Israelische Modemacher sind bekannt für ihre ausgefallenen Designs. In den vergangenen Wochen stellten sie ihre Kleider in verschiedenen Shows und Ausstellungen einem breiten Publikum vor. Abnehmer in der ultraorthodoxen Gemeinde finden sie allerdings kaum. Denn die hat ihren ganz eigenen Stil. Diesen stellte Moshe Shapira in Kooperation mit dem »Tower of David«-Museum in Jerusalem vor.
Über den charedischen Dresscode gibt es viel zu erzählen. Denn er stammt nicht nur aus dem russischen Schtetl, wie viele meinen. In Nachlaot, einem typischen jüdischen Viertel der Stadt, das im 19. Jahrhundert gegründet wurde, erklärt der hauptberufliche Architekt Shapira den Ursprung der Kleidungsstücke und was sie zu bedeuten haben. »Im Mittelalter wurde den Juden vorgeschrieben, auffällige Kleidung zu tragen, obwohl sie das nicht wollten, und später haben sie diesen Zwang in etwas Positives umgewandelt.«
religion Die Bewegung von Rabbiner Israel ben Eliezer, besser bekannt als Baal Schem Tow, besagte, dass das Judentum nicht nur zum bloßen Lernen da sei, sondern auch durch Gebete, Tanz und im ganzen Leben Ausdruck finden solle. »Die Religion war nicht mehr nur intellektuell, sondern durchdrang das ganze Sein«, erläutert Shapira. »Der Chassidismus war geboren.«
Zwar hätten die meisten aschkenasischen Oberhäupter, die Mitnagdim, ihn anfangs abgelehnt, doch der Wandel in der Gesellschaft hatte begonnen. Später einigten sich die Gelehrten darauf, dass das Analysieren die höchste Form des Lernens sei, »aber trotz der Einigung blieb der Dresscode der unterschiedlichen Gruppen völlig verschieden«.
PELZMÜTZE Auf dem Weg durch das Viertel Beit Rand sieht man an diesem Freitagmorgen die Leute mit Tüten voller Einkäufe für den Schabbat. Ein hochgewachsener Mann trägt einen schimmernden Kaftan mit dünnen Streifen. Er ist ein Mitglied der strengen Toldos-Aharon-Strömung, die ihren Ursprung in Ungarn hat.
Es gibt unterschiedliche Kaftane für die Wochentage und den Schabbat. Am Ruhetag ist dieser »Kapoten und Passim« aus feiner Seide mit helleren Streifen. Besonders auffällig ist die Kopfbedeckung der charedischen Männer. Am Schabbat und an Feiertagen wird die runde Pelzmütze aus dem Schrank geholt, die aus 13 Fellteilen hergestellt wird.
Es gibt unterschiedliche Kaftane für die Wochentage und den Schabbat.
Doch Streimel ist nicht gleich Streimel. Drei unterschiedlich hohe Typen gebe es, die die Mitglieder der verschiedenen Gruppen tragen, erklärt Shapira und gibt die Legende der Mütze aus Zobelfell zum Besten: »Als der polnische Regent die Juden lächerlich machen wollte, erließ er ein Dekret, das besagte, sie müssten ab sofort einen Hut mit einem Fuchsschwanz tragen. Sie taten es – doch nicht mit Scham, sondern um Gott an besonderen Tagen zu ehren. Wieder hatten sie etwas, was als Beleidigung gedacht war, zu ihren Gunsten gedreht. Und sie tragen die Mütze voller Stolz bis heute.«
vorschriften Strenge Vorschriften von Königen und Kaisern für die Juden gab es in der Geschichte immer wieder. So verordnete der russische Zar um 1860, dass Juden mit ihrer »typischen Kleidung« ihre Region nicht verlassen dürfen. Der Zar, der aus den verschiedenen Bevölkerungsgruppen ein »russisches Volk« machen wollte, zwang sie auch dazu, in ihren Schulen Russisch und Mathematik zu unterrichten. Diese Haskala (jüdische Aufklärung im späten 18. und 19. Jahrhundert) aber wurde von außen oktroyiert. »Und es gab Widerstand, der sich auch in dem Beharren auf die typische Kleidung zeigte.«
In Polen erreichten die Juden einen Kompromiss: »Aus den kurzen Hosen des 18. Jahrhunderts wurden die ›Hoisen in die Soken‹ in Anlehnung an den Kleidungsstil der Kosaken. Die Schläfenlocken, Pejes, wurden unter die Kippa gesteckt.« Noch heute ist dies der Chic der polnischstämmigen Charedim.
»Dieser Mann ist nicht aus Jerusalem«, sagt Shapira plötzlich und zeigt auf einen vorbeieilenden Ultraorthodoxen in schwarzem Zwirn. Die Teilnehmer des Rundgangs schauen ihn fragend an. »Er hat vergessen, die Pejes aus dem Hut zu nehmen. Für religiöse Männer ist es Gebot, sie in der heiligen Stadt Jerusalem zu zeigen.«
GÜRTEL Die Kleidung der Litauer hat einen anderen Ursprung. »Diese Gruppe lebte Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts in einer Gegend, wo es viel deutschen Einfluss gab, etwa in Wilna und Hovna. Ihre Kleidung ist der Stil der Mendelsohnschen Haskala, bei dem die Litauer entschieden, dass sie sich anziehen wie die Studenten an der Uni, in Anzugjacke und Hut.«
Und so tun sie es noch immer. Da die Haskala in Deutschland von innen kam, gab es weniger Widerstand als in Russland, weiß Shapira. Der Rabbiner der Chabadbewegung, Menachem Mendel Schneerson, habe dementsprechend gesagt: »Kauft eine Jacke, tragt einen Hut, das reicht.« Allerdings müsse beim Gebet ein Gartel (Gürtel) umgelegt werden, »der das Herz von den nicht so heiligen Körperteilen unterscheidet«.
Oft habe die Kleidung rein gar nichts mit Judentum zu tun. Zum Beispiel die Gewänder des sefardischen Oberrabbiners. »Die hat er einmal vom Sultan als Geschenk erhalten. Und so trägt er sie noch immer.« Übrigens sei kein einziges Kleidungsstück »heilig«, wie der Experte betont. Von Hosen, Hemden bis zur den Zizit und der Kippa könnte alles in den Abfall wandern, wenn es nicht mehr gebraucht wird. »Bücher sind heilig, Kleider nicht.«