Der Verzehr milchiger Leckereien zu Schawuot hat eine lange Tradition, für die es eine Reihe unterschiedlicher Erklärungen gibt – und begrenzte Begeisterung unter jenen, die aus ideologischen oder gesundheitlichen Gründen auf Milchprodukte verzichten.
Seit einigen Jahren jedoch wächst die Zahl der Optionen für Veganer und Laktoseintolerante. Der Trend hin zum Veganismus in weiten Teilen der westlichen Welt macht sich vielerorts in den Kühlregalen der Supermärkte bemerkbar, wo Konsumenten zwischen Soja-, Hafer-, Kokos- oder Mandelmilch wählen können. Und etliche Food-Tech-Firmen arbeiten daran, Inhaltsstoffe, Konsistenz und Geschmack von Milchprodukten noch genauer zu reproduzieren, ohne dass dafür eine einzige Kuh gemolken werden muss.
laktoseintoleranz Eine dieser Firmen heißt Yofix und hat ihren Sitz im südisraelischen Aschdod. Die Idee dazu kam ihrem Gründer Ronen Lavee vor rund zehn Jahren. Lavee, heute 60, ein Ingenieur mit Schwerpunkt Fahrzeugtechnik, ist laktoseintolerant; beruflich verbrachte er viele Jahre in China, Taiwan und Thailand und hatte, wie er am Telefon erzählt, dort nie ein Problem, sich frei von Milchprodukten zu ernähren, schließlich ist Laktoseintoleranz in Asien viel stärker verbreitet als im Westen.
Zurück in seiner Heimat Israel, fühlte er sich plötzlich bei der Wahl von Speisen und Getränken eingeschränkt. Also beschloss er, sich selbst zu behelfen, und begann, in der heimischen Küche mit verschiedenen Hülsenfrüchten zu experimentieren, um Alternativprodukte für Milch, Joghurt und Käse zu entwickeln.
»Vor allem hat mich der Prozess der Fermentierung interessiert«, erzählt er. »Ich wollte eine pflanzliche Milch herstellen, die sich fermentieren lässt, die die gleichen Nährstoffe wie Milch enthält und dazu noch gut schmeckt.« Sobald er mit seinem Erzeugnis zufrieden war, ließ er verschiedene Menschen probieren. »Die Leute mochten das«, sagt er. »Da wurde mir klar, dass ich hier ein Produkt habe.«
ALTERNATIVPRODUKTE Lavee beschloss, seine Idee zum Geschäft zu machen. Er gewann einen alten Armeefreund als Partner, der sich fortan um die finanziellen Belange kümmerte, und arbeitete an der Verfeinerung seines Produkts, welches nicht nur ähnlich gesund und schmackhaft sein sollte wie Milch, sondern noch ein weiteres Kriterium zu erfüllen hatte: Bei seiner Erzeugung dürfte keinerlei Abfall entstehen. Nicht nur Tiere, auch Umwelt und Klima sollte das Start-up schonen.
Es sind Lösungen wie diese, die die globale Lebensmittelindustrie grundlegend verändern.
Mit diesem Pitch konnte Lavee Israels Innovationsbehörde überzeugen: Yofix, wie das junge Start-up nun hieß, erhielt einen Platz in »The Kitchen« in Aschdod, einem von mehreren Start-up-Inkubatoren, die die Innovationsbehörde in verschiedenen Teilen des Landes unterhält. The Kitchen, gegründet von dem israelischen Lebensmittelhersteller Strauss Group, konzentriert sich dabei ganz auf Food-Tech.
In den anschließenden Finanzierungsrunden konnte Yofix zudem mehrere gewichtige Investoren überzeugen, darunter den deutschen Milchproduktkonzern Müller, der Berichten zufolge 2,5 Millionen US-Dollar beisteuerte. Fünf Mitarbeiter beschäftigt die Firma inzwischen. Vor Kurzem änderte Yofix seine Strategie: Statt Endverbraucher will die Firma nun andere, größere Unternehmen beliefern.
massenproduktion Dabei konzentriert sich Yofix nun auf den europäischen Markt, wo es zwei Anlagen für die Massenproduktion aufbauen will: eine in Finnland, eine in Deutschland oder den Niederlanden. Mehrere Produkte sind bereits marktreif, Joghurt in verschiedenen Geschmacksrichtungen sowie ein Feta-Ersatz; Milch-freie Gouda- und Mozzarella-Erzeugnisse befinden sich noch in der Entwicklung.
Als Rohmaterialien dienen Hülsenfrüchte wie Linsen, dazu Hafer und Kokosnuss. »Wir verwenden keinerlei Allergene«, betont Lavee. Die spezielle Fermentierungstechnologie, die seine Firma entwickelt hat, bringt die Ausgangsprodukte anschließend in die gewünschte Form. Yofix-Produkte, verspricht die Firma, seien in der Erzeugung viermal nachhaltiger als durchschnittliche vegane Produkte und zehnmal nachhaltiger als Milchprodukte.
Yofix ist nicht das einzige Start-up in Israel, das an Alternativen zu traditionellen Milchprodukten arbeitet. Einen anderen Weg hat das 2019 gegründete Start-up Remilk eingeschlagen: Es stellt Milch mithilfe tierfreier Proteine im Labor her. Das Verfahren soll mit der Erzeugung von In-vitro-Fleisch vergleichbar sein und zu ähnlich überzeugenden Ergebnissen kommen.
genehmigung Erst im April erhielt Remilk vom israelischen Gesundheitsministerium als erstes Unternehmen die Genehmigung, seine im Labor erzeugten Milchprodukte auf dem heimischen Markt zu vertreiben. Derzeit plant Remilk eine neue Anlage in Dänemark – »die weltweit größte« ihrer Art. Und der US-Lebensmittelhersteller General Mills – einer der größten weltweit – hat Anfang des Jahres begonnen, einen veganen Streichkäse zu vermarkten, für dessen Erzeugung die Remilk-Technologie zum Einsatz kam.
Es sind Lösungen wie diese, die die globale Lebensmittelindustrie bald grundlegend verändern könnten. Und verändern, da sind sich die meisten Experten einig, muss sie sich: Schließlich ist sie für rund ein Drittel aller menschlich erzeugten CO2-Emissionen und ein unermessliches Ausmaß tierischen Leids verantwortlich. Und für jüdische Umweltschützer, Veganer und Laktoseintolerante wie Ronen Lavee bieten die neuen Technologien noch ein zweites Versprechen: Schawuot kann das Fest der Käsekuchen und der Blintzes bleiben. Bloß, dass dafür keine Kuh ihre Milch geben muss.