Jeans und T-Shirt, Tattoos von Kopf bis Fuß oder Strejmel und Kaftan – das alles sind »wir«. Die neue Dauerausstellung im einstigen Beit Hatefutsot
in Tel Aviv ist so vielfältig wie das Volk selbst. Mit der Ausstellung kommt ein neuer Name: ANU – Museum des Jüdischen Volkes. Das hebräische Wort bedeutet »Wir«. Und genau das soll es beschreiben: Einheit in der Verschiedenheit.
Vorgestellt werden 4000 Jahre Geschichte und Gegenwart des Judentums auf 6700 Quadratmetern Fläche in einem Gebäude auf dem Campus der Universität Tel Aviv. Von der Planung bis zur Fertigstellung des Baus verging fast ein Jahrzehnt, 100 Millionen US-Dollar wurden ausgegeben. Mehr als 50 akademische Berater halfen bei der Umsetzung.
Das Museum hofft auf 500.000 Besucher aus aller Welt jährlich, wenn die Grenzen Israels wieder für Touristen geöffnet sind. »Es ist das umfassendste Jüdische Museum der Welt«, hebt der Direktor des Museums, Dan Tadmor, hervor. »Es zeigt die gesamte Geschichte, deshalb hat es zehn Jahre gedauert, es zu realisieren. Wir wollen alle damit erreichen.«
Bis zur Fertigstellung verging fast ein Jahrzehnt, 100 Millionen Dollar wurden ausgegeben.
Shosh Fisher ist Museumsführerin. Sie begrüßt die Besucher auf der dritten Ebene, dem Beginn der Ausstellung, wo die Geschichte in der Gegenwart beginnt. Es geht um Identität der vergangenen 100 Jahre bis heute. »Hier wird gefragt, was es bedeutet, jüdisch zu sein. Vor 300 Jahren oder mehr sprach niemand über Identität, da gab es einen klaren Weg, wie Juden zu leben und was sie zu tun hatten«, erklärt sie. »Heute gibt es Tausende von Arten, wie Menschen ihr Judentum definieren.«
VERBINDUNG Darüber sprechen zum Einstieg 21 Charaktere auf lebensgroßen Bildschirmen, von säkular bis ultraorthodox. Was bedeutet »ihr« Judentum für sie? Die Erklärungen reichen von der Sprache Iwrit über die Beziehung zu Israel, zur Religion, zum Essen, zu den Traditionen an den Feiertagen oder einer rein kulturellen, selbst definierten Verbindung. Daneben zeigen sich auf überdimensionalen Porträts jüdische Familien aus aller Welt, von der klassischen streng religiösen Familie bis zu zwei säkularen homosexuellen Vätern mit dem gemeinsamen Sohn.
Weiter auf dem Museumspfad geht es mit der Vielfalt des jüdischen Beitrags zu Kunst und Kultur. Hier trifft die britische Popsängerin Amy Winehouse auf den begnadeten Geiger Isaac Stern, der Bildhauer Sir Anthony Caro auf den Musiker Lou Reed. In einem kleinen Kino stellen Menschen von überall her ihre jüdischen Vorbilder vor. Die Kurzfilme My hero is … erzählen von weltbekannten Koryphäen, darunter der Filmemacher Stanley Kubrick und der Fotograf Richard Avedon.
Fans werden sich über die Gitarre freuen, auf der Leonard Cohen bei seinem letzten Konzert in Israel 2009 spielte. Oder die originale Schreibmaschine, auf der Isaac Bashevis Singer seine Meisterwerke tippte. Kuriositäten mit jüdischem Touch gibt es im Bereich der Kultur: etwa den vergoldeten Kidduschbecher in Form eines Coffee to go, Plastikdeckel inklusive.
FACETTEN Auf drei Etagen nimmt ANU die Besucher mit auf eine kurzweilige Reise durch 4000 Jahre Existenz des Jüdischen Volkes. Die Ausstellung zeigt Menschen, Gemeinden und die Geschichte in allen Facetten. Mehr als 40 Filme, die speziell für das Museum produziert wurden, runden das Programm ab.
An einem Bildschirm schwingt man den virtuellen Kochlöffel, je nach Geschmack von Mazzeball-Suppe bis zu jemenitischem Djachnun. Vor einer Bibliothekswand kann man sich über Zitate von literarischen Größen schlaumachen. Nebenan gibt es Informationen zu Gemälden, die von Juden geschaffen wurden. Die Gäste sind eingeladen, die Bilder mit dem Finger in eine Installation zu ziehen, wo sie zu einer großen jüdischen Collage werden.
Ein Stockwerk darunter wird die Historie des Judentums ausführlich beschrieben, vom Urvater Abraham über die Zeit des Zweiten Tempels, das Mittelalter, die Aufklärung, die Schoa bis zur Gründung des jüdischen Staates. »Die Geschichte der Juden ist einzigartig und lang«, sagt Hadara Arbel, auch sie Museumsführerin. Ein besonderer Fokus wird hier auf die Bedeutung der Frau in der Geschichte gelegt.
ERFAHRUNG Statt frontalem Lernen will die neue Ausstellung Wissen individuell vermitteln und fragen, an welchem Aspekt des Judentums der Besucher interessiert ist. »Wir wollen eine persönliche Erfahrung schaffen«, sagt Arbel und weist auf die vielen interaktiven Ausstellungsbereiche hin. Mit einem digitalen Armband kann man Wissen sogar mitnehmen. Bereiche, die mit einem besonderen Symbol versehen sind, ermöglichen es, die Informationen per Armband zu scannen, darauf zu speichern und zu Hause abzurufen. Das Armband ist für einen kleinen Betrag am Eingang erhältlich.
Auf drei Etagen werden die vielen verschiedenen Arten, jüdisch zu sein, vorgestellt.
Im dritten Bereich geht es um die Wurzeln des Judentums und darum, was für Juden in aller Welt gilt. Das sind in erster Linie die Zeremonien des Lebens: Brit Mila, Bar- oder Batmizwa, Hochzeit und Tod. Außerdem geht es um den Schabbat und die Feste des jüdischen Jahres. Die Modelle der Synagogen, die im ursprünglichen Museum ausgestellt waren, sind nach wie vor in einer separaten Galerie zu bewundern.
»Ich bin in keiner Weise religiös«, erzählt Shosh Fisher den Besuchern, die sie willkommen heißt. »Trotzdem halte ich mich an viele jüdische Traditionen, zum Beispiel an die Feiertage.« Das sei Teil ihrer Kultur, die sie niemals aufgeben wolle. »Es gibt so viele Arten, jüdisch zu sein – und doch gehören wir alle zu diesem einen Volk.«