Deprimiert lehnt Batman an einem Zaun. Den Kopf gesenkt, ein selbst gemaltes Schild in der Hand: »Sogar Superhelden können hier nicht überleben.« Der junge Mann im Kostüm demonstrierte am letzten Samstag gemeinsam mit Tausenden von Menschen für mehr soziale Gerechtigkeit in Tel Aviv. Auf dem Programm stand vor allem das neue Reformpaket der Regierung. Das beinhaltet so viele Sparmaßnahmen, dass vor allem sozial Schwache künftig den Gürtel noch enger schnallen müssen.
Bereits in der vergangenen Woche hatte das Kabinett die Beschlüsse gefasst. Man wolle damit die heimische Ökonomie schützen, hieß es aus Jerusalem. »Dies ist ein verantwortlicher Schritt, der unsere Wirtschaft und die Jobs der Menschen rettet«, verkündete Regierungschef Benjamin Netanjahu und versprach: »Mit diesen Maßnahmen haben auch schwächere Gruppen und die Mittelklasse mehr Geld in der Tasche.«
Was genau die Taschen der Israelis füllen soll, erläuterte Netanjahu nicht. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer am 1. August von 16 auf 17 Prozent kann es nicht sein. Vor allem Ärmere geben oft den Großteil ihres Verdienstes für Einkäufe aus. Sie werden den Anstieg sofort im Portemonnaie spüren. Daneben werden Zigaretten und Alkohol und zum x-ten Mal auch das Benzin teurer. Auch dass der Staat einen Prozentpunkt mehr Einkommensteuer erhebt, ist für Geringverdiener wenig erfreulich.
Finanzminister Juval Steinitz wies zudem an, eine Milliarde Schekel (rund 200 Millionen Euro) einzusparen. Experten gehen davon aus, dass das neben dem Verteidigungsetat vor allem bei den Sozialausgaben geschehen werde. So solle das ohnehin spärliche Kindergeld (derzeit werden pro Kind um die 35 Euro monatlich gezahlt) zusammengestrichen und weitere Leistungen der staatlichen Sozialversicherung Bituach Leumi gekürzt werden.
Krise Netanjahu erklärte in einer Ansprache: »Jeder, der aus populistischen Gründen sagt, man könne einfach so Geld ausgeben, ohne abzudecken, wo es herkommt, gefährdet die gesamte Wirtschaft. Das kann zu einem ähnlichen Zusammenbruch führen wie in Europa. Noch ist das hier nicht geschehen – und ich lasse es nicht geschehen.«
Nicht alle überzeugt das. Auf der Samstagsdemo bezichtigte der Vorsitzende der Studentenunion, Itzik Schmuli, Netanjahu des Vertragsbruches mit dem israelischen Volk. »Wir dienen in der Armee, zahlen Steuern, arbeiten für wohltätige Zwecke. Wir sind in allen Bereichen tätig, die der Staat vergessen zu haben scheint. Doch ihr haltet euch nicht an diese Vereinbarung, ihr habt das Schiff verlassen, seid in die Rettungsboote gesprungen und habt uns im Stich gelassen.« Der Premier, so Schmuli weiter, wisse, dass die Israelis am Ruder bleiben. »Doch der Staat Israel und das Volk dürfen kein Sklavenschiff werden!«
Teile der Protestbewegung vom vergangenen Sommer hatten sich vor wenigen Tagen in der Bewegung für einen gleichberechtigten Armeedienst wiedergefunden. Eigentlich hätten in diesen Tagen die Einberufungsbescheide für viele ultraorthodoxe junge Männer rausgehen müssen. Doch noch hat sich die Regierung auf kein Prozedere einigen können. Das bisherige Armeegesetz, das religiöse Jeschiwastudenten vom Militär befreit, war vom Obersten Gericht für verfassungswidrig erklärt worden.
Der Studentenführer hält den Zusammenschluss der verschiedenen Protestlager für richtig. »Das ist nicht nur eine Kampagne der jungen Leute. Sie ist für jedermann, der die wirtschaftliche und soziale Last dieses Staates sowie der Verteidigung trägt. Es geht darum, mitzugestalten, wie unser Land in einigen Jahren aussieht.«
Abstieg Für Sari Revkin erscheint die Lage schon heute ziemlich düster. Die Vorsitzende von Yedid, einer Hilfsorganisation für die Stärkung der Gemeinschaft, meint, viele der Reformmaßnahmen würden für die sozial Schwachen »vernichtend« sein. Besonders die Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Kürzungen beim Kindergeld bedeuten für viele Menschen extreme Einschnitte.
Revkin erklärt an einem Beispiel: »Für eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern, die von 2.500 Schekel leben muss, bedeuten 100 Schekel weniger das Essen, das nicht auf den Tisch kommt. Oder die Schulbücher, die sie nicht kaufen kann.« Doch auch die Mittelklasse werde unter den Sparzwängen leiden. »Viele Menschen rutschen ab. Wenn jemand in einer Familie, in der beide arbeiten, krank wird, oder es eine Scheidung gibt, geht es oft finanziell nicht mehr weiter. Und der Kreislauf der Armut beginnt.« Schon jetzt sei es so, dass sich Menschen – wie Revkins eigene Söhne – sogar nach abgeschlossenem Studium und mit einer Vollzeitanstellung keine Wohnung leisten können. Die Lebenshaltungskosten sind schlicht zu hoch, die Gehälter zu niedrig. Unzählige schleppten sich mit einem wachsenden Minus auf dem Konto von Monat zu Monat.
Revkin berichtet, dass es auch in Israel bereits ähnliche Zustände gibt wie etwa in Spanien. Täglich kommen Menschen zu Yedid, die aus ihren Häusern geworfen wurden, weil sie die Kredite nicht mehr abbezahlen können. »Nur sieht es in Israel oft anders aus, wenn die Menschen kein eigenes Dach mehr über dem Kopf haben. Die Familien ziehen von einem Verwandten oder Bekannten zum nächsten. Das ist die hiesige Obdachlosigkeit.«
Dies ist dem einst erfolgreichen Geschäftsmann Mosche Silman passiert. Durch Krankheit verlor er sein Geschäft, später sein Leben. Auf einer Kundgebung in Tel Aviv zündete er sich aus Verzweiflung selbst an und erlag kurze Zeit später seinen Verletzungen. »Das kann in Israel jedem passieren«, resümiert die Frau von Yedid. Sogar Superhelden.