von Judenhass. »Seit 80 Jahren kämpfen wir gegen Antisemitismus, Holocaustleugnung und die Folgen der Schoa«, so Muzicant laut »Jerusalem Post«. Er fügte hinzu: «Rechtsextreme Parteien in Europa waren in diesem Kampf unsere schlimmsten Gegner. Viele Funktionäre und Anführer dieser Parteien haben die Holocaustleugnung unterstützt, antisemitische Theorien und Äußerungen verbreitet und gegen die Anti-Nazi-Gesetzgebung angekämpft.«
Die Behauptungen mancher rechtspopulistischer Parteien, man unterstütze Israel gegen seine Feinde, nannte Muzicant fragwürdig. »Die Motivation rechtsextremer Politiker, an dieser Konferenz teilzunehmen, ist nicht etwa die Liebe zu Israel oder der Schutz der Juden, sondern hauptsächlich der Wunsch, einen Koscherstempel vom Rabbiner zu erhalten.« Dafür dürfe man sich als jüdische Gemeinschaft nicht missbrauchen lassen.

Natan Sharansky, einst »Refusenik« in der Sowjetunion und später Minister in Israel und Vorsitzender der Jewish Agency, teilte auf seinem Facebook-Account mit, er werde an der Konferenz teilnehmen. Sharansky kritisierte aber das Ministerium für Diaspora-Angelegenheiten dafür, dass es rechtsextreme europäische Politiker eingeladen hatte, ohne die jüdischen Gemeinden ihrer Länder zu konsultieren. Allerdings gab er zu bedenken: »Jene, die behaupten, ihre Ansichten gegenüber Juden geändert zu haben, verdienen es, gehört zu werden.«
Wie viele ausländische Gäste am Mittwoch kommender Woche tatsächlich beim Antisemitismus-Forum von Minister Amichai Chikli auftauchen, ist momentan noch unklar. Klar ist dagegen, dass Chikli mit seinen Avancen an rechtspopulistische europäische Politiker weder seiner Regierung noch dem Kampf gegen den Antisemitismus einen Gefallen getan haben dürfte.
Das dürfte dem 43-Jährigen Likud-Politiker aber herzlich egal sein: Chikli hat keine Berührungsängste. Er pflegt seit längerem enge Kontakte zu rechtskonservativen bis rechtsextremen Politikern in Europa und den USA. Das ging so weit, dass Angehörige von Geiseln der Hamas in Gaza sich gegen Chikli als Redner bei einer Diskussion in Brüssel zum Holocaust-Gedenktag einsetzten.
Trotz seines Ministeramts ist Chikli ein vehementer Gegner von Geiselabkommen mit der Hamas. Seine Unterstützung für rechtsextreme europäische Politiker sei unangemessen, so die Angehörigen in einem Brief. Das stehe »in krassem Widerspruch zu den Werten von Empathie und Solidarität, die uns leiten sollten.«
Chiklis Chef, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, hat sich bisher noch nicht zur Kontroverse um die Konferenz geäußert.