Handys aus! Beim Essen den Mund zu! Die Parlamentarier in Israel müssen wieder die Schulbank drücken. Auf dem Lehrplan: Benimmregeln. Nach einigen peinlichen Zwischenfällen mit einheimischen, vor allem jedoch ausländischen Kollegen wurde der Plan der Etikette-Schulung für Knessetmitglieder jetzt in die Tat umgesetzt. Vor allem Basisregeln sollen in dem Workshop vermittelt werden, der in dieser Woche beginnt, doch auch Grundlegendes zur Rolle der Abgeordneten als Vorbilder in der Gesellschaft.
»Wir bekommen ständig Besuch aus der ganzen Welt und repräsentieren den Staat Israel im Ausland«, erläutert Kursinitiator Danny Danon von der Likud-Partei. »In einigen Ländern bringt man Kindern bereits in der Schule Benehmen bei, sie lernen etwa, wie man sich höflich ausdrückt und geduldig in der Schlange ansteht«, so der Vorsitzende des Komitees für Immigration, Eingliederung und Diaspora. »Bei uns aber gibt es nichts dergleichen.«
Kaktus Gerade mit der Geduld aber sei das so eine Sache, glaubt die Soziologin Tali Gatt. »Die Neuankömmlinge im jungen Staat Israel sind dazu erzogen worden, hart und zielstrebig zu sein. Tischmanieren oder Höflichkeit stammten aus der Diaspora und wurden als Schwäche ausgelegt. Die Pioniere kamen aus aller Herren Länder. Sie hatten keine Zeit für Floskeln oder gepflegten Umgang, es galt, hart zu arbeiten und ein Land zu verteidigen.« Nicht umsonst steht die Kaktusfeige »Sabra« als Sinnbild für den Israeli: außen pieksig, innen süß.
»Sawlanut – Geduld – ist nichts, was man in einigen Stunden Unterricht vermitteln kann. Es ist ein Wert, der über Generationen wächst«, erklärt Gatt. »Hierzulande ist Geduld alles andere als vorrangig.« Auch die Trainerin der Knessetabgeordneten kennt dieses Problem. Tami Lancut-Leibowitz gilt in Israel als Benimmpäpstin, hat diverse Bücher zum Thema geschrieben und ist Inhaberin einer Schule für Etikette in Tel Aviv. »Israelis hören oft nicht zu und unterbrechen ihre Gesprächspartner«, weiß sie. »Sie sind wirklich sehr ungeduldig.«
Lancut-Leibowitz hat sich gut auf ihre schwierige Aufgabe vorbereitet. Stundenlang schaute sie sich den Knessetkanal im Fernsehen an und weiß, was auf sie zukommt. »Israelis sind direkt und natürlich«, beschreibt sie die typische Zwanglosigkeit ihrer Landsleute. Allerdings kann dies im Ausland zu Missverständnissen führen. »Wenn das Plenum tagt, wissen die Leute nicht, wie man miteinander redet. Und ihnen beim Essen zuschauen zu müssen, ist für mich wirklich traumatisch.«
Tischmanieren Um anderen ein derartiges Trauma zu ersparen, wird sich der erste Workshop mit grundlegenden Tischmanieren beschäftigen. Denn die sind den wenigsten Israelis in die Wiege gelegt worden. »Die meisten wissen nicht, wie man das Besteck oder eine Serviette richtig benutzt, sie stellen ihre Stühle nach dem Essen nicht zurück an den Tisch«, so Lancut-Leibowitz. In der ersten Unterrichtsstunde sollen die Parlamentarier üben, wie man korrekt mit Gabel und Messer isst und vor allem den Mund beim Essen geschlossen hält.
Gute Manieren haben viel mit Zurückhaltung zu tun, ist Soziologin Gatt überzeugt. »Und das ist wahrlich keine Stärke meiner Landsleute.« Die Hauptmotivation vieler scheint, kein »Freijer« zu sein, also niemand, dem die Butter vom Brot genommen wird. »Vorpreschen und Durchboxen ist die soziale Norm, dazu passt keine Höflichkeit. Wer nicht mitmacht, gilt als Loser oder bleibt auf der Strecke.« Dass derartiges Verhalten in vielen anderen Nationen als rau und unangenehm angesehen wird, sei Israelis oft nicht bewusst.
Handy-Manie Gatt ist sicher: »Dass es bei vielen Gelegenheiten, sei es aus diplomatischer oder geschäftlicher Sicht, besser ist, zurückzustecken, und man so durchaus als Gewinner aus einer Situation hervorgehen kann, wird hier nicht verstanden.« Für viele Israelis sind Manieren nichts als unnützer Schnickschnack. Noch heute werden die »übertrieben höflichen deutschen Juden« in Witzen auf die Schippe genommen. Angeblich sollen die Jeckes nach ihrer Ankunft beim Aufbau des Landes zu jedem Backstein, der ihnen gereicht wurde, gesagt haben: »Bitteschön – Dankeschön«.
Lancut-Leibowitz ist dennoch zuversichtlich, dass ihre Schulungen fruchten werden. Eine Aufgabe allerdings sieht sie als besonders knifflig an: die Parlamentarier davon zu überzeugen, dass sie ihre Handys ausschalten, wenn sie zu Sitzungen oder Besprechungen gehen. Israelis scheinen oft symbiotisch mit ihrem Mobiltelefon verbunden zu sein, oft klebt es stundenlang am Ohr.
Es ist nicht selten, dass das ganze Restaurant oder gar der Sitzungssaal an einer persönlichen Unterhaltung per Telefon beteiligt wird. »Nirgends auf der Welt habe ich Menschen gesehen, die permanent an ihren Handys spielen oder SMS schreiben«, lautet das harsche Urteil der Benimmlehrerin. »Nur hier.« Doch sie hat klare Richtlinien für die Zukunft: »Wenn jemand einen dringenden Anruf des Premiers erwartet, darf er das Telefon anlassen. Sonst ist es aus.«
Ob per Handy oder direkt: Auch Fluchen soll demnächst der Vergangenheit angehören. Schimpfworte in der Öffentlichkeit sind tabu, so Lancut-Leibowitz. Doch Illusionen hat sie nicht: »Parlamentarier in Israel werden wohl nie aufhören, lautstark zu diskutieren und zu streiten. Aber wenigstens können sie es in der Zukunft etwas höflicher tun.«