Mit etwas Glück geht 2020 bei den Olympischen Spielen in Tokio zum ersten Mal eine israelische Springreiter-Equipe an den Start. Nun findet aber ausgerechnet das Turnier, bei dem die meisten Punkte für die Olympia-Qualifikation gesammelt werden können, an Jom Kippur statt – und der Reiter Dan Kremer weigert sich, an diesem Tag zu starten.
Die Geschichte ist nicht ganz unkompliziert. Sie beginnt mit vier erfolgreichen jüdischen Pferdesportlern: Der in Belgien wohnende Dan Kremer, der gebürtige Kolumbianer Daniel Bluman und die beiden Amerikanerinnen Ashlee Bond und Danielle Goldstein haben israelische Pässe und entschieden irgendwann, für Israel anzutreten.
tokio Bei den vom 10. bis 23. September stattfindenden World Equestrian Games in North Carolina rechneten sie sich gute Chancen aus, die für Tokio erforderlichen Platzierungen zu erreichen. Dass das Springturnier an Jom Kippur stattfinden würde, war zunächst weder den Athleten noch den Funktionären aufgefallen. Anfang 2018 bemerkte Dan Kremer die Terminkollision und bat den israelischen Reitsportverband, bei den Organisatoren für eine Verschiebung des Wettbewerbs zu sorgen.
Nach einigen Monaten wurde ihm mitgeteilt, dass der internationale Verband die Zeitpläne nicht ändern wolle. Kremer nahm Kontakt mit dem israelischen Ministerium für Kultur und Sport auf. »Ich habe deren Antwort dann so verstanden, dass Sportler, die an diesem Tag antreten, bestraft werden«, sagte er vorletzte Woche. Er fürchtet also, mit dem Turnier-Start gegen ein israelisches Gesetz zu verstoßen. Der Reiter wandte sich erneut an den Sportverband und verwies darauf, dass die israelischen Judoka eine Terminverschiebung ihrer WM-Kämpfe erreicht hatten.
Mitte August hatte Kremer dann genug, er teilte mit, dass er nicht starten werde. »Ich bin nicht in einer religiösen Familie aufgewachsen«, erklärte er, »aber ich habe mich zu diesem Schritt entschieden, weil ich Israel und seine Flagge repräsentiere.« Er sei enttäuscht, dass offenkundig nicht einmal versucht worden sei, den Spring-Wettbewerb zu verlegen.
hobby Kremer ist im Moschav Hayogev im Norden Israels aufgewachsen. Seine Familie besaß ein Pferd, und als kleiner Junge träumte er davon, eines Tages ein erfolgreicher Reiter zu werden und bei den Olympischen Spielen zu starten. Jahre später entdeckte er durch eine während seiner Militärzeit erlittene Beinverletzung die Liebe zum alten Hobby: Reiten war ihm als Physiotherapie verordnet worden.
Mittlerweile lebt Kremer im belgischen Gent, wo er ein auf Pferdesport spezialisiertes Unternehmen betreibt. »Kremer Pro Equestian« wirbt damit, sich nicht nur um die komplette Logistik für Turniere zu kümmern, sondern auch Springpferde zu trainieren und zu vermitteln.
Kremers Teamkollege Daniel Bluman reagierte auf dessen Absage mit Unverständnis. Der 28-Jährige, der bereits einige renommierte Turniere gewonnen hat, sagte, Kremers Anschuldigungen seien »nicht akkurat« und würden »den Verband verleumden«.
religion Er betonte, er sei selbst religiös. »Religion und Tradition sind aber persönliche Angelegenheiten, und Verbände und Behörden haben nicht darüber zu entscheiden, wie wir Jom Kippur verbringen.« Die World Equestrian Games fänden nur alle vier Jahre statt, »und wir können Karriere und Lebensplanung nicht von einer Ministeriumsentscheidung abhängig machen«.
Ähnlich äußerten sich auch die Teamkolleginnen. Kevin Lalo, Chef des Reiterverbandes, erklärte: »Alle relevanten Behörden haben uns grünes Licht gegeben.« Es würde zwar behauptet, eine länger zurückliegende Regierungsentscheidung verbiete die Teilnahme an Wettbewerben während Jom Kippur, aber »wir haben wirklich überall gesucht und nichts schriftlich Festgehaltenes gefunden«. Als Ersatzmann für Kremer wurde mittlerweile Alberto Michen nominiert. Er hat bereits Olympia-Erfahrung, 2008 und 2012 startete er als Springreiter für Mexiko.