Er feierte mit Feuerwerk und großen Worten. »Das ist die Nacht eines enormen Gewinns«, verkündete der amtierende Premierminister Benjamin Netanjahu nur wenige Stunden nach den ersten Hochrechnungen zur 21. Knessetwahl im Hauptquartier des Likud in Tel Aviv. Zuvor hatte die Zentrumsunion Blau-Weiß ihren Sieg verkündet. Am Morgen darauf, als nahezu alle Stimmen ausgezählt waren, gab es einen Gleichstand für die beiden großen Parteien: jeweils 35 Mandate. Doch der Rechtsblock von Netanjahu ist stärker und wird wohl erneut die Regierung stellen.
Damit ist eine fünfte Amtszeit für Netanjahu so gut wie sicher. Das feierte er strahlend an der Seite seiner Frau Sara auf der Bühne. »Netanjahu – eine andere Liga«, verkündete der glitzernde elektronische Bildschirm auf der Wahlparty. »Keiner kann ihn ablösen«, hatten seine Unterstützer noch vor dem Bekanntwerden der Ergebnisse getönt. Gegenüber den Wahlen 2015 holte der Likud fünf Sitze mehr – trotz einem Vorsitzenden, über dem in drei Fällen Anklagen wegen Korruption schweben.
Bennett und Shaked scheiterten wohl an der 3,25-Prozent-Hürde.
Entsprechend sagte Netanjahu, als er seinen Wählern und Aktivisten dankte: »Es war eine immense Leistung, fast unvorstellbar.« Dann warf er den Medien Voreingenommenheit vor und beklagte die »unmöglichen Bedingungen, unter denen der Likud dennoch dramatisch an Stimmen gewann«.
Beteiligung Die Wahlbeteiligung lag bei 67,9 Prozent und damit 4,4 Prozent niedriger als 2015, als 72,3 Prozent der Israelis zur Abstimmung gegangen waren. Das jetzige Ergebnis könnte die unsichtbare Trennmauer im Land nicht deutlicher zeigen. Dabei geht es weniger um Rechte und Linke als noch immer um den Unterschied zwischen Aschkenasen und Sefarden. Die alten Stereotype und Vorurteile sind lebendig wie eh und je. Im Wahllokal an der Lilienblumstraße in Tel Aviv stand am Dienstag eine ältere Frau vor dem Plakat mit den Erklärungen zu den Wahlzetteln und suchte – nicht nach einer Partei, sondern nach »HaMelech Scheli«, meinem König. Als sie ihn gefunden hatte, tippte sie darauf: Likud.
Chana Aflalo stammt aus Marokko. Auf die Frage, warum sie Netanjahu wähle, sagte sie: »Das habe ich immer getan. Glaubst du denn, ich stimme für diesen Aschkenasen Lapid? Der wirft uns Arme auf den Müll und gibt nur den Reichen.« Netanjahu würde das sicher unterschreiben.
Die Arbeitspartei stürzte von 23 auf sechs Mandate ab.
Und seine Koalitionspartner ebenso. Als einer der ersten schlug Mosche Kachlon von Kulanu, der vier Sitze holte, Netanjahu als Regierungschef vor. Die charedischen Parteien Schas und Vereinigtes Tora-Judentum (jeweils acht Mandate) folgten. Ein rechtes Koalitionsbündnis aus den oben genannten plus Israel Beiteinu und der Rechts-Union (jeweils fünf) würde insgesamt 65 der 120 Knessetsitze auf sich vereinen. Seine »natürlichen Partner« hätten ihm bereits Unterstützung zugesichert und würden ihn auch dem Präsidenten Reuven Rivlin als nächsten Premierminister vorschlagen, bestätigte Netanjahu noch in der Nacht.
Spielraum Tatsächlich hatte es zunächst nach einem Sieg für Blau-Weiß von Benny Gantz und Yair Lapid ausgesehen. Nur zwei Minuten nach den Hochrechnungen um 22 Uhr verkündeten beide: »Wir haben gewonnen!« Doch am Mittwochmorgen teilte Gantz mit: »Der Himmel sieht tatsächlich dunkel aus. Wir haben dennoch einigen politischen Spielraum, und sicherlich kann das Ergebnis nicht das Licht der Hoffnung überschatten, die wir den Menschen in Israel gegeben haben.«
Avigdor Lieberman mit seiner Partei Israel Beiteinu hat es wieder in die Knesset geschafft.
Viele Überraschungen gab es bei den kleineren Parteien. Die Minister der jetzigen Regierung, Naftali Bennett (Bildung) und Ayelet Shaked (Justiz), haben mit ihrer neu gegründeten Partei Hajamin Hachadasch wohl nicht die 3,25-Prozent-Hürde geschafft. Ebenso wenig der extremistische Mosche Feiglin (Sehut), dem zuvor sieben oder sogar mehr Mandate vorausgesagt wurden. Er hatte im Wahlkampf polarisiert und gleichzeitig die Legalisierung von Marihuana sowie den Bau eines dritten Tempels auf dem Tempelberg in Jerusalem gefordert.
Avigdor Lieberman mit seiner Partei Israel Beiteinu, dem von vielen Kommentatoren zuvor ein Scheitern vorausgesagt wurde, hat es stattdessen wieder in die Knesset geschafft. Er war in der vorherigen Regierung Verteidigungsminister gewesen und aus Protest gegen die seiner Meinung nach zu zurückhaltende Gazapolitik Netanjahus zurückgetreten.
Kleinparteien Mit dabei ist auch die Union aus rechten Parteien mit fünf Sitzen. Die Vereinigung besteht aus dem, was nach dem Weggang von Bennett/Shaked vom Jüdischen Haus übrig geblieben ist, und der rechtsextremistischen Kahane-Nachfolgepartei Otzma Jehudit. Der Hardliner in Sachen Siedlerpolitik und neue Vorsitzende des Jüdischen Hauses, Bezalel Smotrich, wiederholte, dass Netanjahu ihm während des Wahlkampfs das Bildungsministerium versprochen hatte, um sich seine Unterstützung zu sichern. Der Likud dementierte, Smotrich verkündete trotzdem, als Bildungsminister werde er die liberale »Indoktrinierung« beenden.
Ein Szenario, das vielen Mitte- und Linkswählern einen Schauer über den Rücken jagt. Dass die es nicht geschafft haben, einen Block zu bilden, liegt einerseits daran, dass Blau-Weiß vor allem von den kleineren Parteien Stimmen abfischte. Besonders von der Arbeitspartei, die nach der Übernahme des Vorsitzes durch Avi Gabbay einen erheblichen Einbruch erlebte. Bei den vergangenen Parlamentswahlen 2015 holte das Bündnis aus Isaac Herzogs Awoda und Zipi Livnis Partei Hatnua noch 24 Mandate. Diesmal sind es sechs.
Was gelten Versprechen von gestern, wenn heute die Wahl gewonnen wird?
Doch auch die geringe Wahlbeteiligung der arabischen Bevölkerung machte Gantz und Lapid einen Strich durch die Rechnung. Statt drei arabischen Parteien schafften es dieses Mal nur zwei ins Parlament: Chadasch/Taal von Ayman Odeh mit sechs Sitzen und Raam/Balad mit vier. 2015 hatten es die Parteien als eine gemeinsame Liste auf 13 Mandate gebracht.
Gesetz Blau-Weiß feierte noch nach den ersten Auszählungen. »Wir sind erst seit zwei Monaten überhaupt auf der politischen Landkarte. Wir haben so hart gearbeitet«, sagte Yael German von der Union auf Kanal 11. »Heute haben wir es verdient, glücklich zu sein.« Das Glücksgefühl der Herausforderer war von kurzer Dauer. Netanjahu abzulösen, scheint ein schier unmögliches Unterfangen zu sein.
Um sicherzustellen, dass auch Anklagen wegen Korruption ihn nicht vom Thron stoßen können, wird womöglich demnächst ein neues Gesetz in der Knesset diskutiert: das sogenannte »französische Gesetz«, das dem amtierenden Ministerpräsidenten Immunität garantiert. Kurz vor der Wahl in einem Interview darauf angesprochen, wich Netanjahu aus und sagte, er beschäftige sich nicht damit. Doch Smotrich kündigte bereits an, er wolle eine neue Version des Gesetzes auf den Weg bringen.
Vor der Wahl hatten einige von Netanjahus Verbündeten und Parteikollegen erklärt, dass sie sich dagegen aussprechen würden. Darunter Mosche Kachlon, der sagte: »Vor dem Gesetz sind alle gleich.« Der Minister für öffentliche Sicherheit, Gilad Erdan, meinte: »Wenn ein solcher Vorschlag von jemand anderem in der Knesset kommt, werde ich ihn nicht unterstützen. Netanjahu hat versprochen, dass er nichts dergleichen versuchen wird.« Doch was gelten Versprechen von gestern, wenn heute die Wahl gewonnen wird?