Es sind ungewöhnlich harte Worte von US-Präsident Joe Biden in Richtung Israel. Auf die Frage, wie es um die Gesundheit der Demokratie in dem Land stehe, sagte er überraschend vor Journalisten: »Wie viele starke Befürworter Israels bin auch ich sehr besorgt. Und ich bin besorgt, dass sie das nicht hinbekommen. Sie können diesen Weg nicht weitergehen«. Im gleichen Atemzug erteilte der 80-Jährige einem von Netanjahu lang erwarteten Antrittsbesuch vorerst eine Absage: »Nicht in nächster Zeit.«
Nur kurze Zeit später meldete sich Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu zu Wort: Er schätze Bidens Unterstützung, aber: »Israel ist ein souveränes Land, das seine Entscheidungen aufgrund des Willens seines Volkes trifft und nicht aufgrund von Druck aus dem Ausland, auch nicht von den besten Freunden.« In einer Videoansprache bei einem am Mittwoch von Biden ausgerichteten Demokratie-Gipfel schlägt er kurze Zeit später versöhnliche Töne an. Ja, es gebe gelegentlich Differenzen zwischen den USA und Israel. Aber das Bündnis sei »unerschütterlich«.
Massenproteste Der Ministerpräsident hatte am Montag - nach massivem Druck auch aus den USA - eine von seiner rechts-religiösen Regierung vorangetriebene Justizreform für wenige Wochen auf Eis gelegt. Die Pläne, die die unabhängige Justiz in Israel gezielt beschneiden sollen, hatten in Israel noch nie dagewesene Massenproteste ausgelöst.
»Es geht nicht mehr nur um politische Ansichten zum Iran oder dem Konflikt mit den Palästinensern. Es geht um die geteilten Grundwerte«.
Eldad Schawit
Ein Kommentator der Nachrichtenseite »ynet« verglich Bidens Worte mit einer Bombe, »die für Netanjahu politisch gesehen mit Hiroshima zu vergleichen ist«. Der Ministerpräsident sei offiziell und endgültig in eine andere Liga versetzt worden.
Und auch für Israels Opposition war Bidens Zurückweisung ein gefundenes Fressen. »Jahrzehntelang war Israel der engste Verbündete der Vereinigten Staaten. Die am meisten extremistische Regierung in der Geschichte des Landes hat dies innerhalb von drei Monaten zunichte gemacht«, schrieb Oppositionsführer Jair Lapid. Der frühere Verteidigungsminister Benny Gantz sprach von einem »Weckruf«.
Verlorenes Vertrauen Zwischen den USA und Israel kam es in der Vergangenheit immer wieder zu politischen Differenzen. Dieses Mal sei es jedoch anders, sagt der israelische Politikwissenschaftler Eldad Schawit. »Es geht nicht mehr nur um politische Ansichten zum Iran oder dem Konflikt mit den Palästinensern. Es geht um die geteilten Grundwerte«. Biden sei ein großer Freund Israels, aber er habe Vertrauen in Netanjahu verloren. »Die USA und Israel stecken in einer Krise.«
Beide Länder verbindet traditionell eine enge Freundschaft. Die USA unterstützen Israel mit Milliardensummen - davon geht ein beachtlicher Teil in die Abwehr von Raketen. Kein anderes Land weltweit seit dem Zweiten Weltkrieg hat einem jüngsten Bericht des Forschungsservices des US-Kongresses mehr Unterstützung von den USA erhalten.
»Würde diese reduziert, ist Israels Sicherheit gefährdet«, sagt Schawit. Aber auch die USA würden bei einer weiteren Eskalation einen wichtigen strategischen Partner in der Region verlieren. »Gespräche über sicherheitspolitische Fragen werden schwerer, sollten die Führer der Länder nicht mehr miteinander sprechen«. Wie sich die weitere Entwicklung der Beziehung entwickle, sei offen. Entscheidend sei, ob in Israel zur Justizreform ein Kompromiss erreicht werde. »Biden will Taten sehen und nicht nur Worte«.
»Israel ist ein souveränes Land, das seine Entscheidungen aufgrund des Willens seines Volkes trifft und nicht aufgrund von Druck aus dem Ausland, auch nicht von den besten Freunden.«
Benjamin Netanjahu
Einmischung Zuletzt hatten die USA immer wieder deutliche Töne gegenüber Israel angeschlagen. US-Außenminister Antony Blinken stellt sich regelmäßig klar gegen den israelischen Siedlungsbau. Doch die jüngste Kritik der US-Regierung an Netanjahu hat noch einmal ein anderes Niveau. Sie versuche normalerweise zumindest nach außen hin, den Anschein zu wahren, sich nicht in innenpolitische Angelegenheiten Verbündeter einzumischen, schreibt die »New York Times«. Doch in diesem Fall hätten Biden und seine Berater alle Hemmungen fallengelassen.
Netanjahu legt viel Wert auf die US-israelischen Beziehungen. Am Montag unterrichtete er zunächst das Weiße Haus über seine Pläne, die Justizreform auszusetzen. Gleichwohl sitzen ihm jedoch seine rechts-religiösen Koalitionsmitglieder im Nacken, die die Pläne ohne Änderung durchboxen wollen - auch auf die Gefahr hin, die USA als wichtigsten Bündnispartner zu verlieren. Der rechtsextreme Polizeiminister Itamar Ben-Gvir teilte mit, die Vereinigten Staaten müssten verstehen, »Israel ist ein unabhängiges Land und kein weiterer Stern auf der US-Flagge«.
Auch mit Blick auf Bidens Demokratie-Gipfel sei man im Weißen Haus besorgt gewesen, heißt es in US-Medien. Wie sieht es aus, wenn Netanjahu dort für demokratische Werte wirbt, während in Israel die Menschen in Massen auf die Straße gehen? Auch deshalb habe Washington ein Einlenken Netanjahus gewollt. Dieser nutzte die internationale Bühne des Gipfels nun, um seine Politik zu verteidigen. »Israel war, ist und wird immer eine stolze, starke und lebendige Demokratie bleiben«, sagt er. Man müsse nun vom Protest zur Einigung übergehen. Der Diskurs sei »schmerzhaft«, aber dies sei ein Moment, um die Demokratie zu stärken.