Angesichts der heftigen Gefechte mit der islamistischen Hamas im Norden des Gazastreifens wollen die israelischen Streitkräfte die Flucht von Zivilisten in den Süden des abgeriegelten Küstenstreifens weiter ermöglichen. »Wir werden diesen humanitären Korridor in den Süden weiterhin aufrechterhalten«, sagte Militärsprecher Daniel Hagari am Mittwoch. Dies gelte auch für Donnerstag. Ihm zufolge nutzten am Mittwoch schätzungsweise 50.000 Menschen den Evakuierungskorridor.
Unterdessen wuchs die Sorge vor einer Ausweitung des Gaza-Krieges auf die ganze Region. Als Reaktion auf die jüngsten Angriffe proiranischer Milizen flog das US-Militär im Osten Syriens einen weiteren Luftangriff. Ziel sei ein Waffenlager gewesen, das von Irans Revolutionsgarden sowie deren Verbündeten genutzt worden sei, sagte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin.
Bereits Ende Oktober hatten die USA im Osten Syriens Luftangriffe gegen zwei ähnliche Ziele geflogen. Dies verschärfte die Befürchtungen, dass sich der Gaza-Krieg zwischen Israel und der islamistischen Hamas zu einem größeren Konflikt ausweiten könnte.
Keine Waffenruhe ohne Freilassung von Geiseln
Am 7. Oktober hatten Terroristen der Hamas bei Massakern im israelischen Grenzgebiet mehr als 1400 Menschen ermordet und zahlreiche Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Die israelischen Streitkräfte flogen daraufhin Luftangriffe und rückten mit Bodentruppen in den dicht besiedelten Küstenstreifen Gaza ein. Die Zahl der dort getöteten Palästinenser ist nach Angaben des Hamas-kontrollierten Gesundheitsministeriums auf mehr als 10.500 gestiegen. Die Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu machte unterdessen eine Waffenruhe im Gazastreifen erneut von der Freilassung der Geiseln abhängig. »Ich möchte alle Arten von falschen Gerüchten, die wir aus allen möglichen Richtungen hören, beiseite legen und eines klarstellen: Es wird keine Waffenruhe ohne die Freilassung unserer Geiseln geben.«
Unklar war, ob er damit die Freilassung aller Geiseln auf einmal meinte. Zuvor hatte es unbestätigte Medienberichte zu Verhandlungen über eine humanitäre Waffenruhe im Gegenzug für die Freilassung von bis zu 15 Geiseln im Gazastreifen gegeben. Ein hochrangiges Mitglied der Terrororganisation Hamas sagte der Deutschen Presse-Agentur, es liefen »ernsthafte Verhandlungen«.
Medikamente erreichen Klinik
Ein Konvoi mit medizinischen Gütern erreichte nach Angaben der Vereinten Nationen das Schifa-Krankenhaus im Gazastreifen. Dies sei erst die zweite Lieferung lebensrettender Hilfsgüter an die Klinik seit Beginn des Gaza-Kriegs, teilten die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das UN-Palästinenserhilfswerk (UNRWA) mit.
Die Lieferung sei zwar willkommen, reiche jedoch bei weitem nicht aus, um den enormen Bedarf im Gazastreifen zu decken. »Die medizinischen Bedingungen in dem größten Krankenhaus im Gazastreifen und einer der ältesten palästinensischen Gesundheitseinrichtungen sind katastrophal«, hieß es in der Mitteilung.
Die Zahl der getöteten Mitarbeiter der Vereinten Nationen im Gaza-Krieg stieg auf 92. Die UN hätten weltweit noch in keinem Konflikt innerhalb eines Monats so viele Todesfälle zu verzeichnen gehabt, sagte der Generalkommissar des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA, Philippe Lazzarini, in einem Interview des Schweizer Medienhauses Tamedia, wie die nationale Nachrichtenagentur Keystone-SDA berichtete. Er warnte vor dem Kollaps der öffentlichen Ordnung. Mehr als 700.000 Menschen seien inzwischen in die Einrichtungen des Hilfswerks geflüchtet.
USA zur Zukunft Gazas: Viele Fragen, wenige Antworten
Die US-Regierung mahnte diplomatische Gespräche über die Zukunft des Gazastreifens an. »Ich denke, was wir haben, sind viele Fragen, aber nicht viele Antworten«, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, im US-Fernsehsender CNN. »Wir wissen, was wir nach dem Konflikt in Gaza nicht sehen wollen. Wir wollen nicht, dass die Hamas die Kontrolle übernimmt. Wir wollen keine Rückeroberung durch Israel sehen.«
Aber was eine gute Lösung für den Küstenstreifen sei, müsse man nun erst noch herausfinden. Die USA könnten das Problem nicht allein lösen. »Wir werden diplomatische Gespräche mit den Menschen in der Region führen müssen, um eine Lösung zu finden.«
An der Bodenoffensive der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen ist nach Militärangaben eine ganze Division von Reservisten beteiligt. Eine Division umfasst für gewöhnlich mindestens 10.000 Soldaten. Es sei das erste Mal seit dem Libanon-Krieg 1982, dass eine ganze Division von Reservisten auf feindlichem Gebiet im Einsatz sei, teilte das Militär mit.
Warnungen an Bevölkerung
Die 252. Division, die seit Samstag im Norden des Gazastreifens agiere, umfasse vier Infanteriebrigaden und eine Panzerbrigade. Außer der Division seien noch weitere Truppen beteiligt.
Seit Beginn des vom palästinensischen Terror begonnenen Krieges versucht Israel, die Zivilbevölkerung des Gazastreifens zu schützen. Während die Armee des Landes dabei ist, die Hamas komplett zu zerschlagen, werden die Bewohner vor Angriffen gewarnt. Schon vor Wochen forderte Israel die Menschen aus dem nördlichen Teil Gazas auf, in den Süden zu fliehen - zu ihrer eigenen Sicherheit. Dort treffen auch Hilfslieferungen ein.
Der Spagat zwischen einem harten Vorgehen gegen den palästinensischen Terror und dem Schutz der Bevölkerung Gazas stellt die israelischen Streitkräfte täglich vor eine zusätzliche, große Herausforderung. Israel hat angekündigt, dass die Hamas den Gazastreifen nach diesem Krieg nicht mehr kontrollieren werde.
Unklar ist, ob die Palästinensische Autonomiebehörde von Mahmoud Abbas übernehmen wird. Er unterstützt offen den Terror gegen Israel, indem er Terroristen Gehälter bezahlt, was er offen zugibt. Auch weigert er sich bisher, Israel anzuerkennen, mit dem jüdischen Staat zu verhandeln oder Friedensabkommen zuzustimmen - selbst wenn diese die Umsetzung der Zwei-Staaten-Lösung enthalten. dpa/ja