Die israelischen Streitkräfte (IDF) sind in einen Teil des Al Schifa-Krankenhauses im Gazastreifen eingedrungen. Auf der Grundlage nachrichtendienstlicher Informationen führten Soldaten »eine präzise und gezielte Operation gegen die Hamas in einem bestimmten Bereich des Al Schifa-Krankenhauses durch«, teilte die Armee am frühen Mittwochmorgen mit. »Wir fordern alle im Krankenhaus anwesenden Hamas-Terroristen auf, sich zu ergeben.«
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO befanden sich mit Stand Montag mehr als 2000 Menschen in der Al Schifa-Klinik, darunter vermutlich mehr als 600 Patienten und rund 1500 Vertriebene. Die Angaben beruhen auf Schätzungen des dortigen Gesundheitsministeriums, das von der Terrororganisation kontrolliert wird, die Gaza bis vor einigen Tagen 16 Jahre lang regierte.
Seit Tagen kommt es in der Nähe von Krankenhäusern im nördlichen Gazastreifen zu Gefechten zwischen israelischen Bodentruppen und palästinensischen Terroristen. Mitarbeiter des Al Schifa-Krankenhauses, der größten Klinik im Gazastreifen, berichteten von anhaltendem Beschuss in dem Gebiet. Israel vermutet unter dem Krankenhaus-Komplex eine Kommandozentrale der Hamas.
Schutz von Zivilisten
Zu den Einsatzkräften bei der Militäroperation im Al Schifa-Krankenhaus gehörten nach Armee-Angaben auch medizinische Teams und Arabisch sprechende Personen. Sie hätten eine spezielle Ausbildung durchlaufen und sollten sicherstellen, dass Zivilisten, die von der Hamas als menschliche Schutzschilde benutzt werden, kein Schaden zugefügt werde, hieß es in der Mitteilung der Streitkräfte weiter.
Medienberichten zufolge hatten die Streitkräfte die Behörden im Gazastreifen vor dem Einsatz gewarnt. Das Militär habe einen palästinensischen Gesundheitsbeamten kontaktiert und über den bevorstehenden Angriff informiert, sagte ein Sprecher dem Fernsehsender Al-Dschasira.
Zuvor hatte Israels Militärsprecher Daniel Hagari bereits angekündigt, dass die IDF in Krankenhäuser eindringen würden. »Die fortgesetzte militärische Nutzung des Al Schifa-Krankenhauses durch die Hamas führt dazu, dass es seinen besonderen völkerrechtlichen Schutz verliert«, sagte Hagari. »Wir sind gezwungen, vorsichtig und präzise gegen die militärische Infrastruktur der Hamas in den Krankenhäusern vorzugehen.«
Stundenlange Schusswechsel
Um das Al Schifa-Krankenhaus im Gazastreifen ist nach Aussagen eines dort arbeitenden Arztes in der Nacht zum Mittwoch heftig gekämpft worden. Es habe stundenlange Schusswechsel und Bombardements gegeben, sagte Ahmed Muchallalati, Medizinier der größten Klinik des Küstenstreifens, der »Washington Post«. Er habe israelische Panzer in Nähe des Klinikkomplexes gesehen. »Wir wissen nicht, was ihr Plan ist.« Er wolle trotzdem versuchen, sich weiter um die Patienten zu kümmern.
Am Mittwoch um kurz vor 9 Uhr Ortszeit (kurz vor 8 Uhr MEZ) gaben die IDF bekannt, während die Operation gegen die Hamas im Al Schifa-Krankenhaus andauere, hätten die Streitkräfte Babynahrung, Brutkästen und medizinische Vorräte in die Klinik geliefert.
Nach UN-Angaben nimmt nur noch ein Krankenhaus in Gaza Patienten an, nämlich die Al-Ahli-Klinik, die demnach im Minimal-Betrieb arbeitet. Grund ist der Mangel an Treibstoff. Israel hatte den Betreibern vor zwei Tagen Diesel für Klinik-Generatoren angeboten.
Verborgene Militäroperationen
Auch die USA gehen davon aus, dass die Hamas im Gazastreifen Krankenhäuser für militärische Zwecke missbraucht. Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, sagte: »Hamas und Mitglieder des Palästinensischen Islamischen Dschihad (PIJ) nutzen einige Krankenhäuser im Gazastreifen - auch die Al Schifa-Klinik - und unter ihnen liegende Tunnel, um ihre Militäroperationen zu verbergen und voranzutreiben und um Geiseln festzuhalten«.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu warb derweil erneut für Unterstützung seines Landes im Kampf gegen den Terror im Gazastreifen. In einem Beitrag auf X (früher Twitter) wandte sich Netanjahu direkt an den kanadischen Premierminister Justin Trudeau: »Nicht Israel zielt absichtlich auf Zivilisten, sondern die Hamas enthauptet, verbrennt und massakriert Zivilisten im schlimmsten Horror, der seit dem Holocaust an Juden verübt wurde.«
Der israelische Regierungschef forderte: »Die Kräfte der Zivilisation müssen Israel dabei unterstützen, die Barbarei der Hamas zu besiegen.« Zuvor hatte Trudeau Berichten zufolge die israelische Regierung »dringend« aufgefordert, in ihrem Kampf im Gazastreifen »maximale Zurückhaltung zu üben« und eine humanitäre Pause zu gewähren. Er sagte: »Die Welt ist Zeuge dieser Tötung von Frauen, Kindern und Babys. Das muss aufhören.«
Humanitäre Hilfe und Benzinmangel
Wegen Treibstoffmangels könnte die humanitäre Unterstützung von über zwei Millionen Menschen im Gazastreifen nach Einschätzung des UN-Hilfswerkes für Palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) bald zusammenbrechen. Ein Treibstoff-Depot innerhalb des Gazastreifens, das das Hilfswerk zuletzt genutzt habe, sei nun leer, sagte UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini.
»Es ist ganz einfach. Ohne Treibstoff wird die humanitäre Operation im Gazastreifen zu Ende gehen. Viele weitere Menschen werden leiden und wahrscheinlich auch sterben«, so der Generalkommissar. Die Hamas nutzt allerdings weiterhin Benzin für den Abschuss von Raketen in Richtung Israel. Die Terrororganisation hatte der UNRWA außerdem Treibstoffvorräte gestohlen, wie die UN-Unterorganisation selbst bekanntgab.
UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich »zutiefst beunruhigt« über die Lage in den Krankenhäusern im Gazastreifen. Diese verzeichneten dramatische Verluste an Menschenleben, ließ Guterres mitteilen. »Im Namen der Menschlichkeit fordert der Generalsekretär eine sofortige humanitäre Waffenruhe«, hieß es in einer Mitteilung.
Heftige Kritik an Guterres
Israel kritisierte Guterres wegen seiner Rolle im Gaza-Krieg. »Guterres hat es nicht verdient, UN-Chef zu sein«, sagte der israelische Außenminister Eli Cohen. Er habe sich nicht entschieden genug gegen den Terror der Hamas gestellt. »Guterres sollte wie alle freien Nationen klar und laut sagen: »Befreit Gaza von der Hamas««, sagte Cohen weiter.
Israel kündigte derweil am späteren Mittwochmorgen an, Lastwagen mit Hilfsgütern für Gaza könnten nun betankt werden. Bisher hatte die Regierung die Einfuhr von Treibstoff für die Enklave verboten, damit dieser nicht von der Hamas gestohlen und missbraucht wird.
Der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu reist unterdessen heute nach Ägypten und Saudi-Arabien. Er wolle Gespräche über die Lage im Gazastreifen und die Sicherheitslage in der Region führen, schrieb er vor seiner Abreise auf der Nachrichtenplattform X, ehemals Twitter. Er wolle die Golfregion besuchen und seine Reise am Freitag in Israel beenden. Es sei der erste Besuch eines französischen Verteidigungsminister in Israel seit dem Jahr 2000. dpa/ja