Während die genauen Umstände der tödlichen Katastrophe bei der Ankunft eines Hilfsgüterkonvois im Gazastreifen weiter unklar sind, sieht sich Israel mit massiven Vorwürfen konfrontiert.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zeigte sich in der Nacht zum Freitag auf der Plattform X (vormals Twitter) empört über die Bilder, »die uns aus Gaza erreichen, wo Zivilisten von israelischen Soldaten ins Visier genommen wurden«. Der palästinensische UN-Botschafter Riad Mansur warf Israel die vorsätzliche Tötung von Palästinensern vor.
Der israelische Armeesprecher Daniel Hagari wies die Vorwürfe allerdings zurück: »Es gab keinen Angriff des israelischen Militärs auf den Hilfskonvoi.« Der Weltsicherheitsrat in New York konnte sich bei einem Treffen zunächst auf keine gemeinsame Stellungnahme verständigen.
USA wollen Antworten drängen
Die US-Regierung steht mit der israelischen Regierung wegen des Vorfalls in Kontakt und verlangt Antworten. Es sei das Verständnis der USA, dass eine Untersuchung im Gange sei, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller, am Donnerstag (Ortszeit). »Wir werden diese Untersuchung genau verfolgen und auf Antworten drängen.«
Man habe keine gesicherten Erkenntnisse über die Geschehnisse, so Miller. Die »Tragödie« könne die Verhandlungen über eine Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln in der Gewalt der islamistischen Terrororganisation Hamas komplizierter machen.
Der Sprecher von UN-Generalsekretär António Guterres, Stephane Dujarric, sagte zu dem Vorfall, man kenne nicht alle Fakten und sei sich bewusst, dass es unterschiedliche Darstellungen gebe. »Es wird eine Zeit der Verantwortung geben«, sagte Dujarric.
Schubsen und Trampeln
Der von der palästinensischen Terrororganisation Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde im Gazastreifen zufolge sollen bei dem Vorfall mehr als hundert Menschen getötet und mehrere Hunderte verletzt worden sein. Sie beschuldigte wie gewohnt Israel, verantwortlich zu sein.
Armeesprecher Hagari erklärte, die Armee habe am Morgen einen Lastwagenkonvoi mit humanitären Hilfsgütern koordiniert, der Bewohner im Norden des abgeriegelten Küstenstreifens habe erreichen sollen. Bei der Ankunft seien zahlreiche Menschen auf die Lastwagen gestürmt und es sei zu chaotischem Gedränge gekommen. »Einige fingen an, andere gewaltsam zu schubsen und zu Tode zu trampeln und plünderten die humanitären Hilfsgüter«, sagte der Armeesprecher.
Ein anderer Sprecher des israelischen Militärs, Peter Lerner, sagte dem Fernsehsender CNN, nach ersten Erkenntnissen habe sich kurze Zeit darauf eine Gruppe von Menschen israelischen Soldaten genähert. Das Militär habe daraufhin Warnschüsse in die Luft abgegeben. Die Gruppe habe sich den Soldaten jedoch weiter genähert und eine Bedrohung dargestellt, woraufhin die Soldaten auf die Beine gezielt hätten.
Keine Schüsse auf Hilfesuchende
Mehrere Menschen sei bei dem Vorfall verletzt worden, sagte Lerner. Der Vorgang werde untersucht. Auch Hagari betonte: »Wir haben weder auf Hilfesuchende noch auf den humanitären Konvoi geschossen, weder am Boden noch aus der Luft.«
Die Regierung in Ägypten hatte Israel zuvor vorgeworfen, das Feuer auf die wartende Menge eröffnet zu haben. Auch Saudi-Arabien und Jordanien kritisierten Israel für den Vorfall.
Das Geschehen zeige, warum eine schnelle Einigung auf eine Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln in den Händen der islamistischen Hamas notwendig sei, betonte ein Sprecher des US-Außenministeriums. Die USA würden sich »sehr dafür einsetzen, eine Einigung zu erzielen«, sagte Miller.
Bemühungen um Freilassung
Die israelische Regierung bemüht sich nach den Worten von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu unermüdlich, die Geiseln freizubekommen. Es sei allerdings zu früh, um zu wissen, ob eine Einigung über die Freilassung der Entführten und eine Feuerpause im Gaza-Krieg zustande kommen werde, sagte Netanjahu am Donnerstagabend.
Eine seiner zentralen Forderungen sei, eine Liste mit den Namen aller Geiseln zu bekommen, die im Rahmen eines Deals freigelassen würden. Diese habe er bisher nicht erhalten. Ein Durchbruch in den Verhandlungen und ein Abkommen in den kommenden Tagen seien daher zunächst ungewiss, sagte er. Die Armee werde den Krieg gegen die Hamas bis zum Sieg fortführen.
Angesichts des Leids der Menschen in Gaza stockt die Bundesregierung unterdessen die humanitäre Hilfe um weitere 20 Millionen Euro auf. Das kündigte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in Berlin an. Diese Summe reiche aber bei Weitem nicht aus. Die Zahl der Lastwagen, die lebensrettende Nahrungsmittel, Medikamente und andere Hilfsgüter nach Gaza bringen, sei in den vergangenen Wochen stark zurückgegangen.
Ungehinderter Zugang
»Das ist nicht akzeptabel. Die israelische Regierung muss umgehend sicheren und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe ermöglichen«, forderte die Ministerin. UN-Generalsekretär Guterres sagte: »Die verzweifelten Zivilisten in Gaza brauchen dringend Hilfe, auch die im belagerten Norden, wo die Vereinten Nationen seit mehr als einer Woche keine Hilfe leisten konnten.«
Allerdings kam am Donnerstag ein großer Hilfskonvoi im Norden des Gazastreifens an. Verzögerungen bei der Verteilung von Hilfe haben verschiedene Gründe. Israelischen Quellen zufolge, werden bereits abgefertigte Lieferungen von Hilfsgütern nicht oder nur langsam von lokalen Lieferanten am Grenzübergang Kerem Schalom abgeholt.
Auch Plünderungen und ein Mangel an kleineren Lieferfahrzeugen, auf die die Hilfe umgeladen wird, gehören zu den Problemen. Israel warf den Vorwurf zurück, nicht genügend Hilfe zuzulassen. dpa/ja