Vergitterte Busse, Militäreskorten und bewaffnete Bodyguards statt fröhlicher Lieder und Picknick im Grünen. So könnten Ausflüge israelischer Schulkinder zukünftig aussehen. Bildungsminister Gideon Sa’ar plant, ab dem nächsten Jahr Oberschulklassen in die Westbankstadt Hebron zu schicken, um das Grab der Patriarchen zu besuchen.
Das umstrittene Projekt soll zunächst als Experiment in einigen Gemeinden starten. Derweil diskutieren Lehrer und Schüler an Schulen im ganzen Land, ob solche Fahrten sinnvoll sind. Der Minister von der regierenden Likudpartei indes ist überzeugt: »Es hat große Bedeutung, die historischen Wurzeln des Staates im Lande Israel kennenzulernen«, sagte er bei der Bekanntgabe des Vorhabens.
Die Patriarchengräber, auf Hebräisch Mearat Hamachpela genannt, liegen in der Stadt Hebron im Westjordanland. Hier sollen die biblischen Stammväter Abraham, Isaak und Jakob sowie die Matriarchinnen Sara, Rebekka und Lea beigesetzt sein. Die Stätte ist für Juden wie Araber gleichermaßen heilig. In Hebron mitten im palästinensischen Autonomiegebiet lebt – von einer starken israelischen Militärpräsenz permanent bewacht und geschützt – eine Handvoll jüdischer Familien inmitten der 200.000 arabischen Bewohner.
Sie gelten als Siedler mit rechtsextremen Ansichten. Nicht selten ist die Stimmung aufgeheizt und gleicht einem Kriegszustand. Bewaffnete Soldaten patrouillieren rund um die Uhr. Vor der historischen Stätte selbst steht ein gepanzertes Fahrzeug der Armee, junge Männer mit olivgrünen Uniformen und Maschinengewehren gehen und stehen überall.
Vorgabe Während das Ministerium betonte, dass die Fahrten nicht verpflichtend sind und nur für jene Bildungseinrichtungen angeboten werden, die von sich aus daran Interesse hätten, erklärten Vertreter des Ministeriums, es sei eine klare politische Richtungsvorgabe für säkulare Schulen. Es sei das erste Mal, dass das Ministerium Fahrten zum Grab sponsert. Bis heute besuchen fast ausschließlich Schüler von strengreligiösen Schulen, meist aus Siedlungen im Westjordanland, auf eigene Initiative die Stätte.
In einem Interview mit dem Armeeradio betonte Sa’ar, dass die Jugend Israels »so viel über ihre Geschichte wissen soll, etwa den König David, wie über Big Brother und ähnliche Sendungen«. Bei Nachfragen, ob den Kindern während der Fahrten auch die Probleme der Palästinenser vermittelt würden, wiegelte er ab: »So etwas würde eine Veranstaltung von einer historischen in eine politische verwandeln.«
Der ehemalige Bildungsminister Amnon Rubinstein meldete sich daraufhin in den Medien zu Wort und betonte, dass es falsch sei, Schüler nach Hebron zu bringen, ohne ihnen zu erklären, welchen Preis die Palästinenser für die jüdische Präsenz dort zahlen. »Es ist nicht gut für einen Minister der Bildung, sich in derartige Sachen einzumischen. Dafür gibt es andere gut ausgebildete Leute.«
Die Initiative für die Besuche von säkularen Schulen ging von Malachi Lewinger aus, Bürgermeister des benachbarten Kiriat Arba. Die jüdische Gemeinde Hebrons veranstaltet regelmäßig Führungen durch »ihre Stadt«, in denen Besuchern die Geschichte vermittelt wird. Erwähnt wird dabei etwa ausführlich das arabische Massaker von 1929, bei dem 67 jüdische Zivilisten ums Leben kamen, verschwiegen hingegen das Gemetzel des extremistischen Siedlers Baruch Goldstein, bei dem 29 betende Moslems getötet wurden. Hier genau liegt die Sorge von Pädagogen.
Lehrer Halel Hadari unterrichtet Oberschulklassen in Geschichte und Staatsbürgerkunde am landwirtschaftlichen Gymnasium von Pardes Hanna-Karkur. »Aus rein wissenschaftlicher Sicht kann es nicht sein, Schüler in ein derart politisches Gebiet zu bringen und dann einen wesentlichen Aspekt, nämlich die palästinensische Seite, auszulassen. Kinder fragen und brauchen Antworten. Sollen wir ihnen etwa die Augen verbinden, damit sie die Realität nicht sehen?«
Der Lehrer fürchtet, dass diese Fahrten außerdem zu einer Spaltung innerhalb der Klassen führen könnten, Linke gegen Rechtsgerichtete. »Wenn es tatsächlich darum ginge, neben dem historischen Aspekt die Probleme einer Besatzung zu erklären, würde ich es unterstützen. So aber sehe ich es als politische Propaganda, und die hat nichts an Schulen zu suchen.«
Zudem sei der Aspekt der Sicherheit zu beachten. »Unsere Jugend in gepanzerten Fahrzeugen in eine Krisenregion zu schicken, damit sie etwas über ihre Geschichte erfährt, halte ich für eine Verschiebung von Prioritäten. Da stimmt etwas nicht.«
Die Organisation »Breaking the Silence«, von Soldaten gegründet, um über die Realität in den besetzten Gebieten aufmerksam zu machen, hat bereits angekündigt, sich für die Fahrten als Begleiter zu bewerben, damit »ein komplettes Bild der komplexen Situation vor Ort beschrieben wird«.
Einige Politiker zeigten sich von Sa’ars Idee angetan. Zipi Chotovely, Knessetmitglied für den Likud, sagte: »Hebron ist die erste hebräische Stadt und Juden sind seit 4.000 Jahren eng mit ihr verbunden. Es ist angemessen, dass jeder Schüler und Bürger Israels hinreist, um das Erbe der Patriarchen mit eigenen Augen zu sehen.«
Schüler Ascher Alon, Vorsitzender des nationalen Schülerrates ist der Meinung, die Ausflüge seien außerordentlich wichtig. »Wir müssen Israel mit allen nationalen Stätten kennenlernen. Dazu gehören natürlich die Klagemauer und auch Mearat Hamachpela.« Allerdings müsse besonders auf Sicherheit geachtet werden, es könne nicht sein, dass Jugendliche in Gefahr gebracht werden.
Michal Gatt sieht es generell so wie Alon. Sie geht in die zehnte Klasse einer Oberschule in Ramat Hascharon. Generell sei sie an Fahrten zu historischen Orten interessiert und findet, sie habe die Aufgabe, über das jüdische Erbe informiert zu sein. Nach Hebron aber will sie nicht. »Ich möchte auf Schulausflügen keine Angst haben und um mein Leben fürchten. So viel ist mir Bildung nicht wert.«