Zweimal in fünf Monaten wurde der rote Teppich ausgerollt. Stolz schritten die Politiker darüber, um im Inneren des würdigen Hauses in Jerusalem vereidigt zu werden. Im April war es die 21., am vergangenen Donnerstag die 22. Knesset des Staates Israel. Zum Arbeiten kamen die Parlamentarier jedoch nicht. Denn damals wie heute ist es eine Knesset ohne regierungsfähige Koalition.
Populismus Die jüngste Zeremonie war nahezu identisch mit der im April. Außer dass Präsident Reuven Rivlin dieses Mal noch klarere Worte für die Abgeordneten hatte: »Das Wahlergebnis ist eine rote Karte für Populismus und ein politisches System, das sich von der Betonung der Unterschiede nährt. Die Demokratie ist in Gefahr«, warnte er. Wiederholt rief Rivlin die Vertreter der beiden größten Parteien, Likud und Union Blau-Weiß, dazu auf, eine Einheitsregierung zu bilden. Sollte in den kommenden Wochen keine arbeitsfähige Regierung gebildet sein, wird auch diese Knesset aufgelöst. Und die Israelis müssen erneut an die Urnen gehen.
Dass dabei etwas wesentlich anderes als im September – eine fast gleiche Aufteilung zwischen dem rechtsreligiösen und dem Mitte-Links-Block – herauskommen wird, bezweifeln die meisten. Die große Revolution erwartet derzeit wohl niemand. Wie Yossi Klein von der linksliberalen »Haaretz« sarkastisch schreibt: »Bei einer dritten Wahl erkennen wir, dass sich, selbst wenn es ein viertes, fünftes und sechstes Mal gibt, nichts ändern wird.«
Dieses Szenario jedoch wird mit jedem Tag wahrscheinlicher. Ein Treffen zwischen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und dem Vorsitzenden von Israel Beiteinu, Avigdor Lieberman, um eine Koalition zu besprechen, endete »ohne Durchbruch«, wie die Parteien im Anschluss verkündeten. »Wir haben dem Premierminister klargemacht, dass wegen der Herausforderungen bei den Themen Sicherheit und Wirtschaft eine Einheitsregierung die bevorzugte Option ist. Der richtige Weg ist es, gemeinsame Werte zwischen Israel Beiteinu, Likud und Blau-Weiß zu schaffen«, so Liebermans Partei in einer Erklärung.
SCHEITERN Doch genau an diesen Werten scheitert die Annäherung. Während Netanjahu partout die religiösen und rechten Parteien mit in die Koalition bringen will und ausschließlich als Block verhandelt, hatten sowohl Lieberman als auch Gantz dies kategorisch ausgeschlossen. Und sie tun es immer noch. Die Mandate der kleineren Parteien werden für eine Mehrheit in der Knesset nicht benötigt.
Derzeit geht keiner auf den anderen zu. Die Gespräche waren bis Redaktionsschluss völlig eingefroren. Der Vorsitzende der Zentrumsunion, Benny Gantz, will gar nicht mehr reden. Zumindest nicht, »solange Netanjahu nicht ernsthaft daran interessiert ist, einen Kompromiss zu erreichen, bei dem die Macht geteilt wird«. Ein für vergangenen Mittwoch mit Premier Benjamin Netanjahu geplantes Treffen sagte er am Dienstagabend ab. Jetzt beschuldigt der Likud die Union, eine Einheitsregierung zu verhindern und das Land in einen dritten Wahlgang zu drängen.
Yair Lapid will zugunsten einer Einheitsregierung auf den Posten des Premiers verzichten.
Doch davon wollen Gantz und seine Nummer zwei, Yair Lapid, nichts hören. »Zurzeit werden noch nicht einmal die grundlegendsten Bedingungen eingehalten«, gaben sie in einer Erklärung bekannt. »Aus diesem Grund wird es kein Treffen geben.« Denn Netanjahu verhandle nicht ehrlich, »und wir werden keine Figuren in seinen Wahlspielchen sein«. Medienberichten zufolge geht es auch darum, dass Netanjahu darauf bestehe, bei einer Rotation als Erster auf dem Chefsessel Platz zu nehmen. Das beansprucht jedoch auch Gantz. Blau-Weiß hatte bei den Wahlen ein Mandat mehr bekommen als der Likud.
Einer, der einen ersten Schritt in Richtung Einigung machte, ist Yair Lapid. Beim Vereidigen der Knesset gab er bekannt, dass er seinen Anspruch auf den Ministerpräsidentensessel aufgeben würde, wenn eine breite Koalition zustande käme. Zwar hatten Gantz und er dieses Abkommen geschlossen, als sie die Union gründeten, »doch die Interessen des Landes sind wichtiger«, erläuterte er. Lieberman würdigte Lapid für diesen »wichtigen und ehrenhaften Akt«.
Blau-Weiß sei außerdem dazu bereit, sich mit dem Likud zu einem späteren Zeitpunkt zu treffen. Dafür müsse allerdings als Vorbedingung gelten, dass der Likud nicht darauf besteht, ultraorthodoxe und rechte Parteien mit in die Regierung zu holen. Des Weiteren betonen Gantz und Lapid, dass sie nicht mit Netanjahu als Premier gemeinsam regieren werden, solange der unter Korruptionsverdacht steht. »Ein Mann, der sich drei Anklagen gegenübersieht, will uns in dritte Wahlen zerren ...«, wetterte Lapid.
RÜCKTRITT Die Anhörungen Netanjahus vor dem Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit laufen derzeit. Anschließend wird dieser entscheiden, ob und in welchen der drei Fälle sich Netanjahu tatsächlich vor Gericht verantworten muss. Gantz sagte dazu, dass ein Premier, der in einen Korruptionsskandal verwickelt ist, wohl kaum das Wohl der Bürger im Sinn habe. Er forderte Netanjahu daher zum Rücktritt auf: »Halten Sie nicht an Ihrer Position fest. Wir wollen eine Einheitsregierung, keine Immunitätsregierung. Lassen Sie uns jetzt übernehmen.«
Doch von einem Rücktritt ist Netanjahu offensichtlich noch weit entfernt. Am vergangenen Donnerstag forderte er kurzerhand sofortige Vorwahlen in seiner Partei, um zu beweisen, dass es »keine Revolte im Likud gibt«. Sein parteiinterner Rivale, der einstige Innenminister Gideon Saar, twitterte daraufhin prompt: »Ich bin bereit.« Doch Netanjahu-Verbündete warnten ihn Medienberichten zufolge, dass solche Vorwahlen derzeit ein zu großes Risiko für ihn bergen. Sozialminister Haim Katz schlug vor, sie erst im kommenden Jahr durchzuführen. Der Parteivorsitzende stimmte dem zu.
PREIS Knessetsprecher Yuli Edelstein erklärte am selben Tag in einer Nachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Senders Kan, dass Netanjahu willens sei, »sich im Falle einer Anklage freistellen zu lassen«. Dies sei kein leichter Schritt für eine Führungspersönlichkeit, doch »der Premierminister ist bereit, diesen Preis für eine Regierungsbildung zu zahlen«. Auch Rivlin hatte Netanjahu vorgeschlagen, bei Anklageverkündigung eine »unbefristete Beurlaubung« zu beantragen.
Gleichzeitig könnte es kurz bevorstehen, dass der amtierende Ministerpräsident das Mandat, eine Regierung zu bilden, an den Präsidenten zurückgibt, weil keine Koalition zustande kommt. Rivlin wird dieses Mandat dann voraussichtlich Gantz übergeben, damit der dann versuchen kann, eine funktionierende Regierung zu bilden – und weitere Wahlen mit einem ähnlichen Ergebnis zu verhindern.