Ein Großteil des Geschehens spielte sich vor dem Gerichtssaal 317 ab. Drinnen war der erste Tag des Korruptionsprozesses gegen den israelischen Premierminister recht schnell beendet und drehte sich hauptsächlich um Formalitäten. Nach etwa einer Stunde verließ Benjamin Netanjahu am Sonntagnachmittag das Jerusalemer Bezirksgericht wieder.
VERDÄCHTIGE Gemeinsam mit ihm müssen sich drei weitere Angeklagte vor Gericht verantworten: Der Hauptaktionär des Kommunikationsunternehmens Bezeq, Shaul Elovitch, und seine Frau Iris. Sie sind Verdächtige im Fall 4000. Sowohl Netanjahu als auch Elovitch wird Bestechung vorgeworfen. Der Eigentümer der Tageszeitung Jedioth Acharonoth, Arnon Mozes, ist in Sachen Korruptionsfall 2000 geladen.
Hunderte von Menschen vor dem Gebäude protestierten für und gegen Netanjahu. Während die Unterstützer Musik mitgebracht hatten und »Melech Bibi« (König Bibi) skandierten, hielten die Gegner Plakate mit der Aufschrift »Crime Minister« in die Höhe.
Die Führungsriege der Likud-Partei demonstrierte derweil Einheit. Viele Minister, darunter Amir Ohana, David Amsalem, Tzipi Hotovely und Miri Regev standen hinter Netanjahu, als der seine Worte an die Presse richtete. Regev tönte, dass man hier sei, um einen fairen Prozess zu verlangen, »für jemanden, dessen Blut tagein, tagaus vergossen worden ist«.
Es sei der Versuch eines »politischen Coups« der Polizei gegen den Willen des Volkes, meinte der Angeklagte.
Netanjahu selbst zeigte keinerlei Einsicht und betonte, dass an seiner juristischen Misere ausschließlich andere Schuld seien. Er wiederholte die Verschwörungstheorien gegen die Polizei, Justiz und Medien, die er seit Beginn der Ermittlungen wie ein Mantra von sich gibt: »Dies ist der Versuch eines politischen Coups der Polizei gegen den Willen des Volkes, um mich und das gesamte rechte Lager zu stürzen.« Der Prozess sei das Ergebnis der Bemühungen der Linken, die es seit zehn Jahren nicht geschafft hätten, ihn an den Wahlurnen zu schlagen.
GRENZEN Weder Justiz noch Medien würden Grenzen kennen, um ihn zu stürzen, legte er nach. »Es handelt sich um eine fabrizierte und absurde Anklage«« Die Menschen würden das jedoch verstehen, resümierte Netanjahu, »und mit Eurer sowie Gottes Hilfe werde ich weiterkämpfen. Ich werde den Staat Israel auch weiterhin anführen«.
Der Prozess vor den Richtern Rebecca Friedman-Feldman, Moshe Bar-Am und Oded Shaham wird hinter verschlossenen Türen im Saal 317 stattfinden, in den maximal 20 Menschen passen. Ein Live-Streaming wird in die angrenzenden Räume übertragen, in denen die Journalisten sitzen.
Netanjahu jedoch verlangte die Live-Übertragung direkt aus dem Gerichtssaal. »Die Öffentlichkeit muss alles hören, und nicht durch die Gerichtsreporter der Anklage.« Denn wenn die Bevölkerung die volle Wahrheit wisse, würden alle Fälle entzweibrechen, meinte er.
Im Gerichtssaal bat Netanjahus Anwalt Micha Fetman um einige Monate mehr Zeit, um das Material durchzuarbeiten. Das jedoch wurde von der stellvertretenden Generalstaatsanwältin Liat Ben Ari abgelehnt: »Wenn wir heute damit anfangen würden, wäre das verständlich«. Doch die Anklageschrift sei bereits im Februar 2019 eingereicht worden, und seitdem lägen die Unterlagen ebenfalls bei der Verteidigung. Ein Jahr und vier Monate lang.
VERTRAUEN Netanjahus Koalitionspartner Benny Gantz von Blau-Weiß, der den Premier noch vor wenigen Wochen unumwunden zum Rücktritt aufgefordert hatte, sagte an diesem Tag, dass man vollstes Vertrauen in die Justiz habe. »Wie jeder Bürger, so muss auch beim Premierminister die Unschuld gelten, bis das Gegenteil bewiesen ist.«
Auch der Chef der Linkspartei Meretz, Nitzan Horowitz, war an diesem Sonntagnachmittag zum Bezirksgericht nach Jerusalem gekommen. Er wandte sich vor allem an seine einstigen politischen Verbündeten, die jetzt mit Netanjahus in einer Regierung sitzen.
»Jene, die mit mir hier gegen die wilde Aufwiegelung gegen die Gerichte demonstrieren sollten, sind Gantz, Avi Nissenkorn, Amir Peretz und Gabi Ashkenasi«, sagte der Meretz-Vorsitzende. Alle hatten sich ursprünglich als Mitte-Links-Lager gegen Netanjahu gestellt, sind heute jedoch Teil der Regierung. »Jetzt dienen sie unter dem Angeklagten und geben ihm Bestätigung«, schimpfte Horowitz. »Es ist beschämend.«
Netanjahus fünfte Amtszeit ist wegen des Korruptionsprozesses umstritten. Kritiker befürchten, er könne versuchen, eine Verurteilung über eine systematische Schwächung des Justizsystems und Gesetzesänderungen zu verhindern.
Zurücktreten müsste Netanjahu erst im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung. Bis dahin könnten aber mehrere Jahre vergehen. Sollte er wegen Bestechlichkeit verurteilt werden, drohen Netanjahu bis zu zehn Jahre Haft. Im Falle einer Verurteilung wegen Betrugs und Untreue wäre die Höchststrafe drei Jahre Gefängnis. (mit dpa)