Er nahm kein Blatt vor den Mund. Obwohl sich Premierminister Benjamin Netanjahu bei seinem jüngsten Besuch in Russland auf dünnem diplomatischen Eis bewegte, sprach er deutliche Worte. Man werde nicht tatenlos zusehen, wie der Iran seine Expansionspläne im Nahen Osten verwirklicht, erklärte er dem russischen Präsidenten Wladimir Putin bei deren Treffen in Sochi unverblümt. Man werde im Ernstfall auch nicht um Erlaubnis bitten, sondern »im eigenen Interesse handeln«.
Bei dem dreistündigen Gespräch zwischen den beiden Staatsoberhäuptern im August sei es hauptsächlich um die Lage in der Region und die Bedrohung Israels durch das Teheraner Regime gegangen. Was Netanjahu dabei sagte, wurde in Pressemitteilungen veröffentlicht, von den Reaktionen Putins indes ist wenig bekannt.
Netanjahu betonte die guten bilateralen Beziehungen, an denen man kontinuierlich arbeite, machte dann jedoch klar: »Die Lage in Nahost ändert sich rasend schnell. Der Iran verstärkt seine Anstrengung, seine militärische Präsenz in Syrien auszubauen. Das ist gefährlich für Israel, den Nahen Osten und, ich glaube, für die ganze Welt.« Der Iran sei bereits weit dabei fortgeschritten, Irak und Jemen zu übernehmen, und kontrolliere außerdem de facto den Libanon.
Iran Durch internationale Anstrengungen, so Netanjahu, bekämpfe man den Islamischen Staat (IS), und das sei sehr willkommen. Ganz und gar nicht gewünscht sei indes, dass der Iran dort einzieht, wo der IS ausgezogen ist. »Wir vergessen nicht für eine Minute, dass Teheran jeden Tag mit der Zerstörung Israels droht. Er bewaffnet Terrororganisationen und zettelt selbst Terror an, entwickelt interkontinentale Waffen, die er mit nuklearen Sprengköpfen bestücken will. Aus all diesen Gründen sind wir gegen seine Einmischung in Syrien.«
»Ich habe mit Präsident Putin ganz deutlich über unsere Position geredet und erläutert, dass dies für uns inakzeptabel ist«, so Netanjahu später vor Journalisten. »Ich kann sagen, dass frühere Gespräche dieser Art mit ihm der Sicherheit und den Interessen von Israel dienten, und glaube, dass dies auch im Sinne Russlands ist. Nach dem Ausgang der jetzigen Unterredung glaube ich, heute dasselbe sagen zu können.«
Grenzen »Netanjahu redet Tacheles mit Putin und zeigt ihm Grenzen auf«, schrieben verschiedene Kommentatoren daraufhin. Doch dass die Worte beim Gastgeber den gewünschten Anklang finden, bezweifeln indes viele. Den Beziehungsstatus zwischen Israel und Russland bezeichnen sie oft mit: »Es ist kompliziert«. So auch Gideon Remez. Der Lehrbeauftragte am Harry S. Truman Research Institute an der Hebräischen Universität in Jerusalem ist Experte auf dem Gebiet. Vor einem Jahr schrieb er gemeinsam mit Isabella Ginor, ebenfalls vom Truman-Institut, ein Buch mit dem Titel The Soviet-Israeli War, 1967–1973: The
USSR’s Military Intervention in the Egyptian-Israeli Conflict.
Trotz der heutigen militärischen Einmischung Putins in Syrien habe es Israel bislang geschafft, dass es nicht zu einer Auseinandersetzung mit Moskau gekommen ist – und das sei gut so, meint Remez. Der jüngste Besuch Netanjahus habe in Anbetracht des Waffenstillstandsabkommens für das Nachbarland stattgefunden, das im Juli dieses Jahres von Russland und den USA ausgehandelt wurde. »Das Abkommen gibt dem Iran die Möglichkeit, nahe an Israels Grenzen auf den Golanhöhen zu gelangen«, so Remez. »Und darüber ist Jerusalem natürlich sehr besorgt.«
Er ist sicher, dass Russland wahrscheinlich keine Einwände hätte, wenn der Iran sich nicht in dieser Grenznähe aufhalten würde – Putin werde Teheran jedoch nicht in seine Schranken weisen und sei wahrscheinlich auch gar nicht dazu in der Lage. Die Reaktion Russlands auf Israels Bedenken gegen eine Stärkung des Irans lautete demzufolge in diplomatischer Sprache: »Wir werden unser Bestes tun, aber wir wissen nicht, ob es Wirkung zeigt.« Übersetzt heiße das schlicht »Nein«, klärt Remez auf. »Denn die Interessen Putins sind eindeutig – sie liegen ganz klar bei der Achse Iran, Hisbollah und Assads Syrien.«
Syrien Im Grunde habe sich die grundlegende Politik bezüglich Nahost und Israel seit der Sowjetzeit nicht wesentlich geändert, erläutert der Fachmann. Noch immer wolle Russland seine Stellung in der Region ausbauen. Besonders sei es an Syrien interessiert, denn das sichere seine Militärpräsenz im Mittelmeer. Die Motive dafür würden bis in die Zarenzeit zurückreichen. »Putin folgt dieser Strategie. Er scheint der neue Zar zu sein.«
Vor dem Treffen zwischen Netanjahu und Putin hatte es noch einen Eklat gegeben, nachdem Polen keinen russischen Vertreter für das internationale Projekt eines Museums und Denkmals im NS-Vernichtungslager Sobibor eingeladen hatte. Moskau bestellte daraufhin den israelischen Botschafter ein und verlangte von Israel, auf Polen Einfluss zu nehmen und diese Bloßstellung geradezurücken. Netanjahu lenkte ein und versicherte, dass Jerusalem in keiner Weise gegen eine Beteiligung Russlands sei. Diese Auseinandersetzung sei keine kleine Sache, ist Remez überzeugt, sondern stehe exemplarisch für die schwierige Verbindung zu Russland. »Die Geschichte um Sobibor ist wie ein Mikrokosmos des viel größeren Konflikts.«
Trump Israel habe keine echte Option, wenn es um Russland geht, resümiert er. Der Umstand, dass die Verbindung zwischen Putin und US-Präsident Donald Trump so undurchsichtig sei, mache für die Regierung in Jerusalem alles nur noch problematischer. »Denn zwar ist derzeit noch unklar, inwieweit Putin tatsächlich daran beteiligt war, die westlichen Allianzen aufzubrechen, doch dass die Geschehnisse in Frankreich, bei den Wahlen in den USA sowie der Brexit und dessen Folgen gut für ihn sind, daran gibt es keinen Zweifel.«
Remez’ Fazit ist, dass Jerusalem das Verhältnis zu Russland mit großer Vorsicht betrachten solle. Der Politikexperte meint, dass Moskau nichts unternehmen werde, was seine eigenen Interessen auch nur im Geringsten gefährden würde. Und auch die beharrlichen Gerüchte, Putin habe eine Schwäche für Israel oder fühle sich dem jüdischen Staat wegen der großen russischen Gemeinde in irgendeiner Art und Weise besonders verbunden oder gar verpflichtet, weist Remez kategorisch zurück. »Das ist eine Illusion und definitiv keine Versicherung für die Politik Russlands im Nahen Osten. Putin hat kein weiches Herz – für nichts und niemanden.«
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