Der Kibbuz Ein Zivan ist ein malerischer Ort. Er liegt 1000 Meter über dem Meeresspiegel. Die Luft ist klar, auch im Sommer wird es nicht so brütend heiß wie in der Ebene. Israelische Touristen schätzen die Lage auf den Golanhöhen vor allem wegen der Stille und Abgeschiedenheit.
In den letzten sieben Jahren aber sind die Menschen in Ein Zivan unfreiwillig zu Zeugen des Bürgerkriegs in Syrien geworden, denn kein Kibbuz liegt näher an der Grenze zu Syrien als Ein Zivan. Der Grenzübergang Kuneitra ist von einer Anhöhe aus mit bloßem Auge gut zu erkennen.
Deirdre Spellman steht in einem Häuschen auf dem Gelände des Weinguts Pelter an einem Bottich und schöpft mit gleitenden Bewegungen Ziegenkäse in Formen. Ab und zu fällt die Tür quietschend ins Schloss, sonst stört nichts ihren Arbeitsrhythmus. Die 74-jährige Kibbuzbewohnerin sagt, das sei in den letzten Jahren oft anders gewesen. »Wir hören Kriegslärm. Manchmal konnte man vom Hügel hinter dem Kibbuz Kämpfe in Kuneitra sehen, wenn es am Grenzübergang Schießereien gab. Man hörte die Bomben, die Artillerie. Ich finde das schrecklich, aber die Rebellengruppen kämpfen nun mal gegen Assad-Soldaten.«
raketen In der Nacht zum 10. Mai, als mutmaßlich iranische Raketen Richtung Israel geflogen sind, wurden auch die Menschen in Ein Zivan aufgefordert, die Schutzräume zu öffnen. Die Raketen konnten abgefangen werden.
So viel Glück hatten sie im Kibbuz nicht immer, denn die Grenze zum Bürgerkriegsland Syrien ist gerade etwas mehr als einen Kilometer entfernt. »In den letzten Jahren gab es Tage, da konnte man sein eigenes Wort nicht verstehen, so nah waren die Kämpfe«, sagt Winzer Tal Pelter, Vater von fünf Kindern, ein eher stiller, gelassener Mann. »Vor drei Jahren hat es die Halle mit dem koscheren Wein erwischt. Eine Rakete ist durchs Dach eingeschlagen, hat einen Mitarbeiter verletzt und Weinfässer zerstört. Die Kinder waren hier und spielten im Hof. Wir haben die Kinder weggeschickt, und der Beschuss ging dann noch weiter.«
Bereits damals habe er keine Sekunde überlegt, das Weingut und den Kibbuz zu verlassen. Der Mitarbeiter wurde ärztlich versorgt, das Loch im Dach der Lagerhalle repariert, die Fässer wurden ausgewechselt. Dann ging die Arbeit weiter wie immer.
basaltboden Tal Pelter ist in Tzofit aufgewachsen, nördlich von Tel Aviv. Er zog mit seiner Frau bewusst auf die Golanhöhen: Hier hat er sein Weingut aufgebaut – laut Pelter das einzige in Israel, das sowohl koschere als auch nichtkoschere Tropfen herstellt. Außerdem suchte Tal Pelter die Ruhe. »Wir wollten abgeschieden leben, und weiter weg von allem kann man in Israel nicht leben.«
Dass der Krieg jetzt so nah ist, das war in seiner Lebensplanung nicht vorgesehen. Was Pelter auf den Golanhöhen vorfand, war vulkanischer Basaltboden, der für den Weinanbau ideal ist. Angefangen hat er mit 4000 Flaschen Wein jährlich, mittlerweile sind es 150.000. Viele exportiert er mittlerweile auch an Kunden im Ausland.
Pelters Frau Einbar ist auf dem Weingut für die Ziegenkäse-Produktion zuständig. Für sie sei Ein Zivan vor allem wegen der Kinder reizvoll gewesen, da sie hier in Frieden – weit weg von den Gefahren einer Großstadt – aufwachsen sollten.
Einbar erinnert sich an die Nacht vor drei Jahren, als die Rakete in der Weinhalle einschlug. »Natürlich war das ein Schreck. Ich hatte zwei Wochen zuvor mein fünftes Kind geboren. Gott sei Dank war ich zu Hause und habe den Einschlag nicht direkt gesehen. Das war sehr dramatisch. Aber wir haben zu keinem Zeitpunkt darüber nachgedacht, von hier wegzugehen.«
touristen Nach den jüngsten Raketenangriffen aus Syrien blieben kurzfristig die Touristen weg. Jetzt aber sind sie wieder da, buchen Zimmer in den Kibbuz-Gästehäusern und verkosten Wein und Ziegenkäse bei den Pelters. Einbar Pelter sagt, vor allem ausländischen Touristen würde man eine gewisse Nervosität anmerken. »Wir hatten eine Verwandte aus Amerika zu Besuch. Und sie konnte es kaum fassen, dass unsere Kinder hier alleine auf die Berge klettern und ihre Freunde besuchen.
Sie sagte, dass Kinder in Los Angeles nichts ohne Begleitung unternehmen würden, sie werden überall hingefahren. Und dann hörten wir Bombeneinschläge aus Syrien. Eine verrückte Welt.«
Es mache sie traurig, dass nur wenige Kilometer entfernt Menschen dem Bürgerkrieg zum Opfer fallen. Sie fühle sich trotzdem sicher und müsse weder Haus noch Auto abschließen. Angst habe sie keine.
sechstagekrieg Ähnlich sieht das auch Zipke Harel. Sie lebt seit dem Ende des Sechstagekriegs 1967 auf den Golanhöhen. Auch wenn es international nicht anerkannt sei, dass Israel das hügelige Land annektiert hat, so zeige sich jetzt, wie gut es ist, dass Israel hier das Sagen hat, sagt sie. »Wenn hier nicht Israelis leben würden, sondern immer noch Syrer, dann könnten hier mittlerweile der sogenannte Islamische Staat sitzen oder die Hisbollah. Das wäre eine große Gefahr für Israel.«
Der Bürgerkrieg in Syrien lasse sie nicht kalt, gesteht die 77-Jährige. »Das alles nimmt mich sehr mit, das wühlt einen auf. Die Zivilisten zahlen einen hohen Preis. Aber die Feinde Israels sind die Politiker dort. Die syrischen Zivilisten werden irgendwann vielleicht unsere Nachbarn sein.« Es mache sie fassungslos, dass quasi auf der anderen Seite des Grenzzauns Kinder und Frauen verletzt werden und sterben. »Und wir sitzen sie hier im Wohnzimmer vor dem Fernseher und haben nur eine entfernte Ahnung von dem, was da passiert.«
eichenfässer Winzer Tal Pelter steht in diesen Tagen oft in seinen Weinbergen. Für seinen Chardonnay, Shiraz, Merlot, für koschere und nichtkoschere Tropfen, werden Trauben auch aus anderen Regionen angeliefert: aus Ober-Galiläa, aus den Jerusalemer Bergen, aus der Negevwüste. Pelter prüft die Eichenfässer in den Lagerhallen, kontrolliert die Weinkartons für den Export, schenkt bei der Weinprobe aus und serviert Ziegenkäse von Tieren, die nicht weit entfernt auf Wiesen grasen.
Er versteht, dass die Situation für Außenstehende etwas Unwirkliches hat: Hier die entspannte Kibbuz-Atmosphäre, dort der Bürgerkrieg. »Es ist, als ob man einen wirklich üblen Nachbarn hat, gegen den man nichts tun kann. Es tut mir leid um die Menschen in Syrien«, sagt er. »Und natürlich müssen Verletzte auch weiter in israelische Krankenhäuser gebracht werden.«
grosstadt Trotz allem: Er hält große Teile der Golanhöhen für »sicherer als Frankfurt bei Nacht«, wie er sagt. Großstädte in der ganzen Welt seien gefährlicher als die Gegend südlich des Hermon. Der Bürgerkrieg aber habe die Lage unberechenbarer gemacht. »Es ist hier zurzeit nicht immer eine angenehme Umgebung.«
Tal Pelter wird in Ein Zivan bleiben, mit seiner Frau, seinen fünf Kindern und den anderen Familien des Kibbuz. Denn er fühlt sich sicher – trotz allem: »Jeder Fehler, der den Syrern unterläuft, wird von Israel beantwortet. Und ab und zu ergreift Israel die Initiative und macht sich dort drüben bemerkbar. Damit bin ich zu 100 Prozent einverstanden.«
Tal Pelter sagt, er hoffe langfristig auf Frieden mit Syrien, denn noch immer befindet sich Israel offiziell im Kriegszustand mit dem Nachbarland. »Doch ich bin nicht sehr optimistisch«, sagt der Winzer. Er hofft aber für die Menschen dort, »dass alles ein Ende findet. Und ob die Russen sich jetzt reinhängen, die Amerikaner oder sonst wer – alle verdienen ihr Geld mit dem Krieg. Und irgendjemand muss sich kümmern.«