Der Skandal um die mutmaßliche Kinderschänderin Malka Leifer hat die höchsten Ebenen erreicht und für einen Eklat zwischen Jerusalem und Canberra gesorgt. Seit Jahren fordert Australien die Auslieferung der ultraorthodoxen ehemaligen Schulleiterin, die Dutzende von Kindern missbraucht haben soll – doch Israel sperrt sich. Diplomatische Quellen sprechen von einer »ernsthaften Gefährdung der Beziehungen beider Länder«.
Premierminister Scott Morrison persönlich forderte die israelische Regierung jetzt auf, Leifer nach Australien zurückzuschicken. Die Gerichtssaga dauert bereits seit fünf Jahren an, 57 Anhörungen gab es dazu in Israel. In einer Stellungnahme vor Journalisten erklärte Morrison, er habe das Thema mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu besprochen.
Seit fünf Jahren beschäftigen sich Gerichte mit dem Fall. 57 Anhörungen gab es in Israel.
Australien sei ein starker und enger Freund Israels. Diese Freundschaft basiere auf vielen Dingen, aber auch auf einer »gemeinsamen Verpflichtung gegenüber Gerechtigkeit und Gesetz«. Er rief Israel dazu auf, die Angelegenheit transparent und schnell zu lösen. Was Netanjahu entgegnete, ist nicht bekannt.
FLUCHT Leifer ist die frühere Direktorin der ultraorthodoxen Mädchenschule Adass Israel in Melbourne. Gegen sie liegen 74 Anzeigen wegen Kindesmissbrauch vor, darunter elf wegen Vergewaltigung. Nachdem die ersten Vorwürfe 2008 ans Licht kamen, war sie mit charedischer Hilfe heimlich aus Australien nach Israel geflohen. 2012 stellte Australien einen Auslieferungsantrag.
Dassi Erlich und Nicole Meyer kämpfen seit Jahren dafür, Leifer in Australien vor Gericht zu bringen. Erlich und Meyer sind zwei von drei Schwestern, die ihr vorwerfen, sie sexuell missbraucht zu haben, als sie die Oberschule der Beschuldigten besuchten. Vor einigen Tagen trafen sie sich mit Morrison, um ihrem Ansinnen Nachdruck zu verleihen.
Anschließend schrieb Erlich mit dem Hashtag bringleiferback auf Twitter: »Gerade mit PM Scott Morrison getroffen. Extrem produktives und ermutigendes Treffen. Der PM erklärte, dass er das Thema direkt mit Netanjahu besprochen hat und das große Interesse Australiens an dem Fall weiter betonen will. Wir fühlen uns gehört und unterstützt.«
Viel ist getan worden, damit der Fall in Israel ad acta gelegt wird.
Morrison lobte Erlich und Meyer für ihre »mutige Kampagne der Gerechtigkeit wegen der grauenvollen Vorwürfe des Missbrauchs, der an ihnen und anderen begangen worden ist«. Die australische Regierung stehe an ihrer Seite. Von der israelischen würden die Schwestern das wohl nicht behaupten.
Denn viel ist getan worden, damit der Fall in Israel ad acta gelegt wird. Dabei spielt vor allem Gesundheitsminister Yaakov Litzman eine Rolle. Er wird verdächtigt, Leifer und anderen Päderasten geholfen zu haben, der Justiz zu entkommen.
Bei allen Sexualverbrechern handelt es sich offenbar um Ultraorthodoxe, die zu seiner Strömung der Gerer Juden gehören oder ihr nahestehen. Die Polizei untersuchte, inwieweit der Politiker sein Amt dafür missbraucht hat, verdächtigten oder bereits verurteilten Kinderschändern Hilfestellung zu geben, berichtete der öffentlich-rechtliche Sender Kan. Im Februar empfahl sie, den Minister anzuklagen. Bislang muss er sich nicht vor Gericht verantworten.
GUTACHTEN Leifer im Besonderen soll der Vorsitzende der Partei Vereinigtes Tora-Judentum mit einem psychiatrischen Gutachten versorgt haben, das die Auslieferung unmöglich macht. Er habe Angestellte in seinem Büro dazu gedrängt, das Gutachten entsprechend abzuändern. Leifer wurde 2014 in Israel festgenommen, dann aber unter Hausarrest gestellt und später ganz freigelassen.
Jahrelang war sie auf freiem Fuß. Als das Oberste Gericht 2018 entschied, dass sie ihre gesundheitlichen Probleme lediglich vorspiele, wurde sie erneut verhaftet. Verdeckte Ermittler hatten die Frau wochenlang beschattet und bezeugt, dass sie ein normales und anscheinend gesundes Leben führt.
Als Anfang Oktober dieses Jahres bekannt wurde, dass das Bezirksgericht in Jerusalem erneut entschieden hatte, Leifer aus der Haft zu entlassen, war das Entsetzen groß. Behörden und Vertreter der jüdischen Gemeinde Australiens sandten empörte Briefe nach Jerusalem. Der Geduldsfaden in dieser Angelegenheit sei gerissen, hieß es unter anderem. Der australische Botschafter in Israel, Chris Cannan, bezeichnete die Entscheidung als »besorgniserregend«. Man vertrete die Position, dass Malka Leifer ausgeliefert und sich wegen der Vorwürfe des sexuellen Kindesmissbrauchs in Australien verantworten müsse.
Vor allem die Opfer waren über das Gerichtsurteil zutiefst entsetzt. Dassi Erlich bezeichnete die Entscheidung als »massiven Justizbetrug«. Jewish Community Watch, eine Organisation für den Schutz von Kindern vor Missbrauch, sagte in einer Stellungnahme: »Dies ist eine gefährliche Frau, die aus dem Gericht eine Lachnummer macht. Unsere Organisation hat eindeutige Beweise geliefert, die zeigen, dass Leifer ein normales Leben lebt, und viele psychiatrische Einschätzungen haben dies bestätigt.«
SIGNAL Schließlich zog die Anklage vor das Oberste Gericht, um die Entlassung zu vereiteln. Sie argumentierte, dass die angeblichen Gesundheitsprobleme eine Farce seien und Leifer sich auf diese Weise der Rechtsprechung entziehen wolle. Leifers Anwalt Yehuda Fried mahnte die Richterin vor der Verhandlung, sich nicht von den Aussagen des australischen Premierministers unter Druck setzen zu lassen. »Morrison ist nur an zwei Dingen interessiert: Kängurus und Frau Leifer.«
Dem Gesundheitsminister wird vorgeworfen, Leifer ein falsches Gutachten besorgt zu haben.
Richterin Anat Baron ignorierte die spöttische Bemerkung und urteilte, dass Leifer im Gefängnis bleiben muss, da ein Fluchtrisiko bestehe. Aktivisten und Opfer atmeten auf. Manni Waks von der Kinderschutzorganisation »Kol v’Oz« meint, dass dies ein wichtiges Signal war, weil man allmählich das Vertrauen in die israelische Justiz verloren habe. »Hoffentlich dreht sich der Wind, und Leifer wird endlich zur Verantwortung gezogen – trotz der verzweifelten und amoralischen Aktionen ihrer mächtigen Helfer.« Dassi Erlich twitterte kurz darauf: »Es hat sich gelohnt, um vier Uhr morgens aufzustehen und die Nachrichten zu sehen.«
Am 10. Dezember wird ein weiteres psychiatrisches Gremium die Verdächtige untersuchen und feststellen, ob sie ihre mentalen Probleme nur vortäuscht. Dann könnte sie ohne weitere Verzögerung ausgeliefert werden. Und damit diese schandhafte Saga auch für ihre Opfer endlich zu einem Ende bringen.